Leistungen für Asylbewerber: Gängeln für die Stimmung

Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) drängt auf Bezahlkarten für Geflüchtete. Dabei missachtet er Gesetze und bedient Ressentiments.

Transparent mit der Aufschrift «Bargeld statt Entmündigung»

Protest-Transparent 2012 am Zaun von Brandenburgs zentraler Erstaufnahmeeinrichtung in Eisenhüttenstadt Foto: Patrick Pleul / dpa

BERLIN taz | Gegen jegliche Erfahrungswerte kommen längst verbannt geglaubte Geister der Gängelung zurück: Bezahlkarten für Geflüchtete. Brandenburg ist nun vorgeprescht. Und bügelt damit sowohl Bemühungen für ein gleichberechtigtes Zusammenleben als auch eigene Erfolge für mehr Gerechtigkeit weg. Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) hatte am Mittwoch seinen Innenminister Michael Stübgen (CDU) beauftragt, ein Vergabeverfahren für eine solche Bezahlkarte zu organisieren. Die Landesregierung will dafür 1,9 Millionen Euro bereitstellen.

Sein Vorstoß geht zurück auf eine Länderkonferenz vom vergangenen Herbst. Die Mi­nis­ter­prä­si­den­t*in­nen hatten sich in Bund-Länder-Treffen darauf verständigt, dass Asylsuchende zukünftig zumindest einen Teil ihrer Leistungen als Guthaben auf ein Bezahlkartensystem bekommen sollen. Bisher zahlen Sozialämter Leistungen direkt aus, oder sie überweisen sie an diejenigen, die bereits ein Konto haben. Teils können Gelder auch in Heimen ausgezahlt werden.

Ziel sei, die Kommunen durch die Umstellung auf ein Kartensystem organisatorisch zu entlasten, da sie dann nicht mehr monatlich Geld auszahlen müssen, hieß es damals. Hintergrund aber war die Vorstellung, Bargeld sei ein Anreiz für „illegale Migration“. Auch in Berlin sind solche Bezahlkarten aktuell Thema im Senat.

Beim Flüchtlingsrat Brandenburg ist man überrumpelt – und verärgert. Die Karte sei „Ausdruck einer Politik, die wieder einmal nur zu mehr Ungleichbehandlung beiträgt und die kein einziges Problem lösen wird“, kritisiert Flüchtlingsrats-Mitglied Kirstin Neumann. Die Karten könnten etwa auf bestimmte Waren, für bestimmte Läden und bestimmte Regionen beschränkbar sein, doch das sei alles noch unklar.

Neumann bezweifelt zudem, dass Bezahlkarten rechtlich haltbar sind. „Wir gehen davon aus, dass dafür erst das Asylbewerberleistungsgesetzes auf Bundesebene geändert werden müsste“, sagt sie. Denn wer nicht mehr in einer Erstaufnahmeeinrichtung lebt, soll nach jetziger Gesetzeslage vorrangig Geldleistungen erhalten. Das Gesetz war 2015 geändert worden, weil das Bundesverfassungsgericht geurteilt hatte, dass ein System von Gutscheinen und eingeschränkten Einkaufsmöglichkeiten die Würde der Menschen verletze. Eine „Versorgung mit Sachleistungen zur Abschreckung“ widerspreche ganz klar diesem Urteil, sagt der Flüchtlingsrat.

Integrationsbeauftragte warnt vor Diskriminierung

Auch Brandenburgs Integrationsbeauftragte Doris Lemmermeier lehnt die Pläne für Bezahlkarten ab. Mit Bargeld für den Lebensunterhalt würden „nicht im großen Stil die Schlepperbanden bezahlt“, sagte sie der Deutschen Presse-Agentur. „Ich bleibe auch bei meiner Aussage, dass ich das diskriminierend finde“, sagte sie. Den Menschen werde nicht zugetraut, verantwortlich mit dem Geld umzugehen.

Woidke hält die Bundesgesetzeslage bisher nicht auf. „Eine Umstellung von Barzahlungen auf Sachleistungen mit der bundesweiten Einführung von Bezahlkarten kann ein wichtiger Schritt sein, um illegale Migration zu reduzieren“, sagte er. „Wir benötigen ein Umdenken bei der Gewährung von Leistungen für geflüchtete Menschen.“

Dabei lässt er auch unter den Tisch fallen, dass es seine eigene Partei, die SPD, gewesen war, die sich in der Vergangenheit in Brandenburg, aber auch bundesweit dafür eingesetzt hatte, dass Flüchtlinge bevorzugt Geldleistungen bekommen. „2011 war die SPD-geführte Landesregierung noch auf dem Standpunkt, dass Sachleistungen die eigenständige Lebensgestaltung der Betroffenen einschränken“, kritisiert Brandenburgs Flüchtlingsrat.

