Lichtexperiment mit „Lucia No. 3“: Farben! So viele Farben!
LSD-Lampe wird es auch genannt – ein Gerät, das für Entspannung sorgen soll. Funktioniert das? Ein Selbstversuch und seine Folgen.
Nach fünf Minuten ist der erste Probelauf beendet, und ich öffne erleichtert die Augen und nehme die Kopfhörer ab, aus denen Regengeräusche blubbern. Das Problem: Ich bin die schlechteste Testperson, die man sich vorstellen kann. Ich kann mich nicht mal mit Blei an den Füßen fallen lassen, schon gar nicht, wenn noch jemand im Raum ist.
Lucia steht vor mir, ich mustere sie, „Die Lichtbringerin“. „Lucia No. 3“ heißt die Lampe, die mich bei meinem Besuch in Wien in neue Sphären führen soll. Sie wird als alternatives und ergänzendes Therapiemittel von Therapeuten und Heilpraktikern eingesetzt. Doch weil der Hersteller eine hypnagoge Lichterfahrung ankündigt, die einige Benutzer – die es offenbar wissen – mit einem LSD-Trip verglichen haben, wird sie auch „LSD-Lampe“ genannt.
Hypnagogie, das ist ein Bewusstseinszustand, der irgendwo zwischen wach und schlafend liegt und von Wahrnehmungen, vielleicht Halluzinationen begleitet wird. Ich war nicht sicher, ob ich das erleben will. Aber jetzt sitze ich ja schon hier, in Wien-Meidling, auf einer beige Kunstlederliege, umgeben von ein paar hellen Landhausmöbeln, bunten Kristallen und einem Zimmerbrunnen. Eigentlich bin ich in der Stadt, um meine Familie zu besuchen.
Nur in deinem Kopf
Die runde Lampe hängt etwa 30 Zentimeter vor meinem Gesicht, sie ist mit dem Lampenständer verbunden durch etwas, was aussieht wie der Schlauch eines Duschkopfs. Der Lampenkopf sieht aus wie eine überdimensionierte Nähmaschinenspule, in der ein Halogenstrahler und acht LED-Stroboskope angebracht wurden.
Wenn sie läuft, ist das Licht weiß und flackert in unterschiedlichen Rhythmen vor den geschlossenen Augen des Nutzers. Erst der eigene Körper erzeugt dann die Formen, Muster und Farben, die einem erscheinen. „Menschen, die an einer starken Depression oder Burn-out leiden, sehen kaum Farben unter der Lampe, nur grau und schwarz“, sagt Elfriede Neustädter, die mich in der Lichttherapiepraxis empfangen hat. Zu ihr kämen unterschiedlichste Menschen, sagt sie. Auch Kinder, die vom Schulstress überfordert sind.
Wie genau die Formen und Farben vor den Augen der Nutzer entstehen, ist wissenschaftlich nicht geklärt. Eine Theorie sagt, dass die Muster der Netzhaut schuld sind, eine andere vermutet, dass die Zirbeldrüse, die etwa reiskorngroß in der Mitte des menschlichen Gehirns sitzt, verantwortlich ist. Die Zirbeldrüse ist für die Melatoninproduktion zuständig, soll aber laut Forschungen auch den halluzinogenen Stoff DMT ausschütten. Esoteriker nennen die Zirbeldrüse deshalb gerne auch „das dritte Auge“.
Mit Esoterik habe ich nichts am Hut. Meine Augen tränen, und ich will wissen, wieso meine Augenlider so gezuckt haben. „Das liegt daran, dass Sie versuchen, durch Ihre geschlossenen Augen zu sehen“, sagt Elfriede Neustädter. Ja, das klingt nach mir. Wir machen eine kurze Pause, bevor es mit der eigentlichen 20-minütigen Session weitergeht. Der gerade erlebte Durchlauf diente nur dazu, ein passendes Programm für mich zu finden.
Denn davon gibt es über 120 für die Lucia No. 3, die über einen Computer gesteuert wird. Sie unterscheiden sich in Länge, Intensität und Wirkungscharakter. Die Wirkung ist letztendlich individuell, sagt Neustädter. Lucia No.3 soll in erster Linie Entspannung bringen. Sie soll ein Wellenmuster im Gehirn erzeugen, das sich sonst erst nach mehrjähriger Meditationspraxis zeigt. Der Effekt soll sofort spürbar sein. Sie soll gegen Schlafstörungen und Unruhe helfen. Aber auch kreative Prozesse sollen durch die Lampe angeregt werden, wie der Münchner Designprofessor Ralf Buchner gezeigt haben will, der seine Studenten für einen Versuch unter die Lampe setzte. Wobei fraglich ist, ob sich Kreativität überhaupt messen lässt.
