Le Corbusier-Retrospektive in Paris: Irrwege einer Ikone
Le Corbusier gilt als Visionär der Architektur. Zu seinem 50. Todestag wird nun klar, dass er große Sympathien für den Faschismus hegte.
An jenem 27. August 1965 hätte der 77-jährige Charles-Édouard Jeanneret, besser bekannt unter seinem Künstlernamen Le Corbusier, nicht wie sonst jeden Tag bei Roquebrune bei Nizza baden gehen sollen. Er erlitt beim Schwimmen einen Herzinfarkt und ertrank, ein paar Meter von seiner geliebten Strandhütte in der traumhaft schönen Bucht am Mittelmeer entfernt.
Dieser 3,66 auf 3,66 Meter große, mit dunklem Holz verkleidete Würfel ist bestimmt das bescheidenste Beispiel der Baukunst des bekanntesten Architekten des 20. Jahrhunderts. Für ihn aber war diese nach seinen Proportionskriterien entworfene und eigenhändig erbaute Hütte sein „Schloss an der Côte d’Azur“.
Sonst war Bescheidenheit sicher nicht die größte Tugend dieses äußerst ehrgeizigen und in großen Maßstäben denkenden Architekten und Städteplaners, der in seinen jungen Jahren am liebsten halb Paris niedergewalzt und von Grund auf neu nach seinen Vorstellungen erbaut hätte.
Der 50. Todestag ist Anlass für zahlreiche Veranstaltungen und Publikationen. Eine davon ist die Retrospektive „Le Corbusier – Mesures de l’homme“ im Pariser Centre Pompidou: Eine umfassende Ausstellung mit 300 Exponaten, die einen guten Überblick über den Werdegang und das Gesamtwerk dieses vielseitigen Visionärs gibt. Doch etwas fehlt darin: Mehrere Bücher haben in den letzten Jahren zweifelsfrei belegt, wie nahe sich Le Corbusier dem Faschismus fühlte, wie, gelinde gesagt, opportunistisch er während des Kollaborationsregimes bei Marschall Pétain in Vichy antichambrierte, um Aufträge zu erhalten.
„Le Corbusier - Mesures de l'homme", bis 3. August im Centre Pompidou in Paris
Die Nähe zum Faschismus
Das schockiert umso mehr, als Le Corbusier als einer der wichtigsten Begründer der Moderne des 20. Jahrhunderts gilt. Seine wichtigsten Bauwerke wie die Cité radieuse bei Marseille, die Kapelle Notre-Dame-du-Haut in Ronchamp oder der von ihm geschaffene Stadtteil Chandigarh in Indien warten nur darauf, von der Unesco zum Kulturerbe erklärt zu werden.
Auf Archivfotos in der Pariser Ausstellung posiert Le Corbusier an der Seite von Picasso und Léger, an deren Bilder seine ebenfalls aufgehängte frühe Malerei erinnert. Und über Le Corbusiers Methode, alle Proportionen beim Hausbau ausgehend von seinem menschlichen Maßstab „Modulor“ mit Teilen und dem Vielfachen der Körpergröße eines 1,83 Meter messenden Menschen zu berechnen, sagte Albert Einstein einst voller Bewunderung: „Mit dieser Erfindung wird das Schlechte schwierig und das Gute leicht.“
Selbst wer sich nicht für Architektur und Städtebau interessiert, kennt von Le Corbusier die in den 20er Jahren entworfenen gediegenen und noch heute verkauften Liegen und Sessel, die in die Geschichte des Möbeldesigns eingegangen sind. Le Corbusier selbst, mit seiner dickrandigen runden Brille, ist zur Ikone der Moderne geworden.
Gleich mehrere Bücher zeichnen jetzt aber eben ein ganz anderes, nicht sehr attraktives und vorzeigbares Porträt des Architekten, der am Ende des Ersten Weltkriegs aus der Uhrmacherkapitale La Chaux-de-Fonds im Schweizer Jura nach Paris gekommen war, um beim Wiederaufbau Karriere zu machen.
Xavier de Jarcy hat das „Belastungsmaterial“ aus Zitaten und Lebenslauf gesammelt und in einer regelrechten Anklageschrift zusammengefasst: „Le Corbusier, un fascisme français“. Diese lässt kaum noch Zweifel an Le Corbusiers Sympathien für den französischen Faschismus der 20er und 30er Jahre. Zu seinen engsten Freunden gehörten damals der Führer der französischen Faschistenpartei, Pierre Winter, und die Theoretiker der Eugenik.
Vergeblich wünschte er, von Mussolini empfangen zu werden, über dessen Diktatur er schwärmt: „Das Schauspiel, das Italien gegenwärtig liefert, der Zustand seiner geistigen Fähigkeiten, verheißt eine baldige Morgendämmerung der geistigen Moderne.“ Als Frankreich dem Ansturm des Dritten Reichs unterliegt, atmet Le Corbusier auf: „Hätten wir gesiegt, würde die Fäulnis triumphieren, nicht Sauberes könnte mehr Anspruch auf Leben erheben.“ Und in seinen zahlreichen Briefen an seine Mutter prophezeit er: „Hitler kann sein Leben mit einem grandiosen Werk krönen: der Neugestaltung Europas.“
Er begrüßt mit tief verwurzeltem Antisemitismus die bevorstehende Säuberung: „Das Geld der Juden, die Freimaurer, alle werden sich dem gerechten Gesetz beugen. Diese schändlichen Festungen werden geschleift. Sie haben alles dominiert.“ Für das französische Kollaborationsregime in Vichy, wo er 1941 und 1942 in den Vorzimmern vergeblich auf den Auftrag seines Lebens wartete, verfasste er „Urbanisme de la révolution nationale“.
Nicht bloß Opportunismus
Nach der Lektüre meinte ein früherer Le-Corbusier-Fan, der Autor der Comic-Reihe „Les Cités obscures“, Benoît Peeters, in Libération: „Ich ahnte nicht, wie sehr er sich engagiert und kompromittiert hatte. Die Versuchung durch den Faschismus war für Le Corbusier nicht bloß Ausdruck von Opportunismus: Seine Beziehungen zur nationalistischen Rechten haben Jahrzehnte gedauert und sein urbanistisches Denken geprägt. Man könnte sagen, Le Corbusier war für die Architektur, was als Zeitgenosse Martin Heidegger für die Philosophie wurde: ein auf Irrwege geratener Riese.“
Der Architekt Paul Chemetov möchte, wie viele Bewunderer von Le Corbusier, dessen Antisemitismus und Führerkult als damals verbreitete Haltung und mit der damaligen Zeit rechtfertigen. Lange hieß es in Fachkreisen zu den bekannten antisemitischen Zitaten aus der Korrespondenz, es handle sich um „Ausrutscher“ eines Opportunisten. François Chaslin kommt dagegen in seinem Buch „Un Corbusier“ zum vernichtenden Urteil: „Ich glaube vielmehr, dass er eindeutig ein Ideologe war, ein Politiker und einer der Chefs eines militanten Kerns mit totalitären Zielen, der nur an der Verwirrung der Epoche zum Scheitern verurteilt war.“
Doch warum blieb diese Schattenseiten eines gefeierten Genies der breiteren Öffentlichkeit so lange verborgen? Die Pariser Ausstellung gibt darauf keine Antwort. Doch ein wenig wie zur Wiedergutmachung eines Versäumnisses organisiert das Centre Pompidou in Zusammenarbeit mit der Fondation Le Corbusier 2016 ein Kolloquium über diese Polemik.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Angriffe auf Neonazis in Budapest
Ungarn liefert weiteres Mitglied um Lina E. aus
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands