Lebensgefahr am Schwarzen Meer: Strandleben mit Treibminen
Odessa liegt am Meer. Den Menschen dort fällt es schwer, nicht mehr ans Wasser gehen zu dürfen. Auch wenn sie wissen, dass es lebensgefährlich ist.
K ürzlich war ich am Meer und wurde dort Zeugin einer Situation, die so nur in Odessa passieren kann. Auf dem heißen Sandstrand lief ein Polizist entlang. Er sah die ganze Zeit in die Ferne, so, als ob er nach jemandem Ausschau hielte. Wir sind ein neugieriges Völkchen und ich und ein paar andere Odessiten wollten gerne wissen, wen oder was er dort eigentlich sehen wollte. Vor ein paar Wochen waren russische Kriegsschiffe am Horizont mit bloßem Auge zu erkennen. Waren sie jetzt wieder dort? Wir näherten uns langsam dem Polizisten. Und wurden Ohrenzeugen des folgenden Dialogs.
Чтобы как можно больше людей смогли прочитать о последствиях войны в Украине, taz также опубликовал этот текст на русском языке: here.
„Mädchen, kommen Sie aus dem Wasser zurück. Hier ist Baden verboten!“, sagte der Polizist zu einem schwimmenden Mädchen. „Aber das Wasser hat 25 Grad“, antwortet diese. „So bewältige ich schon mein ganzes Leben persönlichen Stress, ich bade im Meer. Ohne Wasser kann ich nicht leben.“ – „Und was ist mit den Treibminen? Sie haben sicher gehört, wie viele Leute dadurch schon umgekommen sind.“ – „Aber ich bin kein Mensch!“, schreit das Mädchen. „Was sind Sie dann?“, schreit der Polizist in gleicher Lautstärke zurück. „Ich bin ein Fischlein. Ich darf das Wasser nicht verlassen. Das ist übrigens ziemlich warm. Vielleicht tauchen Sie auch mal kurz unter?“ – „Das darf ich nicht. Ich bin im Dienst. Ich beobachte feindliche Schiffe – und solche Fischlein wie Sie. Schwimm, Fischlein, schwimm. Ich warte.“
Das Mädchen musste eine Geldstrafe zahlen, als sie aus dem Wasser kam. In Odessa ist es jetzt verboten, ins Meer zu hüpfen, an einigen Stränden darf man nicht einmal entlang laufen. Darauf weisen Schilder hin: „Vorsicht, Minen!“ Den Menschen jedoch, die ihr ganzes Leben am Strand verbracht haben, ist nur schwer zu erklären, dass genau das gerade sehr gefährlich ist. Odessiten gehen also trotzdem sonnenbaden oder schwimmen, in der Hoffnung, dass es schon irgendwie gut geht.
Leider geht es nicht bei allen gut. Im Gebiet Odessa gab es an den Stränden schon vier Todesfälle durch explodierende Minen. Die russischen Streitkräfte hatten die Bucht von Odessa zuvor vermint. Einige Minen wurden auch am Strand deponiert, wo sie von ukrainischen Soldaten entschärft wurden.
ist Chefredakteurin des ukrainischen Nachrichtendienstes USI.online. Sie ist Mutter von zwei Kinder (9 und 12).
Polizisten sollen dafür sorgen, dass Menschen sich daran halten. Ihre Arbeit hat was von einem Angelausflug. So wie der Polizist auf das Mädchen gewartet hatte, das sich selbst als Fisch bezeichnete. Die städtische Verwaltung hat die sicheren Strandabschnitte mit einem Netz umgeben, sodass die Menschen sich dort sonnen können. Künftig soll mit Hilfe von Unterwasserdrohnen das Schwarze Meer von Minen geräumt werden. Aber bis dahin sollte man sich besser gedulden.
Ich bin 38 Jahre alt, ich wurde in Odessa geboren. Und habe mein Leben lang im Meer gebadet, ganzjährig. Es ist der erste Sommer meines Lebens, in dem ich nicht einfach an den Strand gehen kann, mein Badelaken dort ausbreiten, die Füße in den warmen Sand stecken und später kopfüber ins Meer springen kann. Aber ich gehe trotzdem ans Meer und höre den Geschichten zu, die sich dort abspielen. Solche, so scheint es mir, wie sie sich nur in meiner sonnigen Heimatstadt zutragen können.
Wenn wir siegen und dieser verdammte Krieg zu Ende geht, ist das erste, was ich tue, den Sonnenaufgang am Meer zu begrüßen. Meine Tränen werden sich mit dem Salzwasser mischen.
Aus dem Russischen Gaby Coldewey
Finanziert wird das Projekt von der taz Panter Stiftung.
Einen Sammelband mit den Tagebüchern bringt der Verlag edition.fotoTAPETA im September heraus
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Sport und Krieg in der Ukraine
Helden am Ball
Bodycams bei Polizei und Feuerwehr
Ungeliebte Spielzeuge
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Nachhaltige Elektronik
Ein blauer Engel für die faire Maus