Lee Mingwei im Gropius Bau: Intime Akte zwischen Fremden

Lee Mingweis Kunst handelt von Begegnung und Kommunikation. Corona hat seine Schau verändert und noch relevanter gemacht.

Lee Mingwei, „Guernica in Sand“, 2006/2020. Installationsansicht im Gropius Bau, Berlin Foto: Laura Fiorio

In den vergangenen Monaten wurden viele Ausstellungen wegen Corona verschoben, geschlossen und wiedereröffnet oder abgesagt. Aber nur wenige Ausstellungen haben unter den Einschränkungen so gelitten wie „Geschenke und Rituale“ des taiwanesischen Künstlers Lee Mingwei im Berliner Gropius Bau.

Lee Mingweis Kunst handelt von Begegnung und Kommunikation; er selbst hat über seine Werke gesagt, dass es ihm darum ginge, „intime Akte zwischen Fremden“ zu ermöglichen. Und wenn durch Corona etwas besonders suspekt oder gefährlich geworden ist, dann genau das: das Verlangen, zwischen Fremden Nähe herzustellen. Nun ist die Ausstellung im Gropius Bau also unfreiwillig zum aktuellen Lackmus-Test dafür geworden, wie weit die Menschen bereit sind, sich aufeinander einzulassen.

Wenn zum Beispiel in der Arbeit „The Sleeping Project“ (seit 2000) zwei Fremde eine Nacht im selben Zimmer verbringen, hätte man bis vor wenigen Monaten wohl höchstens die Gefahr durch Schnarchen und allgemeine Peinlichkeit oder im allerschlimmsten Fall sexuelle Belästigung gesehen. Nun fürchtet man sich zu Recht vor Aerosolen, Schmierinfektionen und tödlichem Lungenversagen.

Auch bei der Berliner Ausstellung sollten per Losverfahren zufällige Bettgenossen bestimmt werden, was aber wegen Corona abgesagt werden musste. So stehen die Betten, die für die Aktion bereits installiert worden waren, etwas dekorartig in den hohen Hallen des wilhelminischen Prachtbaus herum. Statt eine gelebte Erfahrung zu sein verweisen sie nun auf etwas, das nicht stattgefunden hat. Das wirkt dann etwas traurig.

Teetrinken per Zoom

Auch das „Dinner Project“ (seit 1997) konnte nicht in der geplanten Form stattfinden. Eigentlich werden auch hier Besucher ausgelost, die mit Lee Mingwei Tee trinken und Gebäck essen, dessen Rezepte sie vorher miteinander ausgetauscht haben. Dieses Treffen wurde, wie es in der Ausstellung heißt, „in den virtuellen Raum“ verlegt; traurigerweise sitzen sich die Gesprächs­partner nun beim Teetrinken per Zoom gegenüber.

In einem Fall hat die Corona-Situation aber dazu beigetragen, dass die Arbeit für die aktuelle Situation weiterentwickelt wurde: Aus „Sonic Blossom“ (seit 2013), bei dem ein Opernsänger einem ausgewählten Besucher ein Schubert-Lied vorsingt, ist nun „Invitation for Dawn“ (2020) geworden, wo sich Sänger und Angesungener im Internet treffen. Die ursprüngliche Arbeit wird allerdings inzwischen auch wieder in der Ausstellung gezeigt; der Sänger steht allerdings hinter einer Plexiglasscheibe.

Lee Mingwei: 禮 Li, Geschenke und Rituale läuft noch bis zum 12. Juli im Gropius Bau. Niederkirchnerstraße 7, Berlin

In der Beschreibung mögen die Arbeiten von Lee Mingwei manchmal naiv oder schlicht wirken. Tatsächlich entfalten sie erst in der Ausführung ihre Zugkraft. Wenn man liest, dass sich Lee Mingwei für „The Tourist“ (seit 2001) von Bekannten durch ihre Lieblingsgegenden führen lässt und dann die Fotografien, die beide geschossen haben, nebeneinander als Projektion zeigen, mag das zunächst gewöhnlich erscheinen. Aber wenn man dann sieht, wohin Dude vom Visitors Center in Jakarta den Künstler mitgenommen hat, entwickelt die Arbeit eine unerwartete Faszination.

Die Immersion in die Kunst, die bei den Berliner Festspielen – zu denen auch der Gropius Bau gehört – unter den Intendanz von Thomas Obereder ein Leitmotiv geworden ist, war bei Arbeiten in früheren Ausstellungen wie „Welt ohne Außen“ oft eher behauptet als tatsächlich zwingend erfahrbar. Oder sie wurde mit brachialen, medialen Mitteln erzwungen, die dem Betrachter keine Alternative dazu ließen, als sich von der Kunstpräsentation überfahren zu lassen.

Kompass für das eigene Verhalten

In der aktuellen von Gropius-Bau-Chefin Stephanie Rosenthal kuratierten Ausstellung gelingt es mit Lee Mingweis leiser, unaufdringlicher Art auf viel effektivere Weise, den Zuschauer in dessen eigene Welt mitzunehmen. Dort lässt sich viel Zeit verbringen, „Geschenke und Rituale“ ist darum eine Ausstellung, die man möglichst mehrfach besuchen sollte.

Offensichtliche Berührungspunkte hat die Arbeit von Lee Mingwei mit den Künstlern, die in den 90er Jahren unter dem Begriff der „Relational Aesthetics“ geführt wurden und die im Gropius Bau zuletzt durch die Einzelausstellung von Philippe Parreno vertreten waren. In beiden Fällen wird vom Betrachter ein „aktives Betrachten“, oft sogar direkte Teilnahme an der Kunstproduktion erwartet.

Aber während sich die Kunst der „Relational Aes­thetics“ immer stark durch ihren Bezug auf die Kunstszene definierte, spürt man bei der Arbeit von Lee Mingwei immer ein echtes Interesse am ganz normalen Mitmenschen, das zu gleichen Teilen von Respekt und Neugier geprägt ist.

Der Austausch zwischen Fremden, den Lee Mingwei ermöglichen will, ist geprägt von Großzügigkeit und Vertrauen. Das verleiht seiner Kunst etwas fundamental Zivilisiertes. Jetzt, wo nach kollektiver Quarantäne das große Hauen und Stechen langsam wieder losgeht, liefert Lee Mingweis Ausstellung auch einen Kompass für das eigene Verhalten in einer Zeit, in der offenbar viele das Ausrasten nachzuholen scheinen, das sie während der Phase des Lockdowns aufgeschoben hatten.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.