Lernen 2.0: Blogs - die Zukunft des Lernens
Blogs und Wikis beginnen den Unterricht zu revolutionieren. Sie verändern die Lehrerrolle und fordern auch Schüler individuell heraus, die sich in der Klasse gar nicht zu Wort melden würden.
Google, Wikipedia, Facebook und Blogs verändern das Wissen der Menschen - und ihr Lernen. Die taz-Bildung beleuchtet in loser Folge das Lernen 2.0. Der erste Beitrag stammte von Ulrich Klotz über die gesellschaftlichen Auswirkungen des Web 2.0. Es folgen Reportagen aus Laptop-Klassen, Porträts und Interviews mit Vordenkern des neuen Lernens. Ideen und Kontakt: lernen2.0@taz.de. (cif)
Kaya Presser hätte die Schüler ihres 12.-Klasse-Deutschkurses einfach fragen können. So wie es Lehrer im Unterricht in der Regel tun, von vorn in die Klasse hineinstochern, wem was zu "Romantik" einfällt. Antworten hätte sie sicher bekommen - von denen, die ohnehin mitarbeiten. Stattdessen ist Presser anders vorgegangen: Sie hat die Frage gebloggt, sie hat sie auf eine Seite im Internet gestellt - und ihre Schüler gebeten, online ihren Kommentar abzugeben. In wenigen Tagen hatte sie 29 Antworten und eine lebhafte Debatte.
"Was da passiert, übertrifft bislang meine Erwartungen", sagt die Referendarin. Die 29-jährige unterrichtet am Münchener Asam-Gymnasium. "Wenn man sieht, dass die Schüler sich auch gegenseitig etwas erklären können, sich etwas herleiten, selbständig Zugang zu Texten finden können, dann schätzt man sie einfach höher ein." Erst knapp zwei Wochen ist das Blog online - doch schon voll mit Rechercheaufträgen, Schülerporträts, grafisch aufgearbeiteten Wortfeldern. Und das an einer Schule, in der die Hälfte der Schüler Migrationshintergrund hat und einige mit Sprachproblemen kämpfen.
Erfolgsgeschichten wie diese zeigen, dass die Möglichkeiten des Web 2.0 den Unterricht verändern können. Es entstehen neue Lehrformen, welche die Eigenverantwortlichkeit und Selbständigkeit der Schüler fördern. Gerade Blogs sind so einfach zu handhaben, dass weder das Einrichten mithilfe von Webhostern noch das Bloggen selbst viel Einarbeitungszeit beansprucht. Das Lernen 2.0 steht vor der Tür - wenn auch oft eher zufällig.
"Ich bin zum Bloggen gekommen wie die Jungfrau zum Kinde", bekennt der Lehrer Peter Nolte. Er hatte an der Gesamtschule Fröndenberg, Kreis Unna, keine Lust, ein Tanzprojekt an seiner Schule aufwändig zu dokumentieren. Also klagte er einem Freund sein Leid - und ließ sich von ihm fürs Bloggen begeistern. Denn da helfen viele Teilnehmer online mit.
So unvoreingenommen gehen lange nicht alle Lehrer auf die neuen Technologien zu. Lehrer, die im Web 2.0 aktiv sind, werden im Kollegium zwar oft beklatscht - aber nur selten nachgeahmt. Manche scheuen die Mehrarbeit, andere plagen Bedenken, ob man sich mit dem mühsam angeeigneten Wissen bei den IT-erprobten Schülern nicht blamiert. Vielen Lehrern dürfte jedoch etwas anderes schwer im Magen liegen: Wer mit seinen Schülern gemeinsam bloggt, gibt die Deutungshoheit über den Stoff aus der Hand. Denn im Blog diskutieren und posten Lehrer und Schüler auf einer Augenhöhe, wird der Lehrer mehr Moderator als Wissensvermittler.
Maria Eirich und Andrea Schellmann bauen mit ihren Schülern Wikis auf, einfache Seiten, auf denen viele Nutzer gemeinsam Inhalte erarbeiten und ständig aktualisieren können. So wie bei der Online-Enzyklopädie Wikipedia, dem populärsten aller Wikis. Das Erstaunliche: Die beiden Lehrerinnen vom bayerischen Regiomontanus-Gymnasium schafften es, Mathematik per Wiki kreativ aufzuarbeiten - in einem Projekt mit zwei 5. Klassen, zum "Jahr der Mathematik". Mit einem interaktiven Mathe-Wissens-Memory, einem Rap über die größten Mathematiker der Welt und vielen anschaulichen und bunten Grafiken begeisterten sie ihre Schüler für das Mathe-Wiki im Netz.
Projekte wie diese sind es, die das Wiki der Haßfurter Regiomontanus-Schule zu einem Vorzeigeprojekt gemacht hat. Doch anders als auf dieser gut gepflegten, lebendigen Ausgabe finden sich im Netz auch zahlreiche Schulwikis, die einen arg verwaisten Eindruck machen. Ambitioniert gestartet - und innerhalb kürzester Zeit gescheitert. Kein Wunder, sind Wikis mit ihrer ausgefuchsten Verlinkung doch etwas komplizierter zu bedienen als Blogs und sehen meist weniger elegant aus.
Doch das sind nicht die einzigen Probleme - zumindest wenn man Thomas Rau, einen der ersten Unterrichtsblogger Deutschlands, fragt. Für ihn kranken viele Versuche, Web 2.0 in den Unterricht einzubinden, an der geringen Motivation der Schüler. "Die wenigsten Schüler publizieren gerne im Netz", sagt er. Noch schwieriger sei es, ein solches Projekt über einen längeren Zeitraum aufrechtzuerhalten - denn es gehe in Bayern nur auf freiwilliger Basis und dürfe nicht in die Benotung einfließen.
Sein erstes Blog gemeinsam mit einem Deutsch-LK seines Gymnasiums in Fürstenfeldbruck beurteilt er rückblickend kritisch. "Die Energie reichte dafür nicht. Die Schüler haben nach einiger Zeit die Lust verloren - und ich habe versäumt, das Ganze abzubrechen", sagt Thomas Rau. Seit dieser Erfahrung setzt Rau Blogs und Wikis nur noch für kürzere Unterrichtseinheiten ein - maximal 6 bis 8 Wochen, dann muss Schluss sein.
Motivationsprobleme kennt auch René Scheppler, wie so viele engagierte Web-2.0-Lehrer noch Referendar in Frankfurt. "Nach drei, vier Stunden fängt die Motivation an zu kippen", musste er erfahren - zum Beispiel in seiner 11. Klasse, die derzeit "Kabale und Liebe" bespricht. Die Schüler würden schnell feststellen, dass auch im Netz gearbeitet wird, teils sogar Mehrarbeit entsteht. Und gerade weil sich das eigenverantwortliche Online-Lernen stark vom restlichen Unterricht unterscheidet, sei es manchmal schwer, Schüler bei der Stange zu halten. Für den Twitter-Freund und Fachblogger Scheppler ist das aber noch lange kein Grund, Web-2.0-Anwendungen aus dem Unterricht zu streichen. "Ich habe das Gefühl, das ist etwas, woran die Schüler nicht vorbeikommen. Sie müssen lernen, anders zu lernen, eigenverantwortlicher und strukturierter."
Mit Achtklässlern und seinem 11er Deutschkurs bloggt Scheppler, baut kleine Wikis auf, lässt sie online selbstorganisiert Aufgaben bearbeiten. All das per "Moodle", einer Online-Lernplattform, die derzeit besonders in Bayern und Baden-Württemberg gefördert wird. Ähnlich wie beim Zirkeltraining im Sportunterricht durchlaufen Schüler online Aufgabenparcours, die Scheppler kontrolliert - oder es werden Materialien über Literatur ausgetauscht und diskutiert. Über "Moodle" sei es für ihn einfacher, den einzelnen Schüler im Auge zu behalten, sagt Scheppler. Und ist besonders begeistert davon, dass die Schüler anfangen, sich selbst zu korrigieren und zu ermahnen. Lernen 2.0 enthält viel individuelles Arbeiten. Öffentlich im Netz zugänglich sind die Ergebnisse aber nicht - er wolle sich erst noch ein wenig ausprobieren und erst später ein öffentliches Blog starten, sagt er.
Prinzipiell ist Scheppler mit Moodle nicht unzufrieden. Anderswo heimste die Plattform dagegen jede Menge Kritik ein und gilt unter Lehrern vielfach als das viel geförderte Tool, das niemand benutzen möchte. Vielen ist es zu kompliziert. Unterrichtsblog-Pionier Thomas Rau ist es zu hässlich, zu wenig öffentlich - und es fehlt die Möglichkeit, Schüler zur Heimarbeit mit Moodle zu verpflichten. Auch weil eben noch immer nicht davon ausgegangen werden kann, dass jeder Schüler einen Computer mit funktionierendem Internetanschluss zu Hause stehen hat. Nicht das Einzige, was Rau, der selbst an seiner Schule "Moodle-Beauftragter" ist, stört. "Das selbstorganisierte Lernen läuft damit auch nicht optimal", mäkelt er und gibt aber dennoch zu: "Aber es ist besser als gar nichts."
Viele Lehrer glauben, dass der Einsatz von Blogs erst ab der Ende der Mittelstufe oder frühestens in der 5. Klasse sinnvoll einsetzbar sind. Unsinn, meint Martin Riemer, der 2006 an der Berliner Hausbergschule ein Blog mit Zweitklässlern startete. Als freiwillige Ergänzung zum Deutschunterricht und ebenfalls nicht frei im Netz zugänglich bloggten die Schüler, die gerade erst Lesen und Schreiben gelernt hatten, über ihre Besuche bei Eisbär Knut, Theaterbesuche, aber auch über selbst ausgedachte Themen wie eine verlorene Butterbrotdose oder ein verfallener Spielplatz um die Ecke.
"Die Schule hat mir nachher bestätigt, dass die Lese- und Schreibkompetenz von einigen Schülern, die mitgebloggt haben, sich sehr verbessert hat", sagt Riemer stolz. Er erzählt von einem sehr zurückhaltenden Schüler mit mäßigen Deutschkenntnissen und jeder Menge Problemen zu Hause - der plötzlich die meisten Kommentare von allen Schülern verfasst hatte und so Anerkennung erlebte. Und dass ganz nebenbei schon die Kleinen eine gewisse Medienkompetenz lernen. Etwa wenn eine Schülerin, die ein Foto vom Direktor veröffentlichen will, lernt, dass sie ihn um Erlaubnis fragen muss.
Inzwischen hat Riemer, der selbst kein Lehrer, sondern vor allem passionierter Blogger ist, einige weitere Blogs an der Schule betreut - unter anderem mit einer Musiklehrerin MP3s aufgenommen. Die Deutschlehrerin, mit der er am Anfang zusammengearbeitet hatte, konnte er nicht zum Bloggen bekehren.
Viele Lehrer, die sich in Blogs engagieren, bleiben Einzelkämpfer und engagierte Kollegen, welche die Mühe nicht scheuen, sich mit neuer Technologie auseinanderzusetzen. Auch wenn noch nicht alles reibungslos funktioniert, zeigt ihre Arbeit schon heute, wie das Lernen von morgen aussehen könnte.
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