Lars Eidinger und Aldi: Muss das weg?
Schauspieler Lars Eidinger posiert mit einer 550 Euro teuren Aldi-Tüte vor einem Obdachlosenbett und erntet einen Shitstorm. Zu Recht?
Ein Pro und Contra
Ja, Lars Eidinger ist der Discounter unter den Schauspielern. Nach dem Motto „Hauptsache billig“ hat er so manche Geschmacklosigkeit im Sortiment. Denn any publicity is good publicity, und Eidinger braucht die Aufmerksamkeit wie andere eine warme Mahlzeit und ein Dach über dem Kopf.
Eidinger lebt in einer Kunstblase, in der es nur Requisiten und Statisten gibt. Kein Wunder, dass er glaubt, das 550 Euro teure Aldi-Tüten-Replikat und sein Shooting vor einer Obdachlosenschlafstätte seien ein Geniestreich. Mit dieser Aktion ästhetisiert er aber nur das Elend anderer und verhält sich schlimmer als ein paar rich kids beim Ausflug in eine Absturzkneipe. Er wolle Widersprüche aufzeigen, aber Antworten habe er nicht. Jaja, die Welt ist schlecht und er ein Kind ihrer Verhältnisse. Also alles kein Problem? Doch. Es ist ein Unterschied, ob man diesen Widerspruch zeigt, um etwas zu verändern, oder, weil man vor allem Profit daraus schlagen will.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Und lieben Gruß an alle, die das jetzt als ironische Kunst abfeiern: So ein Luxusbeutel, der in limitierter Auflage verkauft wird, ist keine Kunst, sondern Kommerz und damit ähnlich exklusiv wie eine ironische Perspektive auf die Welt.
Anna Fastabend
Nein, dem Schauspieler lässt sich nur eines vorwerfen: Ideenklau. Schon 2006 trug Louis Vuitton eine andere Plastiktüte in die Modewelt: die als „Polenkoffer“ bekannte schwarz-rot-weiß karierte Riesentragetasche aus PVC. Der Grafikdesigner Rehberg verkauft diese seit 2016 aus „vegetabil gefärbtem Ziegenleder“ für 1.850 Euro. Schon 1992 warb Benetton mit Mafia-, Aids-, und Bürgerkriegsopfern. Schon immer war die Aldi-Tüte Kunst. Gestaltet vom Maler Fruhtrunk hängt sie in zig Museen.
Wer Eidinger vorwirft, Elend zu ästhetisieren, gucke an sich selbst herab: Der Sneaker war einst ein Armeleuteschuh, die edle Trainingsjacke einst Accessoire arbeitsloser Bierdosentrinker. Allein, dass die Medien den Künstler Eidinger baten, sein Kunstwerk zu interpretieren, aber keiner einen Obdachlosen nach seiner Deutung des Eidinger’schen Kunstwerks fragte, spricht Bände über die Doppelmoral, in der wir alle leben.
Was wirklich cheesy wäre? Wenn Lars Eidinger angekündigt hätte, er wolle sich nicht in die eigene Tasche wirtschaften, sondern den Erlös seiner Ledertüte den Obdachlosen spenden. Es hätte denselben Zweck: Aufmerksamkeit. Nur moralisch gut getarnt.
Doris Akrap
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld