Landverkäufe in der Ukraine: Tausende Hektar für den Westen
Die Regierung plant in einem Pilotprojekt, Agrarland zu veräußern. Die Bevölkerung hat Angst, dass Investoren heimische Kleinbauern verdrängen.
Der von dem bewaffneten Konflikt zwischen prorussischen Separatisten und der prowestlichen Regierung zerrissene Staat besitzt laut Ministerium 41 Millionen Hektar Agrarland – fast zweieinhalbmal so viel wie Deutschland. Die meisten Äcker sind mit den sehr fruchtbaren Schwarzerdeböden bedeckt. Auch dank des günstigen Klimas ist die Ukraine der größte Exporteur von Sonnenblumenöl und die globale Nummer drei bei Getreideausfuhren. Zusammen mit der Lebensmittelindustrie stellt die Landwirtschaft 22 Prozent des Bruttoinlandsprodukts – so viel wie keine andere Branche.
Gegner der Westorientierung werfen der EU und den USA vor, sie wollten diese Kornkammer ausbeuten. Die kalifornische Denkfabrik The Oakland Institute warnt, ausländische Investoren könnten dank ihrer größeren Finanzkraft einheimische Kleinbauern verdrängen. Zudem verlöre die Ukraine die Kontrolle über ihre Versorgung mit Lebensmitteln. Derzeit gehört das meiste Land früheren Kolchosen-Mitarbeitern. Die Mehrheit der Höfe bewirtschaftet im Schnitt rund 2 Hektar, was im internationalen Vergleich sehr wenig ist.
„Nur 20 Prozent der Bevölkerung unterstützen Landverkäufe“, zitiert Minister Pawlenko Umfragen. Der 38-Jährige, der seit Dezember 2014 im Amt ist, hält die Ängste für unbegründet. Internationale Investitionen würden kleine und mittlere Agrarunternehmen nicht unter Druck setzen, „weil wir ausländische Märkte öffnen“. Damit gebe es genügend Nachfrage für alle. Zudem würden ausländische Investoren Arbeitsplätze für die Landbevölkerung schaffen.
Der Markt sei „noch nicht reif“
„Wir sehen riesige Vorteile. Wenn Boden eine Handelsware ist, kann man riesige Finanzressourcen anziehen“, sagt Pawlenko. Er rechnet mit bis zu 100 Milliarden US-Dollar. Diese Argumente habe die Regierung im Parlament und an Runden Tischen vorgebracht. Womöglich beruhigen auch die Pilotverkäufe besorgte Kleinbauern.
Bisher bewirtschaften ausländische Firmen dem Minister zufolge weniger als 5 bis 8 Prozent der Ackerfläche. Sie dürfen zwar Land pachten. Aber vielen potenziellen Investoren ist das Risiko zu groß, dass sie den Boden nach Ablauf des Vertrages wieder verlieren. Pawlenko rechnet jedoch damit, dass das Parlament in Kiew das bislang bis Ende Dezember befristete Moratorium für Landverkäufe verlängert. Der Markt sei „noch nicht reif“. Bislang seien nur 20 Prozent der nötigen Daten im elektronischen Bodenkataster registriert. Das müsse sich ändern, damit nicht wie etwa in Rumänien Flächen mehrmals verkauft werden.
Auch die Korruption verhindert Investitionen. Die Ukraine war laut EU-Kommission seit 2013 in mindestens drei große Skandale der Biobranche verwickelt. Immer wurden konventionelle Agrarprodukte als teurere Ökoware in verschiedene EU-Staaten verkauft. Dennoch sagt Pawlenko: „Ich glaube nicht, dass wir so große Skandale hatten.“ Schließlich sei die Biobranche in der Ukraine noch sehr klein.
Bio soll in den Fokus rücken
Das mag im Verhältnis zur gesamten Agrarproduktion stimmen. Allerdings ging es Brüssel zufolge allein im letzten Fall Ende 2014 um 15.000 Tonnen Sonnenblumenprodukte, die EU-weit an Biotiere verfüttert wurden. In Deutschland wurden Ökohöfe gesperrt, die Bioeiererzeugung brach ein.
Pawlenko verweist darauf, dass die Ukraine die Ökobranche nun regulieren will. „Sobald das Gesetz entwickelt ist, werden unsere Fachbehörden auch die Bioprodukte in den Fokus nehmen.“ Bisher prüften nur internationale Kontrollstellen.
Nach dem Sonnenblumenfall hat die EU aber einer dieser Stellen wegen massiver Kontrolldefizite sogar die Zulassung entzogen. Branchenkenner glauben, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis der nächste größere Betrugsskandal mit Waren aus der Ukraine auffliegt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Haftbefehl gegen Benjamin Netanjahu
Er wird nicht mehr kommen