Lehrermangel in Berlin: Weniger Stunden – guter Unterricht
Den vorgeschriebenen Stundenplan trotz der Personallage an den Schulen zu erfüllen, bringt wenig. Viel sinnvoller wäre, das Pensum zu reduzieren.
Z um neuen Schuljahr fehlen über 1.000 Lehrkräfte in Berlin. Weniger individuelle Förderung, vollere Klassen und Zementieren von Bildungsungerechtigkeit sind die Folgen. Aber – so hat es Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse verkündet – die vorgeschriebene Stundentafel sei nicht in Gefahr. Heureka! So werden auf dem Papier möglichst viele der vorgeschriebenen Stunden in allen Fächern erteilt werden.
Was dann in diesen Stunden qualitativ passiert und was die Schüler*innen wirklich lernen, ist egal. Stunden werden erteilt, Förderung fällt weg. Doch die Kürzung der Förderangebote würde vor allem Schüler*innen treffen, bei denen die individuelle Förderung besonders wichtig ist. Der riesige Lehrkräftemangel wird Berlin noch Jahre begleiten. Sollte da die Aufrechterhaltung des Stundenplans wirklich das bestimmende Handlungsmotiv sein?
Als ehemaliger Lehrer kann ich sagen, dass meinen Schüler*innen 30 Stunden guter und personell abgedeckter Unterricht mit Förderangeboten deutlich mehr gebracht hätten als 35 Stunden, von denen für viele Schüler*innen nicht viel rumkommt, wenn ständig Lehrer*innen wechseln oder der Unterricht gleich ganz ausfällt.
Wäre weniger nicht mehr? Weniger Stunden, mehr Förderung. Weniger Stunden, mehr Zeit für jede*n einzelne*n Schüler*in. Weniger Stunden, aber bessere Bildung. Jetzt müssen die Weichen für eine gut ausgestattete und anders gedachte Berliner Schule gestellt werden. Dass im neuen Berliner Doppelhaushalt 17 Millionen Euro mehr für die Lehrkräfteausbildung und 3 Millionen für multiprofessionelle Teams vereinbart wurden, ist gut.
Philipp Dehne
ist Mitglied der Linksfraktion in der BVV Neukölln und hat mehrere Jahre als Lehrer in Kreuzberg und Neukölln gearbeitet. Seit 2019 ist er als Bildungsaktivist bei der parteiübergreifenden Initiative „Schule in Not“ aktiv, die er mit aufgebaut hat.
Dass Raed Saleh diese Ausgaben als „bildungspolitisches Feuerwerk“ bezeichnet, ist ein Witz. Ein bildungspolitisches Feuerwerk, das seinen Namen verdient, würde deutliche Mehrausgaben für eine Ausbildungsoffensive bei Lehrkräften und Sozialarbeiter*innen, den schnellen Aufbau von multiprofessionellen Teams sowie eine Überarbeitung des Lehramtsstudiums bedeuten, so wie es die Kampagne „Schule muss anders“ schon lange fordert.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei VW
Massiver Gewinneinbruch bei Volkswagen
VW-Vorstand droht mit Werksschließungen
Musterknabe der Unsozialen Marktwirtschaft
Verfassungsgericht entscheidet
Kein persönlicher Anspruch auf höheres Bafög
Kamala Harris’ „Abschlussplädoyer“
Ihr bestes Argument
Zu viel Methan in der Atmosphäre
Rätsel um gefährliches Klimagas gelöst
Nahostkonflikt in der Literatur
Literarischer Israel-Boykott