In seiner Simulation von Anpack-Aktivismus setzt sich Woidke nicht nur über die Ansicht seiner Integra­tionsbeauftragten, sondern auch über sein eigenes grünes Sozial- und Integrationsministerium hinweg. Die wären nämlich eigentlich für die Maßnahme zuständig. Die Sozial- und Integrationsministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) hatte sich in der Vergangenheit kritisch zu einer Karte positioniert und grundsätzliche Bedenken geäußert. Aktuell wollte sie die Bezahlkarte nicht kommentieren.

Berlin wartet noch ab

In Berlin pocht die Senatsverwaltung für Soziales auf die Gesetzeslage: „Mit der Einführung der Bezahlkarte soll keine Abkehr vom Geldleistungs- hin zum Sachleistungsprinzip verbunden sein.“ Barauszahlungen müssten ermöglicht werden, Einkaufsmöglichkeiten nicht eingeschränkt und die Karte dürfe nicht zur Stigmatisierung führen, teilt ein Sprecher auf Nachfrage mit. Ob Berlin sich an einem bundesweiten Vergabeverfahren für Bezahlkarten beteiligt, will man im März entscheiden.

„Wir lehnen dieses System als diskriminierend und bevormundend ganz klar ab“, sagt Sina Stach vom Flüchtlingsrat Berlin. „Eine Bezahlkarte greift massiv in das Recht auf Selbstbestimmung ein. Man kann damit überwachen und reglementieren, wie und wo Menschen bezahlen“, sagt sie. „Das öffnet Tür und Tor für weitere Einschränkungen.“ Es sei komplett unklar, wie kommende Regierungen mit solchen Bezahlkarten umgingen, wenn das System einmal etabliert ist. „Und es ist zynisch: Menschen fliehen nicht, weil sie hier Bargeld bekommen“, sagt Stach. „Entlastend für die Bürokratie wäre, wenn Asylsuchende direkt ein Basiskonto bekommen, auf das Leistungen ausgezahlt werden“, sagt sie. „Das befürworten wir.“

Während Berlin überlegt, schafft Brandenburg Tatsachen: Der Innenminister werde den IT-Dienstleister Dataport bis 15. Januar mit der Durchführung eines Vergabeverfahrens zur Auswahl eines Dienstleisters für die Ausgabe und Beladung von Debitkarten beauftragen, teilte Woidtkes Regierungssprecher mit. Auch Sachsen-Anhalt will sich an der Beauftragung eines Dienstleisters für ein Vergabeverfahren beteiligen.

„Kniefall“ und „Stimmenfang“

Woidke bediene „auf Stimmenfang“ die „Ressentiments rückwärtsgerichteter Kräfte“, kritisiert Brandenburgs Flüchtlingsrat. Es ginge ihm nicht um eine gute Versorgung, sondern um „den Ausbau von Kontrolle.“ Dabei missachte er Aufrufe für eine „sachliche Migrationsdebatte“ aus Politik und Zivilgesellschaft. Viele Landkreise würden bereits effizientere Lösungen nutzen, indem sie Asylbewerberleistungen direkt auf Bankkonten überweisen. „Die Landesregierung investiert 1,9 Millionen Euro in eine Maßnahme, die in der Praxis keinen Nutzen bringt“, das Geld müsste stattdessen in die soziale Infrastruktur investiert werden, heißt es vom Flüchtlingsrat.

Andrea Johlige, flüchtlingspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Brandenburger Landtag, bezeichnete Woidkes Schritt als „Kniefall vor der AfD“. „So eine Bezahlkarte führt doch am Ende nur dazu, dass sie umgangen wird“, sagt Johlige. Solidarische Menschen hätten auch damals schon Geflüchteten Gutscheine abgekauft, damit sie Bargeld hätten. „Es war ein Erfolg der Zivilgesellschaft, dass das Sachleistungsprinzip damals abgeschafft wurde“, betont sie. „Wer das AfD-System bedient, macht sie nur stark, das sollte doch inzwischen klar sein.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.