piwik no script img

Langeweile in CoronazeitenIch fühle nichts mehr

Während der Coronapandemie gibt es nur wenig zu sehen und zu erleben. Für Menschen in der Kreativbranche ist das schwierig. Soziale Plattformen helfen auch nicht.

Wenn nichts mehr passiert, liefert auch das Smartphone keine Abwechslung mehr Foto: Thomas Trutschel/photothek/imago

I ch erlebe nichts. Seit fast einem Jahr. Ich weiß, vielen geht es so und das ist neben Existenzängsten und gesundheitlichen Auswirkungen in dieser Pandemie ein Luxusproblem. Als meine Freundin vor Monaten meinte, der Coronatest durch die Nase würde sich anfühlen, als würde jemand dein Gehirn kitzeln, bekam ich leuchtende Augen: Ja, ich will endlich wieder ein Kribbeln in meinem Hirn!

Aber mittlerweile haben sogar Nasenabstriche ihren Kick verloren, ich fühle nichts mehr. Ich lasse mich trotzdem regelmäßig testen. Wenn mich Leute für Online-Veranstaltungen anfragen und um Terminvorschläge bitten und ich sage, dass ich jeden Feierabend kann, weil ich sonst nichts vorhabe, tun sie so, als hätte ich einen Witz gemacht. Aber wo ist die Pointe?

In der Kreativbranche zu arbeiten und nichts zu erleben, ist schwierig. Es ist nicht so, als hätte ich vor der Pandemie so unglaublich viel erlebt, aber ich habe oft Menschen getroffen, die viel erleben. Die erleben jetzt aber auch nichts mehr oder erzählen das zumindest nicht, weil etwas erleben ist im Lockdown nicht erlaubt.

Ich verbringe also noch mehr Zeit als sonst auf den sozialen Plattformen, in der Hoffnung, zumindest fremden Menschen zuschauen zu können, wie sie was erleben. Ich schließe nach Feierabend meine beruflichen Tabs am Laptop, nur um einen Meter weiter auf der Couch persönliche Tabs zu öffnen. Jetzt hat mir doch tatsächlich eine Youtuberin auch diese Freude genommen – sie wolle nicht zeigen, was sie in Dubai so alles macht, damit wir in Europa nicht neidisch werden. Irgendwie ziehen verdächtig viele Influencer:innen nach Dubai, zuerst dachte ich aufgrund der niedrigen Steuern, aber es kann doch fast nur daran liegen, dass Dubai nicht im Lockdown ist.

Worüber schreibe ich Kolumnen, wenn ich nichts erlebe und 3.000 Zeichen nicht für die großen gesellschaftlichen Themen reichen? Denen widme ich mich jetzt sowieso zu Hause: Ich höre im Homeoffice meinem Mitbewohner bei seinen Team-Meetings zu und führe mit ihm daraufhin ungefragt Feedbackgespräche, in denen ich ihm erkläre, wo er seine Kolleginnen fast gemansplaint hat und wie er diskriminierungsfreie Sprache verwenden soll. Zumindest ertragen wir noch die Telefonstimme des anderen. Manche Wohngemeinschaften haben sich deswegen während der Pandemie wohl schon aufgelöst. Er fragt mich trotzdem immer häufiger, ob ich während seiner Team-Calls nicht spazieren gehen möchte.

„Spazierengehen“ schien für überhaupt alle außer mir die Antwort auf den Lockdown. Für mich persönlich komplett überbewertet. Ich mache es trotzdem täglich, ist ja nicht so, als hätte ich etwas anderes zu tun – kreativer bin ich dadurch nicht geworden.

Goethe soll in sein Tagebuch geschrieben haben „Gar nichts erlebt. Auch schön.“ Mittlerweile weiß man, dass das Zitat fiktiv ist – ganz ehrlich, das hätte ich euch auch so sagen können.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Melisa Erkurt
Autorin "Generation haram", Journalistin, ehemalige Lehrerin, lebt in Wien
Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
  • Endlich mal zur Ruhe kommen, wie schön... ja, wenn man/frau es selbst entscheidet, sich eine Auszeit zu gönnen, allein zu sein usw. Wenn das unfreiwillig über einen längeren Zeitraum geschieht, kann es schon runterziehen. Wenn dann noch Sorgen um die Existenzgrundlage und/oder lidie Gesundheit von lieben Menschen dazukommen, kann man gar nicht so viel spazierenghen, um das zu kompensieren.

  • Ja, ja, die Kreativ- Branche. Das sind die, die zwar meinen, kreativ sein zu müssen, das aber nicht ohne ständigen Austausch und Bestätigung hinbekommen. Früher assoziierte man künstlerisches Arbeiten ja mit Zurückgezogenheit, mit innerem Drang, auch mit jahre- wenn nicht lebenskanger Verkennung und Erfolglosigkeit, es ist auch eine Menge Brauchbares dabei rausgekommen. Heutzutage zählen nur Feedback, Wirkungs- Hochgefühl, Selbsterleben. Da ist es dann auch kein Wunder wenn jetzt Langeweile aufkommt, nur war die Langeweile in Wirklichkeit immer schon da, man hat sie halt nur nicht gespürt. Mein Rat: Lesen! Lesen ist edler als Schreiben, bescheidener und lehrreicher schon allemal. So, und jetzt höre ich auch auf zu schreiben.

    • @Benedikt Bräutigam:

      " Heutzutage zählen nur Feedback, Wirkungs- Hochgefühl, Selbsterleben." (Haresu)



      Auweia! Dann wären wir aber auf der Ebene von Geklapper und Geplapper aus purem mastubatorischem Selbstzweck angekommen.



      Und, wissen Sie was? - Ich fürchte da liegen Sie bei manchen Leuten echt nicht mal so arg schief.

  • Wie sagte schon Andrè Heller so schön: "Die wahren Abenteuer finden im Kopf statt!"



    Und was daraus entstehen kann zeigt uns diese Family:



    www.youtube.com/watch?v=FU_arNEQ8lM

    Ich find's wundervoll!

  • Schade, gehen Sie doch raus und helfen anderen, die gerade vor Stress nicht wissen wohin. Dann fühlen Sie gewiss wieder was und andere haben dann doch vielleicht den Luxus sich einen Spaziergang gönnen zu dürfen. Es wär doch toll jetzt solidarisch zu sein und sich gg die Ungleichverteilung der Langeweile zu engagieren! Geben Sie sich einen Schups!

  • 4G
    4813 (Profil gelöscht)

    Für Naturwissenschaftler, auch in der Kreativbranche tätig, ist Corona eigentlich ein Segen.



    Endlich Mal zur Ruhe kommen und neuen Ideen nachgehen, ohne sich erklären zu müssen.

  • Meine Frau und ich haben gestern Spaßeshalber unseren Januar-Terminkalender 2020 und 2021 verglichen. Krass dieser Unterschied. Soooo viele Termine, früher .......



    Und jetzt war ich auch gerade 2 Stunden spazieren wie die Autorin, das füllt den Tag, hält fit, reduziert aber den Ärger und die Verzweiflung nicht. Bei mir jedenfalls nicht.