Korruption in Norwegen: Insiderwissen am Frühstückstisch

Die frühere Ministerpräsidentin Solberg muss sich für den Aktienhandel ihres Mannes rechtfertigen. Seine Geschäfte passten gut zu ihren Entscheidungen.

Erna Solber trägt ein Regencape, an dem Tropfen herunterrinnen, Sindre Finnes trägt eine blaue Mütze und eine blaue Jacke

Was wusste sie von seinem Geschäft? Erna Solberg und Sindre Finnes beim Ski World Cup 2016 in Oslo Foto: Vegard Wivestad Grott/NTB/picture alliance

STOCKHOLM taz | In Norwegen zeichnete sich in den vergangenen Wochen immer deutlicher ein skandalöses Szenario ab: Während die Frau Politik macht, spekuliert der Ehemann am Aktienmarkt – mit Interna vom Frühstückstisch. Nach Einschätzung der Tageszeitung Dagbladet wäre das ein Skandal, der sich „in Umfang, Charakter und Bedeutung kaum mit einem anderen norwegischem Skandal messen kann“.

Es geht um Erna Solberg. Von 2013 bis 2021 war sie Ministerpräsidentin, und vor Kurzem noch die populärste Politikerin Norwegens. Anfang September erzielte die konservative Partei Høyre mit ihr als Vorsitzenden ein phänomenales Kommunalwahlergebnis. Der 62-Jährigen wurden beste Chancen eingeräumt, bei der Parlamentswahl 2025 den sozialdemokratischen Regierungschef Jonas Gahr Støre abzulösen.

Doch dann brach sie vor laufenden Kameras in Tränen aus. „Sindre war nicht ehrlich mir gegenüber“, sagte Solberg vier Tage nach der Kommunalwahl vom 11. September. „Es ist ein Vertrauensbruch.“

Was Sindre Finnes, ihr Ehemann, ohne ihr Wissen getan habe, bedeute, dass „ich bei einzelnen Entscheidungen während meiner Amtszeit im Prinzip befangen gewesen bin“, gesteht sie. Die Entscheidungen hätten womöglich Auswirkungen auf ihre gemeinsame Haushaltsökonomie gehabt – ohne dass sie davon wusste.

Finnes bestreitet alles

Erna Solberg ist seit 1996 mit Sindre Finnes verheiratet. Der 59-jährige Volkswirt ist bei einem norwegischen Arbeitgeberverband beschäftigt, handelte mit Aktien und das nicht nur ein wenig: In den acht Jahren, in denen Solberg Regierungschefin war, tätigte er 3.643 Aktiengeschäfte. Bei manchen fällt auf, dass sie zeitlich mit Regierungsentscheidungen zusammenfallen: Coronaregelungen, Umweltgenehmigungen für Mineralkonzerne, Geschäfte von staatseigenen Unternehmen.

Finnes sagt, er habe seiner Frau die Aktiendeals verschwiegen, und er bestreitet jeden Handel mit Insiderwissen – das wäre auch strafbar.

Die ehemalige Regierungschefin beteuert derweil, sie sei eben naiv gewesen. Sie habe nichts von dem Aktienhandel gewusst und mit ihrem Mann auch nie über Regierungsinterna gesprochen. Allerdings könne sie nicht ausschließen, dass Papiere zu Regierungsvorhaben zu Hause herumlagen, in die sich ihr Mann Einblick verschafft habe, um an Insider­infos zu gelangen. Doch diese Beteuerungen werden seither nahezu täglich mehr infrage gestellt.

Medien wundern sich: Wie kann es ihr nicht aufgefallen sein, dass das Vermögen ihres Mannes in drei Jahren um umgerechnet mehr als 300.000 Euro angewachsen ist, obwohl er immer denselben Job hatte? Und hatte Finnes nicht vor einigen Jahren ihre persönliche Kommunikation zu politischen und wirtschaftlichen Themen ganz anders geschildert? „Erna“ und er tauschten sich täglich beim Frühstück und Abendessen ausgiebig über solche Fragen aus, erzählte er da in einem Interview.

Dabei musste Solberg die Bedeutung des Aktienbesitzes ihres Ehepartners sehr wohl bewusst gewesen sein. Schon als sie 2013 Ministerpräsidentin wurde, machte ihr Büro sie auf dieses Problem aufmerksam. Ein Jahr später bemängelte der Europarat, in Norwegen fehlten Regeln, die offenlegen, welche wirtschaftliche Interessen Eheleute von ParlamentarierInnen und Ministerinnen haben.

Was Solbergs Glaubwürdigkeit zusätzlich untergräbt: Ihr Verhalten nach der Aufdeckung. Im Wesentlichen wurden seine Geschäfte bereits am 31. August öffentlich. Bis zum Kommunalwahltermin am 11. September zögerte die Vorsitzende der konservativen Høyre-Partei ihr Eingeständnis hinaus. Offenbar, um das Wahlresultat nicht zu gefährden.

Ein Fall bei den Sozialdemokraten

Zeitgleich war den regierenden Sozialdemokraten ein eigener Aktienskandal auf die Füße gefallen. Der trug dazu bei, ihr Wahlergebnis zu verschlechtern.

Am 30. August bestätigte Außenministerin Anniken Huitfeldt: Ihr Ehemann handelte mit Aktien des Waffenkonzerns Kongsberg. Deswegen sei sie bei Entscheidungen zu Waffenkäufen und Waffenlieferungen an die Ukraine befangen gewesen. Auch Huitfeldt beteuert, von den Geschäften ihres Mannes nichts gewusst zu haben.

Es mag traurig sein, wenn Ehemänner ihre Politikfrauen belügen, sagt Eva Joly. Die norwegische Juristin und Politikerin der französischen Grünen ist vor allem als Korruptionsjägerin bekannt. Sie finde, ob die Politikerinnen die Wahrheit wussten oder nicht, „ist irrelevant. Als politisch exponierte Personen sind sie dafür verantwortlich, dass kein Nahestehender ihre Position für sich ausnutzen kann.“ Erna Solberg und Anniken Huitfeldt müssten von ihren Ämtern zurücktreten.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.