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Lehrkräfte streiken für kleinere KlassenSchlechtes Timing

Anna Klöpper
Kommentar von Anna Klöpper

Die Gewerkschaft GEW will in Berlin kleinere Klassen tarifvertraglich regeln. Das Anliegen ist verständlich – und etwas naiv. Ein Wochenkommentar.

Kämpferisch: Die Berliner Lehrkräfte waren zum Warnstreik für kleinere Klassen aufgerufen Foto: picture alliance/dpa | Felix Zahn

D ie Gewerkschaft der Berliner Lehrkräfte, die GEW, macht es sich gerade wirklich nicht leicht: Von Unverständnis über Spott bis zu offener Empörung reichte die Bandbreite der Reaktionen auf den Warnstreik der Gewerkschaft am Donnerstag, schließlich lag er mitten in der mündlichen Abiturprüfungsphase. Rücksichtslos sei das, ein Streik auf dem Rücken der ohnehin schon pandemiegebeutelten Jugendlichen, hieß es selbst von gewerkschaftlichen Anliegen stets wohlgesonnen Bildungspolitiker*innen. Die Vorsitzende der Vereinigung der Berliner Schulleiterinnen und Schulleiter in der GEW trat gar aus Protest von ihrem Amt zurück.

Immerhin: Dank der Termindiskussion erreichte das Anliegen sogar die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD). Sie tat der Gewerkschaft den Gefallen, über den eigentlich überschaubaren Warnstreik – lediglich 3.000 der rund 24.000 angestellten Lehrkräfte in Berlin beteiligten sich – auch noch fünf Worte zu verlieren. Kleinere Klassen, sagte die Regierende, seien ja ein verständliches Anliegen – aber doch nicht bei dem bekannten Lehrkräftemangel. Und dann auch noch die vielen geflüchteten Kinder, die es nun gelte, zu integrieren!

Das ließ die GEW mit ihrer Forderung nach kleineren Klassen – 19 Kinder maximal an Grundschulen statt der bisher erlaubten 26 – etwas blöd da stehen: ein bisschen naiv wirkt die Gewerkschaft, ein bisschen realitätsfern. Und auch ein bisschen selbstbezogen: Schließlich geht es in dem Tarifvertrag Gesundheitsschutz, der erstritten werden soll, um Kompensationen für die Kolleg*innen. Sprich: Sind die Klassen voller als 19 Schüler*innen, müssten die Lehrkräfte in diesen Klassen nach GEW-Vorstellungen einen finanziellen Ausgleich bekommen.

Mehr Geld fordern, wo es doch jetzt darum gehen sollte, jeden verfügbaren Stuhl im Zweifel mit einem geflüchteten Kind zu besetzen – da kann man in der öffentlichen Wahrnehmung eigentlich nur verlieren. Statt die öffentliche Bühne für eine inhaltliche Auseinandersetzung zu bekommen, muss sich die Gewerkschaft jetzt rechtfertigen und sieht sich in die Ecke gedrängt. Der Streik ist ganz einfach schlechtes Timing.

Das Ziel bleibt utopisch

Um doch nochmal auf das inhaltliche Anliegen nach kleineren Klassen zu schauen: Auch bei der Gewerkschaft weiß man natürlich, dass angesichts des Personal- und Raummangels in Berlin kleinere Klassen auch auf mittelfristige Sicht erst mal eine Utopie bleiben.

Die Zahl der Schulkinder wächst, rund 15.000 geflüchtete Kinder kommen nach Schätzungen der Bildungsverwaltung durch den Krieg in der Ukraine noch dazu. Und bis eine Schule neu gebaut ist, dauert es trotz der Schulbauoffensive des Senats immer noch viel zu lange. Die Kapazitäten für mehr Lehramtsstudienplätze werden dieses Jahr mit den Berliner Universitäten erst neu verhandelt.

„Der Tarifvertrag soll in die Zukunft wirken und den Druck auf den Arbeitgeber erhöhen“, versuchte der Berliner GEW-Vorsitzende Tom Erdmann die Pes­si­mis­t*in­nen zu kontern. Es geht also um ein tarifliches Druckmittel, um die rot-grün-rote Koalition an ihr selbst gestelltes Ziel des „nachhaltigen Personalaufwuchses“ in den Schulen zu gemahnen. Für den wollen die Koalitionäre immerhin „alle Möglichkeiten ausschöpfen“.

Wenn die selbst gesteckten politischen Ziele quasi mit einer Vertragsstrafe bewehrt sind – wird nicht in mehr Personal investiert, kostet das auch Geld – sorgt das für die nötige Ernsthaftigkeit, den Lehrkräftemangel anzugehen. Damit hat die GEW theoretisch Recht. Und genau deshalb wird ihr Ruf nach kleineren Klassen bis auf weiteres Wunschdenken bleiben.

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Anna Klöpper
Leiterin taz.eins
Seit 2011 bei der taz. Leitet gemeinsam mit Sunny Riedel das Ressort taz.eins. Hier entstehen die ersten fünf Seiten der Tageszeitung, inklusive der Nahaufnahme - der täglichen Reportage-Doppelseite in der taz. Davor Ressortleiterin, CvD und Redakteurin in der Berliner Lokalredaktion. Themenschwerpunkte: Bildungs- und Familienpolitik.
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4 Kommentare

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  • Die GEW kann sich den Zeitpunkt ihres Arbeitskampfes nicht aussuchen, hat den vom Land Berlin selbst verschuldeten Lehrermangel nicht zu vertreten und kann nichts für die Ukraineflüchtlinge - oder möchte die taz die Mehrbelastungen auf dem Rücken der Arbeitnehmer austragen.

    Daher wäre es ein einfacher Kompromiss, den aus meiner Sicht berechtigten Forderungen nachzugeben, diese wegen den Flüchtlingen aus der Ukraine für 24 Monate auszusetzen und für diesen Zeitraum eine Zulage zu zahlen.

    • @DiMa:

      Ein bischen Realismus wäre angebracht.

      Tatsache ist, die Schulen haben über Jahre versagt und zwar komplett!



      Eine frühere unfähige Schulsenatorin hat ihren Beitrag dazu geleistet.

      Man reibt sich die Augen, das sind doch alles intelligente Menschen und das Ergebnis ist erschütternd!!!!

      • @cuba libre:

        Die Belegschaft muss sich demnach die Fehler des Managements zurechnen lassen? Das Versagen des Landes Berlin kann wohl kaum dazu führen, dass Arbeitnehmer schlechte Arbeitsbedingungen hinzunehmen haben.

        Im übrigen wäre ein besserer Personalschlüssel auch positiv für die Entwicklung der Schüler.

  • In den Grundschulen wird doch Rechnen gelernt.



    Textaufgabe: Wenn ich also jede Klasse künftig halbiere, wieviele Lehrer/innen braucht es dann, um alle Schüler weiterhin zu unterrichten.