Lebenszeichen von Londoner Burial: Gegen die Dämmerung

Der mysteriöse Londoner Dubstep-Produzent Burial ist wieder aufgetaucht und veröffentlicht mit „Antidawn“ eine fantastische neue EP.

Burial mit Gesichtsmaske und Kapuze im Londoner Regen

Schönes Wetter heute: Burial Foto: Hyperdub

Jenseits von allem und frei. „Free, beyond everything“, sagt eine brüchige Stimme über einem Knistern. Die Worte klingen traurig, sehnend, schicksalsergeben. Dann setzen warme Klänge ein, sachte pulsiert ein Drumbeat ganz weit im Hintergrund, es wehen leise Geräusche wie von einer peitschenden Snare vorbei, ein fernes Echo der Clubmusik.

Darüber legen sich fließende Synthesizer-Vorhänge. „New Love“ von Burial trifft den süßen Punkt der Melancholie zwischen Traurigkeit und friedlicher Ruhe in der Anerkennung der eigenen Gefühlswelt, die bezeichnend ist für die Musik des Londoner Produzenten. Und doch zeigt „Antidawn“, die neue EP von Burial, auf der „New Love“ einer von fünf Tracks ist, eine neue Richtung an, in die sich sein Schaffen bewegt.

Fast 45 Minuten misst „Anti­dawn“ und ist damit die umfassendste Veröffentlichung des britischen Künstlers seit seinen Alben „Burial“ (2006) und „Untrue“ (2007). Sie machten William Bevan zu einem omnipräsenten Geist, obwohl lange unklar blieb, welcher Mensch hinter dem Alias Burial steht.

Knisterndes Grundrauschen

Seine Tracks tauchten während der Hochphase von Dubstep auf und knüpften mit dem Einsatz von Dub-Elementen wie Hall und Echo an andere Spielarten des variantenreichen Genres an. Die Wahl der Vocal-Samples, die durch die Tracks mäandern und oft aus kitschigen R&B-Songs geschnitten sind, das Grundrauschen und -knistern, wie es beim Abspielen von altem Vinyl zu hören ist, war ­Burial eigen.

Burial: „Antidawn“ (Hyperdub/Cargo)

Mit schnellen Shuffle-Break­beats knüpfte er deutlich an UK-Garage an, ein an House angelehntes Subgenre, zog den Stil, der um die Jahrtausendwende nach kurzem Mainstreamerfolg wieder in der ­Bedeutungslosgkeit verschwand, in die Dunkelheit. Wo andere Dubstep-Produzent*innen als Reaktion auf UK-Garage Drum­ele­men­te einsparten und dadurch das Gefühl von Verlangsamung erzeugten, beschleunigte Burial die Beats und intensivierte mit diesem Kontrast zu schwermütigen Synthesizer-Flächen die Melancholie.

Mit dieser Stimmung, so schrieb der Kulturwissenschaftler Mark Fisher 2006 auf seinem Blog k-punk, setze sich Burials Musik von der Kargheit ab, die Fisher in Dubstep-Tracks jener Zeit feststellte, die Menschlichkeit in Hall komplett auflösen würden. Burial dagegen rücke sie in Form von Vocalsamples ins Zentrum, verhülle sie.

Durch diese Verhüllung entstehe ein faszinierendes Netz aus Spuren, erklärte Fisher in einem Text über Burial, der 2007 für das Magazin The Wire entstand. (Beide Texte finden sich im Buch „Ghosts of My Life. Writings on Depression, Hauntology and Lost Futures“). Es sind Spuren, die in Auflösung begriffen sind und umso mehr darauf drängen, ihnen zu ­folgen.

Verrauschte Erinnerungen

Burial hat nicht nur Stimmen verhüllt. Seine druckvollen Beats wirken wie verrauschte Erinnerungen an Rave-Musik, die es nie gab. Auf „Antidawn“ sind die Beats nur noch zu erahnen, als sanftes Pochen. Im Gegensatz zu Singles und EPs, wie zuletzt beim Track „Chemz“ aus dem Jahr 2021, der eine pumpende Rave-Collage mit Bezügen zu Techno, UK Garage und Jungle war, haben die Beats ihre Körperlichkeit verloren und schweben als heimgesuchte Geister früherer Tracks durch die Musik.

Nicht nur einmal entsteht das Gefühl, dass sich doch gleich eine Bassdrum unter die Fläche schieben und sie anheben wird. Es bleibt aus. Die Beats sind als Treppengeländer, das in den leer stehenden ehemaligen Keller-Club führte, verschwunden. Stattdessen tauchen immer wieder Orgeln auf, die mal beklemmend wie das Titelstück, mal beinahe optimistisch wie „New Love“ klingen. Die vernebelten Orgel-Melodien sind eingängig, eher erinnern sie verschwommen an nostalgische Popsongs denn an die Euphorie von ­Raves.

Noch mehr als in der Vergangenheit sind in den Hörstücken, die immer wieder musikalische Abzweigungen nehmen, geisterhafte Stimmen wegweisend. Die meisterhaft bearbeiteten und arrangierten Vocal-Samples erzählen von Gefühlen, die in ihrer gepitchten Geschlechtslosigkeit und hallenden Entgrenzung wie so oft bei Burial in ihrer fragmenthaften, universellen Schlagwortartigkeit in die eigene Lebenswelt sprechen.

Sagt eine Stimme „I’m in a bad place“, „come oh my love, take me into the dark“, antwortet eine andere „let me hold you“. Auch wenn „Antidawn“ kein vollständiges Album ist und mit der Abwesenheit von Beats und den brüchigen Umschwüngen beim Hören Geduld erfordert, fühlt sich die Musik wie Burial an. Jenseits von allem, frei, aber nie allein.

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