Lebensmittel für Kinder: Nur gut für die Industrie
Fast drei Viertel aller Produkte für Kinder sind ungesund – auch Bio schneidet schlecht ab. Foodwatch fordert Werbeverbote für die „getarnten Süßigkeiten“.
BERLIN taz | Es sind so viele Lebensmittel, dass zwei Tische kaum ausreichen. Chipspackungen stapeln sich neben Schoko-Aufstrichen, Kekse neben Puddings, Getränke neben Frühstückszerealien aller Art. „Getarnte Süßigkeiten“, sagt Matthias Wolfschmidt, stellvertretender Geschäftsführer von Foodwatch, dazu bei der Präsentation einer Studie. Das betreffe mittlerweile den größten Teil aller Lebensmittel, die speziell für Kinder angeboten würden.
1.514 Produkte für Kinder hat die Verbraucherorganisation unter die Lupe genommen. „Alle, die wir finden konnten“, sagt Anne Markwardt von Foodwatch. Als Kinderprodukte wertete die Organisation ein Lebensmittel, das beispielsweise mit dem Zusatz „für Kids“ beworben wird, mit Comicfiguren auf oder Spielzeug in der Packung. Das Ergebnis: Ordne man die Produkte in die Lebensmittelpyramide ein, gehörten fast drei Viertel in die rote Kategorie an der Spitze der Pyramide: selten verzehren, weil gezuckert, fettig und ungesund.
Fast alles, was in großen Pappverpackungen zum Frühstück angeboten wird, fällt demnach in die schlechteste Kategorie, ebenso wie gesüßte Getränke und Snacks. Das sei eines der großen Probleme, sagt Markwardt: Ein großer Teil der Produkte sei zum Nebenbei-Essen gedacht. Das erhöhe die Menge, die insgesamt konsumiert werde, und damit den Umsatz der Hersteller. Der Nebeneffekt: Die Folgen von Fehlernährung wie Fettleibigkeit nehmen zu. „Mit hochgradig verarbeiteten Produkten lässt sich mehr Geld verdienen“, sagt Markwardt. Deshalb werde Frisches wie Obst und Gemüse praktisch nicht beworben.
Sportveranstaltungen sponsern
6 Prozent der Produkte ordneten die Verbraucherschützer in die gelbe Kategorie, die mäßigen Verzehr anzeigt. Hierzu gehörten gezuckerte Milchprodukte. Gut 5 Prozent ließen sich nicht eindeutig zuordnen, gut 12 Prozent gehörten in die grüne Kategorie für bedenkenlosen Verzehr. Viel blieb da nicht übrig: „Nudeln, Tomatensauce oder Tee in Beuteln“, zählt Markwardt auf. Kaum besser sieht es im Biobereich aus: 58 Prozent der untersuchten Produkte fallen in die rote Kategorie. „Auch hier gibt es Quengelware“, kritisiert Markwardt.
Verbraucherministerin Ilse Aigner (CSU) verweist auf die Verantwortung der Eltern. „Ja, die Eltern sind in der Verantwortung, aber das heißt nicht, dass die Lebensmittelindustrie keine Verantwortung hat“, sagt Markwardt. Die Verbraucherschützer fordern, die Industrie in die Mangel zu nehmen: mit Werbeverboten, beispielsweise dem Verbot, Sportveranstaltungen für Kinder zu sponsern, und überhaupt einem Verbot von Werbung in Schulen und Kindergärten.
Der Spitzenverband der deutschen Lebensmittelwirtschaft wollte sich bis zum Dienstagabend nicht äußern – in der Vergangenheit hatte er bei ähnlicher Kritik allerdings auf einen vergleichsweise geringen Anteil an Kinderlebensmitteln an der Gesamtzahl der Produkte verwiesen.
Dass die angebotenen Waren tatsächlich gekauft und verzehrt werden, legt eine Studie des Robert-Koch-Instituts von 2010 nahe. Kinder und Jugendliche essen zu wenig Obst und Gemüse, zu viele tierische Produkte wie Fleisch und Wurst und Süßigkeiten, so das Fazit der Wissenschaftler. Bei Getränken griffen sie vor allem zu Limonaden statt zu Wasser.
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