Leerstand in Prenzlauer Berg: Keine neue Wohnung
Die Initiative Deutsche Wohnen und Co enteignen entdeckte, dass etliche Wohnungen der Deutsche Wohnen in Prenzlauer Berg absichtlich leer stehen.
„Abends ist es richtig gruselig im Viertel, es brennen nur noch ganz wenige Lichter“, erzählt Niklas G. (Name geändert) der taz, einer der wenigen Mieter, der noch in einem der betroffenen Häuser ausharrt. Ursprünglich habe die DW große Pläne gehabt: „Ende 2016 hatte ich die erste Modernisierungsankündigung im Briefkasten“, sagt G. Um die Miete erhöhen zu können, habe der Konzern unter anderem geplant, in seiner 31-Quadratmeter-Wohnung ein vergrößertes Bad zu platzieren, mit schicker Badewanne und beheiztem Handtuchtrockner.
Viele Nachbar:innen seien bereits nach dem ersten Brief weggezogen, sagt G. Weitere habe die DW mit Ausweichwohnungen und Abfindungen weggelockt. Laut G. werden die Häuser systematisch entmietet: Ziehe jemand aus, bleibe die Wohnung leer. Auch repariert würde kaum noch, inzwischen sei der Zustand des Hauses „grausam“. G. will dennoch bleiben. „Ich lasse so einen Scheiß nicht mit mir machen“, sagt er.
Zunächst ist unklar, warum DW überhaupt modernisieren darf. Schließlich befinden sich die Häuser in einem sogenannten Milieuschutzgebiet. Modernisierungen, die auf Aufwertung der Wohnhäuser abzielen, können deshalb vom Bezirksamt untersagt werden. Doch dieses teilt mit, es habe viele der geplanten Baumaßnahmen bereits im Mai 2016 genehmigt, die restlichen im November 2020.
Keine Veranlassung für Maßnahmen
Das wiederum wirft die Frage auf, warum die Deutsche Wohnen nicht mit dem Modernisieren beginnt. Eine Konzernsprecherin schrieb auf taz-Nachfrage lediglich, die Baumaßnahmen wären „aus verschiedenen Gründen verschoben und bislang noch nicht umgesetzt“ worden. Eine mögliche Begründung wäre, dass der Konzern die Wohnhäuser vor Baubeginn vollständig entmieten will.
So teilte das Bezirksamt mit: In den fraglichen Objekten stehen mindestens 50 Wohnungen in 13 Häusern leer. Demnach liegen aber nur für 2 der 13 Häuser Leerstandsgenehmigungen wegen anstehender Modernisierungsmaßnahmen vor. Teilweise sind die Genehmigungen laut Bezirksdaten bereits 2018 ausgelaufen – also vor über 3 Jahren.
Das ist keine Lappalie: Laut Zweckentfremdungsverbotsgesetz ist es verboten, Wohnungen länger als 3 Monate ungenutzt zu lassen. Bei Verstoß sind Strafzahlungen von bis zu 500.000 Euro vorgesehen. Auch eine Beschlagnahme durch den Bezirk ist laut Gesetz möglich.
Doch offenbar sieht der zuständige Pankower Baustadtrat Vollrad Kuhn (Grüne) für solche Maßnahmen derzeit keine Veranlassung. Pressesprecherin Nicole Holtz schrieb der taz, zuvor müssten mildere Mittel wie Bußgelder ausgeschöpft werden. Doch auch zu diesen kam es bisher nicht. Holtz sagt lediglich, es bestehe „Abstimmungsbedarf“ mit dem Immobilienkonzern.
Akuter Überforderung im Bezirksamt
Überhaupt sei nicht klar, ob der Leerstand tatsächlich illegal sei. Die vom Bezirk angegebenen Daten seien lediglich die elektronisch erfassten. Um sicher nachzuprüfen, ob der Bezirk nicht doch eine Genehmigung ausgestellt habe, müsste scheinbar in 50 analogen Einzelakten nachgeforscht werden. Offenbar kann dem Bezirksamt dieser Arbeitsaufwand nicht zugemutet werden.
Womit das grundlegende Problem zu Tage kommt: „Im Bezirksamt herrscht akute Überforderung“, sagt Fred Bordfeld, der stadtpolitische Sprecher der Pankower Linken, der sich bereits Ende August in einer kleinen Anfrage an die Bezirksverodnetenversammlung (BVV) über den Status der Wohnungen erkundigte. Es gebe in Pankow eine „massive Leerstandsproblematik“, sagt Bordfeld, doch das Bezirksamt habe zu wenig Mitarbeitende, um dem nachzugehen.
Ursprünglich aufgedeckt hatte den Leerstand die Initiative hinter dem am kommenden Superwahlsonntag stattfindenden Volksentscheid zur Vergesellschaftung großer Wohnungskonzerne, die Deutsche Wohnen & Co. enteignen. Als sie im DW-Viertel Haustürgespräche führte, seien dem Kiezteam überquellende Briefkästen und namenlose Klingelschilder aufgefallen, erzählt Thomas Isele von der Kampagne.
Für Isele steht der Fall exemplarisch für das Geschäftsmodell von DW. Der Konzern steigere seine Profite „fast ausschließlich durch Mietsteigerung bei Neuvermietung und nach Modernisierung“, sagt er. Die Lösung der Problematik sieht er – natürlich – in der Enteignung des Immobilienkonzerns: „Wäre der Wohnraum vergesellschaftet, würden Modernisierungen unter wirklicher Mitbestimmung der Mieter:innen geplant“, sagt Isele. Es bestünde kein Anreiz mehr, Wohnungen in der Hoffnung auf künftige Gewinne leerstehen zu lassen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Ende der scheinheiligen Zeit
Hilfe, es weihnachtete zu sehr
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“