In einem Kaleidoskop sitzen
Aussagekräftige Studien zur Wirkungsweise der Lucia No. 3 gibt es nicht. Und auch der Versuch, von Neurologen und Forschern der kognitiven Psychologie eine Einschätzung der Lampe zu bekommen, scheiterte meist daran, dass diese nichts dazu sagen konnten. Denn: Licht vor Augen flackern zu lassen, das ist grundsätzlich nur bei Epileptikern bedenklich. Hinzu kommt: Neu ist das dahinter stehende Konzept grundsätzlich nicht, denn repetitive optische und akustische Reize werden schon seit Jahrhunderten zum Herbeiführen tranceartiger Zustände benutzt. Also von Schamanen, den Dreamachines der Beatniks und so weiter.
Ich lege mich wieder auf die Liege und frage, ob ich für die Session allein im Raum sein kann. Frau Neustädter sagt, dass sie mich im Auge behalten muss, setzt sich aber vor die offene Tür. Ich setze die Kopfhörer auf, der Regen fällt, ich schließe die Augen. Locker lassen. Langsam kommt eine dunkelorange Welle auf mich zu, als würde vor mir die Sonne aufgehen. Sie bleibt da einfach stehen. Dann fängt sie an zu tanzen. Viele kleine Sonnen brechen aus ihr aus, sie werden dunkelgelb, mir wird angenehm warm. Rot, blau, gelb blinkt es. Es fühlt sich an, als würde man in einem fahrenden Zug am Fenster sitzen, die Augen geschlossen; zwischen einem selbst und der warmen Sonne nur ein paar vorüberziehende Bäume.
Rosa Punkte bilden einen Kreis auf einer gelb wogenden Fläche. Bloß nicht denken. Dunkelgrüne Strahlen von allen Seiten, lindgrüne Kästchen, langsam pulsierende orange Kreise. Ein violetter Farbschwall wischt alles weg, aus der Mitte platzt das prächtigste Türkis, das ich jemals gesehen habe. Als würde man in einem Kaleidoskop sitzen. Irgendwann kommt die dunkelorange Sonne zurück. Sie verschluckt alle anderen Farben und geht dann langsam unter.
Ich öffne die Augen, fühle mich entspannt und zufrieden, wie nach einer Massage. Und ich bin hungrig. Das sei eine übliche Reaktion, sagt Elfriede Neustädter: „Die meisten sind nach der Sitzung entweder hungrig, müde oder voller Energie – je nach Programm und Ausgangslage.“
Inspiration Nahtod
Erfunden wurde die Lucia No. 3 von zwei österreichischen Wissenschaftlern: Engelbert Winkler, einem Psychologen und Psychotherapeuten und Dirk Proeckl, einem Neurologen. „Engelbert Winkler hatte als Kind eine Nahtoderfahrung, die er als heilsam empfand. Sie war ein Grund für ihn, Psychologie zu studieren, und er forschte lange an einer Möglichkeit, diese Erfahrung weitergeben zu können“, sagt mir Martin Duschek am Telefon. Er macht von Tirol aus die PR-Arbeit für die Lucia No. 3.
Den Prototyp bauten die Erfinder ins Gehäuse einer roten Kaffeemaschine ein. Die heutige Version der Lampe kostet etwa 18.000 Euro und wird mit Software und Schulung geliefert. Duschek sagt, dass sich die Anzahl der seit 2010 hergestellten Lampen im dreistelligen Bereich bewegt.
Einmal, berichtet Duschek im Gespräch, sei bei einer Sitzung wohl der Ursprung einer Angststörung entdeckt worden. Der Klient ging danach in Behandlung. Solche Reaktionen seien die Ausnahme. Aber sie sind der Grund dafür, dass man vor einer Sitzung einen Zettel unterschrieben muss: „Bei starken Depressionen und Angststörungen sollte eine Sitzung wenn, dann nur unter ärztlicher Aufsicht passieren.“ Denn die Lampe, sagt Duschek, sei vergleichbar mit einem Werkzeug, etwa einem Hammer – man könne unterschiedlichste Dinge damit tun, je nachdem, wie man sie einsetze.
Die Wirkung einer Sitzung der Lucia No.3 könne tagelang anhalten, hatte mir Frau Neustädter bei meiner Session gesagt – sie könne sich als Entspannung oder auch als kreativer Prozess äußern. Bei mir ist an den Tagen nach der Sitzung nicht mehr viel zu spüren. Aber es war ja auch nur eine Sitzung. Und vor allem: nur ein bisschen Licht.
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