Leck an Gaspipeline Finnland-Estland: Helsinki schließt Sabotage nicht aus
Am Wochenende wurde die Gasleitung Balticconnector beschädigt. Laut Finnlands Regierung offenbar absichtlich. Aber auch andere Ursachen sind möglich.
An der Erdgaspipeline zwischen Finnland und Estland war am Wochenende ein Schaden festgestellt worden. Bei Untersuchungen am Dienstagvormittag habe sich herausgestellt, dass dieser so umfassend ist, dass er nicht auf „natürliche Ursachen“ zurückgeführt werden könne, so Orpo. Es sei deshalb „wahrscheinlich, dass äußere Einwirkung“ dafür verantwortlich sei. Allerdings sei noch unklar, welche.
Auf eine direkte Frage, ob womöglich Russland verantwortlich sein könne, erklärte Orpo, er wolle nicht spekulieren. „Es ist wichtig, dass die Sache gründlich untersucht wird und keine voreiligen Schlüsse gezogen werden“.
Die Pipeline Balticconnector verläuft zwischen dem finnischen Ingå und Paldiski in Estland und war 2020 in Betrieb genommen worden. Sie verbindet die Erdgasnetze Finnlands und Estlands, ermöglicht Finnland damit den Zugriff auf das unterirdische Erdgaslager Inčukalns in Lettland. Seit Anfang des Jahres dient sie auch dazu, Erdgas, das über das neue schwimmende LNG-Terminal Ingå gelöscht und dort in konventionelles Gas umgewandelt wird, nach Estland zu transportieren.
Ungewöhnlicher Druckabfall
Die Behörden sind auf jeden Fall alarmiert. Im September 2022 hatten Explosionen an drei der vier Röhren von Nord Stream 1 und 2 die Pipelines zwischen Russland und Deutschland unbrauchbar gemacht. Die finnische Polizei hat eine Voruntersuchung eingeleitet, ob die Leckage auf Sabotage oder andere Gründe zurückzuführen sei. Nach einer Mitteilung des ebenfalls bei der Pressekonferenz anwesenden Polizeioberinspektors Timo Kilpeläinen deutete allerdings nichts darauf hin, dass eine Sprengung oder Explosion den Schaden verursacht haben könnte.
Die Regierungen Estlands und Finnlands arbeiteten seit Sonntag bei dieser Frage zusammen, hieß es. Der finnische Staatspräsident Sauli Niinistö teilte mit, er habe am Dienstag auch Kontakt mit Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg gehabt: Die Nato habe sich bereit erklärt, bei den Ermittlungen zu helfen.
Der ungewöhnliche Druckabfall in der Pipeline war in der Nacht zum Sonntag aufgetreten, weshalb sich der Betreiber nach kurzer Zeit entschloss, den Gasfluss, der in dieser Zeit von Finnland nach Estland verlief, abzuriegeln. Laut dem Telekomprovider Elisa gab es in der gleichen Nacht auch eine Beschädigung an einem Unterwasser-Datenkabel zwischen beiden Ländern.
Das zeitgleich in dem Meeresgebiet herrschende stürmische Wetter könne das Leck an der Pipeline nicht verursacht haben, bestätigt der estnische Gas- und Stromproviders Elering. Die Rohre seien in den Meeresboden eingebaggert, der Wellengang könne sie dort nicht erreichen. Wie das seismologische Institut der Universität Helsinki mitteilte waren im fraglichen Zeitraum aber auch keine „ungewöhnlichen Vibrationen“ registriert worden, wie eine mögliche Explosion sie hätte verursachen können. Heidi Soosalu, Seismologin beim Estnischen Geologischen Dienst, bestätigte dies.
Pipeline „von einer Seite gerissen“
Allerdings hatte das norwegische seismologische Institut Norsar in der Nacht zum Sonntag um 1.20 Uhr finnischer Zeit eine Vibration in der Region registriert. Diese entsprach etwa der Erdbebenmagnitude 1 und war damit rund 30mal kleiner war als das, was seinerzeit bei Nordstream gemessen worden war. Estlands Verteidigungsminister Hannu Pevkur erklärte dazu am Dienstagabend: Aufgrund des Schadensbilds schließe er ebenso wie die Seismologen eine Explosion aus.
Am Mittwoch ging er noch einen Schritt weiter: Es könne sich zwar um Sabotage handeln, aber womöglich auch um einen unabsichtlichen Vorgang. Zum Beispiel „durch ein ein großes Schiff, dessen Anker am Meeresboden schleift, wenn das Schiff in der schweren See, wie in dieser Nacht herrschte vorwärts getrieben wird“. Dazu würde passen, was der estnische Marineoberbefehlshaber Cdre Saska im estnischen TV sagte: Offenbar sei Balticconnector „von einer Seite gerissen“.
Das norwegische Institut Norsar erklärte dazu, seine Messungen könnten durchaus auch damit erklärt werden, dass ein Anker in das Rohr einschlug und dadurch das Gas plötzlich unter hohem Druck entwichen sei.
Die Pipeline könnte je nach Schadensumfang einige Monate außer Betrieb sein, schätzt die staatliche finnische Gasnetzagentur Gasgrid. Sie rechnet aber nicht damit, dass das in Finnland oder Estland zu Liefer- oder Versorgungsengpässen führen könnte. Im finnischen Ingå liegt das LNG-Spezialschiff „Exemplar“ und im estnischen Paldiski wurde vor einigen Monaten eine für LNG-Tankschiffe mit Regasifizierungsanlage geeignete Anlegestelle fertiggestellt. Estland kann auch über ein LNG-Terminal im litauischen Klaipeda mit Erdgas versorgt werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren