Langzeitarbeitslose für gemeinnützige Arbeit: „Wir brauchen diese Jobs“
Mit einem Modellprojekt will der Senat bundesweit Vorreiter sein, sagt Arbeitssenatorin Elke Breitenbach (Linkspartei). Tausende Stellen geplant – mit Mindestlohn.
taz: Frau Breitenbach, haben Langzeitarbeitslose in Berlin bald wieder einen Job?
Elke Breitenbach: Das hoffe ich sehr. Wir wollen einen guten und nachhaltigen öffentlichen Beschäftigungssektor. Langzeitarbeitslose bekämen wieder eine berufliche Perspektive, und auch die Stadtgesellschaft würde davon profitieren.
Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) spricht in diesem Zusammenhang von einem „Solidarischen Grundeinkommen“. Was hat öffentliche Beschäftigung mit einem Grundeinkommen zu tun?
Nichts. Warum der Regierende Bürgermeister sich diesen Namen ausgesucht hat, müssen Sie ihn selbst fragen. Aber wie man das Ganze nennt, ist mir egal. Hauptsache, der Inhalt stimmt.
Sie haben sich mit dem Regierenden Bürgermeister und dem Finanzsenator kürzlich getroffen, um genau darüber zu sprechen. Was hat der Senat jetzt vor?
Wir haben uns über Eckpunkte verständigt. Was wir davon umsetzen können, hängt vor allem vom Bund ab. Die Bundesregierung plant ja, Langzeiterwerbslose in öffentlich geförderte Arbeit zu bringen. Wenn das eine größer angelegte Sache werden soll, könnte es allerdings noch dauern. Wir wollen deshalb in Berlin möglichst schon eher mit einem Modellprojekt starten.
57, ist seit Dezember 2016 Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales. Zuvor saß sie seit 2003 für die Linkspartei im Berliner Abgeordnetenhaus.
Berlin soll Vorreiter sein für den Bund?
Wir hatten in Berlin bereits einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor, den ÖBS, und können an diese Erfahrungen anknüpfen. Ein Modellprojekt war auch Thema bei einem Gespräch, das Michael Müller im Arbeitsministerium geführt hat.
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) spricht von 150.000 gemeinnützigen Stellen, die deutschlandweit entstehen sollen. Wie viele wären es für Berlin?
Das kann man noch nicht genau sagen. Wir wünschen uns Stellen für etwa 10 Prozent der Langzeiterwerbslosen in Berlin, das wären 4.000 bis 4.500 Stellen. Aber auch diese Größenordnung hängt vom Bund ab.
Was sind das für Jobs, die Langzeitarbeitslose übernehmen könnten?
Ich habe mit dem Regierenden Bürgermeister und dem Senator für Finanzen darüber gesprochen. Es dürfen keine regulären Arbeitsplätze vernichtet werden, die Stellen müssen zusätzlich sein. Es gibt zum Beispiel die Fahrgastbegleiter. Die mussten ihre Angebote in den vergangenen Jahren immer weiter reduzieren. Sie sind aber sehr wichtig. Sie sichern Menschen Mobilität und damit gesellschaftliche Teilhabe. Auch Lotsen für Geflüchtete könnten wir beschäftigen. Ihre Kompetenzen brauchen wir längerfristig.
Die Verwaltung könnte doch für all diese Tätigkeiten auch Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter einstellen.
Wenn das Bezirksamt Sozialarbeiter zu den Menschen schickt, dann werden sie weniger Vertrauen finden als beispielsweise eine Stadtteilmutter aus dem nächsten Stadtteilzentrum. Lotsinnen und Lotsen haben häufig selbst einen Flucht- oder Migrationshintergrund. Aber auch in anderen Bereichen gibt es genug zu tun. Viele ältere Menschen brauchen Unterstützung im Wohnumfeld. Mal muss ein verstopfter Abfluss gereinigt werden, mal muss ein Nagel in die Wand. Man muss sich allerdings darüber verständigen, wie weit das gehen kann.
Wenn die Wohnung gestrichen werden muss, sollte das zu den Tätigkeiten eines solchen „Concierge“ dazugehören? Damit würde man Handwerkern die Arbeit wegnehmen.
Das ist ja nicht das Ziel. Es muss sich um zusätzliche Arbeit handeln. Aber viele alte Leute haben nicht das Geld, um Handwerker zu bezahlen. Über solche Fragen muss man sich mit den Sozialpartnern verständigen.
Dürfen alle Langzeitarbeitslosen die Jobs übernehmen oder nur bestimmte Gruppen?
Das hängt von der Anzahl der Stellen ab. Wenn es wenige sind, müsste man das genau überlegen. Man könnte etwa über öffentliche Beschäftigung ältere Erwerbslose in die Rente gleiten lassen. Wir haben auch einen hohen Anteil Alleinerziehender, die kaum Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben, ebenso Menschen mit psychischen Erkrankungen. Wichtig ist, dass die Menschen freiwillig mitmachen und keine Sanktionen drohen für die, die nicht wollen.
Ist es Ziel, Menschen wieder in reguläre Jobs zu bringen?
Da gehen die Meinungen auseinander. Michael Müller will schon, dass sich die Teilnehmenden eines solchen Programms für den ersten Arbeitsmarkt qualifizieren. Mein erstes Ziel ist das nicht, denn ich möchte bei der öffentlich geförderten Beschäftigung normale Arbeitsplätze haben, die sozialversicherungspflichtig sind, nach Tarif oder mindestens nach dem Mindestlohn bezahlt werden. Ein Arbeitsplatzwechsel muss natürlich immer möglich sein.
Kritiker sagen, die Bedingungen seien zu gut, öffentliche Beschäftigung würde Arbeitslose daran hindern, es auf dem ersten Arbeitsmarkt überhaupt zu versuchen.
Es ist doch nur zu begrüßen, wenn ihnen ihre Arbeit Spaß macht, zumal die Arbeitsplätze nicht schlechter sein sollen als auf dem ersten Arbeitsmarkt. Ihre Arbeit ist wichtig für die Stadtgesellschaft, sie steht auch gegen die Spaltung in Arm und Reich. Stellen Sie sich vor, die Fahrgastbegleitung würde wegbrechen. Dann säßen viele Menschen in ihrer Wohnung fest.
Und woher soll das Geld für die öffentliche Beschäftigung kommen?
Im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung steht der Passiv-Aktiv-Transfer. Das heißt, dass die Mittel, die für die Finanzierung der Erwerbslosigkeit verwendet werden, in die Finanzierung von Arbeit fließen sollen. Dieses Geld muss noch durch Landesmittel aufgestockt werden, sodass tarifliche Bezahlung beziehungsweise der Mindestlohn gewährleistet werden kann.
Wie teuer wäre das dann für Berlin?
Das lässt sich nicht sagen, denn das hängt auch von der Zahl der Arbeitsplätze ab. Eine verlässliche Finanzierung ist jedoch zentral wichtig, wenn wir zu einem nachhaltigen Arbeitsmarkt kommen wollen.
Wenn es nach Ihnen ginge, wann könnte das Modellprojekt in Berlin starten?
Das würden wir schnell hinkriegen. Von mir aus könnten wir schon nach der Sommerpause mit den ersten Projekten loslegen.
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