: Latenter Krieg lohnt sich
Die Kongresswahlen haben US-Präsident George W. Bush ein klares Mandat für seinen Kriegskurs verschafft. Ein pessimistischer Ausblick auf die kommenden zwei Jahre
Erinnern Sie sich an Katherine Harris? Die Dame mit der steilen Frisur und dem wundersamen Händchen beim Auszählen von Wählerstimmen? Katherine Harris hatte ihre Stunde des Ruhms vor zwei Jahren in ihrer Eigenschaft als oberste Wahlleiterin in Florida. Sie erklärte George W. Bush mit 537 Stimmen Vorsprung zum Sieger über Al Gore, obwohl die Nachzählung in entscheidenden Bezirken noch nicht abgeschlossen war.
Hätte Harris damals ein paar Stunden länger gewartet, würde Bush jetzt vielleicht mit seinen zwangspensionierten Enron-Freunden auf seiner Ranch Monopoly spielen. Dick Cheney säße weiter im Vorstand der Firma Halliburton Co., die Ölfördergeräte an den Irak verkauft. Donald Rumsfeld wäre nicht Verteidigungsminister. Es gäbe wohl einen „Krieg gegen den Terrorismus“, aber keine „Achse des Bösen“. Und die Autolobby würde gegen einen Präsidenten marschieren, der den Unterschied zwischen „Klimaschutz“ und „Klimaanlage“ kennt.
Kleine, aber feine Unterschiede für die Welt und ihre Supermacht. Aber Katherine Harris hat dieses Mal in Florida nicht gezählt, sondern selbst kandidiert und in einem Wahlkreis gewonnen, der als republikanische Hochburg gilt. Sie ist jetzt ein „ehrenwertes Mitglied des Repräsentantenhauses“.
Die Moral von der Geschicht’? Erstens: Man kann es weit bringen, wenn man für die Bush-Boys die guten von den schlechten Stimmzettelchen trennt. Zweitens: Die amerikanischen Wähler sind nicht nachtragend. Bush mag sich mit unsauberen Mitteln ins Weiße Haus getrickst haben. Doch jetzt hat er sein Mandat vom Wahlvolk, und in Washington strahlt keiner so glücklich wie Karl Rove. Bushs innenpolitischer Guru hatte bereits Anfang des Jahres verkündet, man werde die innenpolitische Bühne mit dem beliebig ausdehnbaren „Krieg gegen den Terrorismus“ besetzen und die nächsten Wahlen gewinnen.
Und die Opposition? Die Zeitung The Nation hat es am hübschesten formuliert: „Bush sagte den Wählern: ‚Unterstützt mich, den Krieg und Steuersenkungen.‘ Das klang eingängig. Die Demokraten sagten: ‚Wir-sind-nicht-Bush-aber-ihr-könnt-uns-trotzdem-wählen-wenn-euch-wegen-der-Wirtschaft-irgendwie-mulmig-ist-obwohl-wir-auch-keinen-ökonomischen-Plan-haben.‘ “ Nun beten echte Proamerikaner täglich, dass das Pendel in zwei Jahren wieder in die andere Richtung schlägt. Doch was passiert bis dahin?
In den USA schlägt der Präsident die Kandidaten für den Obersten Gerichtshof und die Bundesgerichte vor – der Senat kann sie akzeptieren oder ablehnen. Das politische Profil der dritten Gewalt ist das nachhaltigste Erbe jedes Präsidenten – wirksam noch Jahrzehnte nach dessen Amtsabtritt, denn die Richter werden auf Lebenszeit ernannt. Derzeit herrscht im Supreme Court ein Patt zwischen Konservativen und Liberalen.
George W. Bush hat zum Obersten Gerichtshof ein besonderes Verhältnis – schließlich hatte dieser Katherine Harris’ schicksalsträchtige Entscheidung abgesegnet. Wahrscheinlich wird der Präsident dem nunmehr republikanisch geführten Senat zwei Nachrücker vorschlagen. Seine Wünsche sind klar: Er möchte einen Gerichtshof, der a) das Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch aufhebt, b) Klagen gegen neue Sicherheitsgesetze abwehrt und c) sich aus den gesetzgeberischen Eigenheiten der Bundesstaaten heraushält.
Was das bedeutet, konnte man vergangenen Dienstag beobachten, als die neun Richter den Fall Ewing vs. California anhörten. Gary Ewing war abwesend, da er auf unabsehbare Zeit Insasse des kalifornischen Strafvollzugs ist – wegen kleiner Delikte mehrfach vorbestraft, zuletzt wegen Diebstahls dreier Golfschläger zu lebenslanger Haft verurteilt. Das ist nach kalifornischem Recht möglich – „three strikes and you are out“. Nach Auffassung der konservativen Mitglieder des Supreme Courts, denen Präsident Bush eine solide Mehrheit verschaffen will, gibt es dagegen weder unter dem Gesichtspunkt der Menschenwürde noch unter dem des konstitutionellen Verbots der „grausamen und ungewöhnlichen Bestrafung“ etwas einzuwenden. Wenn ein Bundesstaat beschließt, das Prinzip der Resozialisierung auch bei Kleinkriminellen durch die lebenslange Freiheitsstrafe zu ersetzen, dann habe sich der Bund herauszuhalten. So viel als Vorgeschmack auf den innenpolitischen Nachlass von zwei Jahren republikanischer Vorherrschaft.
Es ist also einiges passiert am 5. November. Katherine Harris bekam ihr Ticket nach Washington, Mr. Ewing seine Anhörung, und in Israel rief Ariel Scharon Neuwahlen aus. Letzteres ist zunächst eine gute Nachricht. Plötzlich ist die Chance da, mit einer neuen Regierung den Teufelskreis aus Selbstmordattentaten und militärischer Vergeltung zu durchbrechen. Aber Scharon hat einen mächtigen Wahlhelfer. George W. Bush, der seit vergangenem Dienstag ein klares Mandat für seinen Kriegskurs hat.
Nun waren die Beziehungen zwischen den Republikanern einer- und Israel und den amerikanischen Juden andererseits noch nie sonderlich herzlich. Bis zum 11. September vergangenen Jahres galt: die jüdischen US-Wähler geben Stimmen und Geld den Demokraten – die sind innenpolitisch liberaler und außenpolitisch bedingungslos loyal gegenüber Israel. Aber seit den Anschlägen von New York und Washington haben sich neue Allianzen gebildet: Scharon wurde zum „Mann des Friedens“ (O-Ton Bush) und bekam de facto freie Hand, nicht nur palästinensische Terroristen zu jagen, sondern auch die Infrastruktur der palästinensischen Selbstverwaltung zu zerstören. Ranghohe Republikaner dachten laut über die „Umsiedlung“ aller Palästinenser nach Jordanien nach. Verteidigungsminister Rumsfeld sprach von „so genannten besetzten Gebieten“, aus denen Israel vielleicht gar keine Siedler abziehen müsse. Hinter all dem steckt eine strategische Prämisse, die das Denken im Pentagon dominiert: Offenbar meint man dort, der Krieg gegen den Irak würde auch die „kleineren“ Probleme in der Region lösen. Wenn Saddam Hussein erst eliminiert sei, wäre auch die Moral der Palästinenser so weit geschwächt, dass sie zu „wirklichen“ Zugeständnissen bereit seien.
Nach herrschender Washingtoner Zeitrechnung soll der Feldzug von Bush jr. gegen Saddam Hussein Mitte oder Ende Januar beginnen. Das würde heißen, dass die Israelis mit Gasmasken in die Wahlkabinen gehen müssten. Die Chancen von Kandidaten, die den Friedensprozess wiederbeleben wollen, kann sich jeder selbst ausrechnen.
Natürlich kann alles ganz anders kommen, und nichts wäre schöner, als in drei Monaten herauszufinden, dass obenstehende Analyse falsch war. Denn bei allem imperialen Gehabe nach außen und autoritären Gebaren nach innen sollte man nicht vergessen, dass die innen- und außenpolitischen Hardliner dieser amerikanischen Regierung auch in ihrer eigenen Partei eine Minderheit sind. Aber: Bisher zumindest haben sie es verstanden, aus einem latenten Kriegszustand maximales Kapital zu schlagen. ANDREA BÖHM
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