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Lehrerverbände und CoronaBerufsmäßiges Unken

Gastkommentar von Thomas Gesterkamp

Lehrerverbände vertreten die Interessen ihrer Mitglieder, das ist ihre legitime Aufgabe. Aber müssen sie deshalb aktiv auf Schulschließungen drängen?

Mit weißen Fahnen wollen Grundschulen in NRW auf ihre Überlastung aufmerksam machen Foto: Federico Gambarini /dpa

I m ersten Coronalockdown protestierte die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), als ältere Lehrkräfte in Sachsen ein ärztliches Attest über ihre „Vorerkrankung“ vorlegen sollten. Zuvor waren diese auf eigenen Wunsch ohne medizinische Prüfung von ihrer Tätigkeit freigestellt worden. Die GEW beanspruchte für sie Sonderrechte.

Bald danach wandte sich der Landesverband Nordrhein-Westfalen gegen eine Wiedereröffnung der Förderschulen: Ausgerechnet Kinder mit geistigen, körperlichen oder sozia­len Handicaps sollten weiter zu Hause bleiben, mit der Begründung, sie könnten die Abstandsregeln nicht einhalten. In Schleswig-Holstein warf die Gewerkschaft kürzlich der Schulministerin vor, „nur auf Präsenz zu setzen und den Distanzunterricht zu tabuisieren“.

Thomas Gesterkamp schreibt unter anderem zu bildungspolitischen Themen. Für die Rosa-Luxemburg-Stiftung recherchierte er über „Schule in Zeiten der Pandemie“, die Onlinepublika­tion ist abrufbar unter www.rosalux.de.

Solche Aussagen kommen von einer Organisation, deren wichtigstes Anliegen das Fördern junger Menschen sein müsste. Stattdessen betreibt die GEW seit zwei Jahren Lobbypolitik für jene, die sich (teils sehr verständlich) vor dem Unterrichten in Coronazeiten fürchten. Sie agiert nur als Vertretung der Lehrenden – und vernachlässigt die Lernenden. Priorität hat der Gesundheitsschutz der Mitglieder, Probleme von Kindern und Eltern interessieren nur am Rande. Doch im Vergleich zu ihren Mitbewerbern wirkt die GEW noch moderat.

Wenn Heinz-Peter Meidinger vor die Mikrofone tritt, weiß man schon vor dem ersten Satz, was kommt. „Mehr Schulen werden dichtmachen müssen“, prophezeite der medial dauerpräsente Vorsitzende des Deutschen Lehrerverbands zuletzt. Omikron habe in den Klassen „leichtes Spiel“, Normalität sei „in weite Ferne gerückt“. Der pensionierte Pädagoge, bis 2020 Direktor eines Gymnasiums im niederbayerischen Deggendorf, trägt nicht umsonst den spöttischen Spitznamen „Unke“. Düstere Prognosen verbindet er mit Appellen an Solidarität, sorgt sich aber stets um die eigene Klientel: „Wenn wir die Kontakte herunterfahren müssen, können die Schulen nicht außen vor bleiben.“ Meidinger ist der Lautsprecher einer Berufsvereinigung, die den Arbeitsplatz ihrer Mitglieder am liebsten geschlossen sieht.

Sonderweg in der Pandemie

Udo Beckmann, Chef des Verbands Bildung und Erziehung, der Lehrkräfte im Deutschen Beamtenbund organisiert, verfasst ähnliche Stellungnahmen. Die eher progressiv orientierte GEW, Einzelgewerkschaft im DGB, steckt in einem besonderen Dilemma: Verbal tritt sie für offene Schulen ein, lehnt Schließungen jedoch nicht grundsätzlich ab. Sie will legitimerweise Ansteckungen beim Lehrpersonal verhindern, doch es fehlt ihr an Sensibilität für die sozialen und psychologischen Folgen der Pandemie. Das Dichtmachen von Bildungsstätten – dazu zählen übrigens auch die Universitäten, von denen in öffentlichen Debatten selten die Rede ist – verschärft die von der Gewerkschaft angeprangerte Spaltung der Gesellschaft.

Priorität hat die Gesundheit der Lehrer, Probleme von Kindern und Eltern interessieren nur am Rande

Vor allem Kinder aus armen Haushalten leiden unter zugesperrten Schulen und Digital­unterricht. Zahlreiche Forschungsergebnisse haben das inzwischen bestätigt. Nach einer Studie des Uniklinikums Essen sind die Suizidversuche Minderjähriger in der Coronakrise deutlich gestiegen. Benachteiligte werden weiter abgehängt, in geflüchteten Familien sind Rückschritte beim Lernen der deutschen Sprache erkennbar. Enge Wohnungen bieten wenig Platz, die Eltern können oft nicht helfen, es fehlen technische Voraussetzungen wie Internetanschluss oder Drucker.

Trotz Auflagen wie Maskenpflicht und regelmäßigem Testen ist die Gefahr erneuter Schulschließungen nicht gebannt. Das rigide deutsche Vorgehen unterscheidet sich von dem der Nachbarn. Frankreich etwa verfolgte stets das Ziel der „ecole ouverte“, auch als es noch keine Impfungen gab. Die Geringschätzung öffentlicher Bildung hierzulande hat Tradition; die Zahl jener Eltern, die das „Freilernen“ zu Hause propagieren und die Schulpflicht generell ablehnen, ist größer als anderswo.

In der Pandemie führte das zu einem Sonderweg, zumindest im europäischen Vergleich. Mexiko, Bangladesch oder die Philippinen erließen allerdings noch viel radikalere Maßnahmen, teilweise waren die Schulen dort mehr als ein Jahr lang dicht. Unicef schätzt, dass mindestens 200 Millionen Kinder über einen langen Zeitraum auf Unterricht verzichten mussten, es spricht von einer „schweren weltweiten Bildungskrise“. In Brasilien sind viele Kinder nicht mehr in die Klassen zurückgekehrt: Wegen der Not ihrer verarmten Familien haben sie Billigjobs angenommen, verrichten wie in der Vergangenheit Kinderarbeit.

Blick auf die Schü­le­r:in­nen richten

Die deutsche GEW bezeichnet sich als „Bildungsgewerkschaft“. Das suggeriert ein Profil, das gesellschaftspolitische Ziele verfolgt und über berufsständischen Egoismus hinausweist. Die Funktionäre verfolgen sicher keine bösen Absichten, doch ihre einseitige Parteinahme für die Lehrkräfte schickt Kinder und Jugendliche ins Abseits. Zu Recht hat die Gewerkschaft die Versäumnisse der Schulbürokratie kritisiert, als die sich kaum um die Anschaffung von Luftfiltern kümmerte. Sie hat auch auf den maroden Zustand der Gebäude hingewiesen, der vielerorts dazu führt, dass sich kaputte Fenster nicht öffnen lassen.

Täglich über Stunden vor mehr als 30 Kindern in einem kleinen Raum zu stehen, birgt ein deutlich höheres Infektionsrisiko als Büroarbeit im Homeoffice. Und die Schulen schließen sich von selbst, wenn zu viele Lehrkräfte fehlen. Doch inzwischen sind über 90 Prozent von ihnen geimpft, die meisten schon geboostert. Daher sollte der Blick wieder vorrangig auf die Schülerinnen und Schüler gerichtet werden, denn sie gehören zu den Hauptleidtragenden der Pandemie.

Es irritiert, dass selbst Heinz Hilgers, der engagierte Präsident des Deutschen Kinderschutzbunds, dafür plädiert, „nicht um jeden Preis am Präsenz­unterricht festzuhalten“. Wie die GEW sieht er Schließungen nur als „letztes Mittel“. Dennoch zeigt sich hier exemplarisch eine geradezu missbräuchliche Umdeutung des Begriffs „Schutz“: Denn die benachteiligten Kinder und Jugendlichen werden so ihrer Zukunftschancen beraubt.

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4 Kommentare

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  • Worüber genau echauffiert sich der Autor hier so übermäßig?



    - man will Schulschließungen nicht ganz ausschließen, wenn es richtig schlimm wird



    - Gesundheitsschutz für alle am Schulleben Beteiligten wird als wichtig erachtet



    Nichts davon scheint mir unvernünftig, wenn ich ehrlich bin.



    (Dass Impfung nicht immer schützt, Tests Omikron oft nicht erkennen, Eltern, Lehrer und Schüler Vorerkrankungen haben können oder Angehörige mit solchen - all dies scheint dem Autor nicht so präsent zu sein.)



    Was für ein übles Stück Polemik!

  • "Aber denkt doch Mal jemand an die Kinder..." Pointe vieler Witze. So wie dieser Text.

    Was will der Autor uns hiermit sagen? Das die Schüler:innen der GEW egal seien? Weil sie sich erlaubt als letztes Mittel eine Schulschließung in Erwägung zu ziehen? Es würde sich doch wenn nur um eine temporäre Lösung handeln. Mittlerweile sind fast alle Schulen fit für einen Distanzunterricht und vor der Schließung kommt das Wechselmodell zum Einsatz.

    Oder kann es sein das eine Gewerkschaft als aller Erstes vielleicht seine Mitglieder vertritt und dann natürlich auch deren Klientel?

    Frei nach Wikipedia: "Eine Gewerkschaft ist eine Vereinigung der Interessenvertretung von abhängig beschäftigten Arbeitnehmern zur Vertretung ihrer wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Interessen."

    Lieber Autor wenn du gerne Kritik an Lehrergewerkschaften öffentlich im einer linken Medienblase üben möchtest, dann nimm dir doch z.B. den Deutschen Philologenverband vor. Gutes Thema wäre dort Beispielsweise A13 für alle ;).

  • So manch einer scheint den Schuss nach zwei Jahren Immer Noch nicht gehört zu haben, Frei nach dem Motto: lieber Tot Al's Ehrenrunde.

    Statt den Kindern perspektivistisch klar zu Machen, dass wir um Ehrenrunden nicht rumkommen und ihnen zu versichern, dass daran eben die Lage Schuld sei, wird hier wild eine Gruppe misbraucht um die eigenen irrationalen Wünsche zu projezieren.

    Das eigentliche Problem Der letzten zwei Jahre war die Konzentration auf den Arbeitsplatz und die Betrachtung Der Schulen Al's Verwahrorte, welche nicht wegfallen dürfen, um Der Wirtschaft nicht zu Schaden. Dass die Verbände sich jetzt Schützend vor Mitglieder und Kinder(!) stellen, ist Mehr Al's Begrüsenswert und höchste Zeit. Der Grundgedanke Leben und die Gesundheit Der Kinder aifs Spiel zu setzen, damit diese nicht ein Jahr länger Der Wirtschaft fehlen, ist einfach pervers und symptomatisch für den sterbenden Kapitalismus.

  • Mir sieht es nicht so aus, als ob Lehrer zur Zeit überbeansprucht werden. Hier in Baden Württemberg hatten letztes Schuljahr z.B. Sportlehrer nicht einen Tag Präsenzunterricht oder Onlineunterricht gehalten, waren aber beim Abitur in der Lage Schüler vom Abitur auszusperren, wenn sie eine bestimmte Leitung nicht erbracht haben, die vorher natürlich nicht gelehrt bzw. geschult werden konnte. Es gibt sicher Einzelfälle, bei denen es zu mehr Aufwand geführt hat, aber ich denke, das ist bei allen Berufstätigen Personen in der Pandemie passiert. Manche Lehrer sitzen auf einem ganz schön hohen Ross.