Le Pen aus FN ausgeschlossen: Die Rache nach dem Vatermord
Der Front National hat die Mitgliedschaft von Jean-Marie Le Pen auf Eis gelegt. Der Parteigründer tobt – und schimpft auf seine Tochter, die Parteichefin.
PARIS taz | Jean-Marie Le Pen tobt. Sie haben es also gewagt und ihn in einer wie ein Tribunal tagenden Sitzung der Parteileitung schuldig gesprochen und verurteilt. Ihn, den Gründer dieser Partei, des Front National (FN)! Fast hätte es ihm die Sprache verschlagen ob so viel Undankbarkeit und Niedertracht dieser Grünschnäbel, die allesamt von ihm gelernt haben und ihm ihre Karriere verdanken.
Sie haben es also gewagt, ihn als Mitglied des FN vorübergehend und zur Strafe für seine Provokationen zu suspendieren. Noch schwerer wiegt die Drohung, ihm bei einem außerordentlichen Parteikongress oder einer Mitgliederbefragung in den kommenden Monaten mit einer Statutenänderung seinen Titel des „Ehrenpräsidenten“ der Partei zu entziehen.
Eine solche demonstrative und öffentliche „Entehrung“ und Demütigung durch die Mitglieder des FN-Exekutivbüros hat er nicht erwartet. Nicht von ihnen, nicht von seiner Tochter Marine, der er 2011 die Parteiführung anvertraut hatte. Er bezeichnet den Beschluss, ihn zu ächten, als „félonie“, wie man einen Treuebruch in Zeiten der Feudalherrschaft nannte. Das sagt einiges aus über die Art und Weise, wie er den FN immer noch als Privateigentum und Familienbesitz betrachtet.
Die Wut inspiriert ihn, er beschreibt die Disziplinarkommission als „Erschießungskommando der sieben Söldner“, als „Rat gekaufter Höflinge“. In seinem Ärger meint er auch, die heutige FN-Spitze sei „schlimmer als die (konservative) UMP und der PS (Sozialisten), denn ein Feind kämpft von Angesicht zu Angesicht, hier aber habe ich meine Gegner im Rücken“.
Jean-Marie will seinen Nachnamen zurück
Zumindest will sich der Alte für diese Schmach rächen. Er wünsche nicht, dass seine Tochter, die er mittlerweile distanziert als Drittperson „Madame Marine Le Pen“ nennt, bei den Präsidentschaftswahlen von 2017 gewinnt, sagte er noch am Montagabend. Denn eine Staatschefin Frankreichs „mit solchen Moralvorstellungen, das wäre ein Skandal“.
Auch er versteht es, seine Gegner zu demütigen: Marine Le Pen solle gefälligst heiraten und ihm den Familiennamen Le Pen zurückgeben, den er nicht länger mit ihr teilen wolle, schlug er vor. Er wolle keine verwandtschaftlichen Bande mit einer Person, die ihn derart verraten könne. Er spricht verbittert sogar von einem (politischen) „Vatermord“.
Der Streit wird sich so schnell nicht legen, denn auch wenn laut Umfragen die große Mehrheit der FN-Wähler hinter Marine Le Pen steht, hat ihr Vater in der Partei zweifellos viele Anhänger, die seine Ansichten teilen. Sein langjähriger Kampfgefährte Bruno Gollnisch, den Jean-Marie Le Pen ursprünglich als Nachfolger designiert hatte, bevor dieser seiner Tochter Marine den Vorzug gab, möchte von der Parteileitung wissen, wo denn der Parteigründer gegen die offizielle Linie verstoßen habe.
„Front familial“ statt „Front national“
Die Trennlinien aber gehen dermaßen quer durch die Partei und die Familie, dass die politischen Gegner wie der konservative Exminister Brice Hortefeux spotten, diese Partei solle sich von Front national in Front familial umtaufen. UMP-Parteikollege Luc Chatel meint, wer – wie Jean-Marie Le Pen – vierzig Jahre lang Hass gesät habe, müsse sich nicht wundern, davon eingeholt zu werden.
Die Schadenfreude aller FN-Gegner aber wird durch die Befürchtung getrübt, dass die jetzige Parteichefin Marine Le Pen politisch nur profitieren kann von dieser deutlichen Abgrenzung. Dies nützt ihrer Taktik, mit der sie (recht erfolgreich) versucht, den FN aus der Extremistenecke zu holen.
Nicht wenige Antifaschisten fragen sich, ob der ganze Wirbel nicht sogar absichtlich inszeniert oder wenigstens von der Parteileitung bewusst hochgespielt wird. Denn was die Öffentlichkeit von diesem Zwist am Ende verstehen könnte, sei diese Distanzierung des FN von den historischen Altlasten, die Jean-Marie Le Pen verkörpert. In diesem Sinne hätte dieser seiner Tochter, die er so theatralisch verstößt, einen echten Gefallen getan mit seiner Alterssturheit. Nur unbelehrbare Konspirationisten aber schließen daraus, dass der „Vatermord“ im FN bestellt oder der Bruch absichtlich herbeigeführt worden sein könnte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Spardiktat des Berliner Senats
Wer hat uns verraten?
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Netzgebühren für Unternehmen
Habeck will Stromkosten senken