Landtagswahlen im Südwesten: Kampf der Liliput-Linken
Die Aussichten für die Linke sind bei den Wahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg ziemlich mau. Warum eigentlich?
Wie führt man Wahlkampf, wenn die Chancen, in den Landtag einzuziehen, marginal sind? Frage an Melanie Wery-Sims und Sahra Mirow. Beide sind Spitzenkandidatinnen für die Linkspartei, die eine in Rheinland-Pfalz, die andere in Baden-Württemberg. In beiden Ländern liegt die Linkspartei in Umfragen wenige Tage vor der Wahl unter der Fünf-Prozent-Hürde. In Rheinland-Pfalz kommt sie derzeit auf drei Prozent, im Ländle steht sie bei vier Prozent.
„Ach, die Umfragen“, sagt Wery-Sims am Telefon, „die sind nie so ganz genau. Die Karten werden erst am Wahltag neu gemischt.“ Ähnlich unverzagt äußert sich Mirow übers Handy: „Wir sind fest entschlossen, in diesen Landtag einzuziehen.“
Die Situation ist für die Linke in beiden Bundesländern ähnlich vertrackt: Die Ministerpräsidenten – hier Malu Dreyer von der SPD, da Winfried Kretschmann von den Grünen –, erfreuen sich jeweils großer Beliebtheit, die Partner sind gewillt die Koalition weiterzuführen und Corona ist das dominierende Thema im Wahlkampf. Da kann die Linkspartei, die im Osten fast Volkspartei war und im Westen vielerorts noch Zwergpartei ist und in beiden Bundesländern noch nie im Landtag war, schwer durchdringen.
In Rheinland-Pfalz setzen sich die Linken für ein milliardenschweres Infrastrukturprogramm, einen Mietendeckel und kostenlosen Nahverkehr ein. Das Thema Nahverkehr hat allerdings auch die politische Konkurrenz im Portfolio. Grüne, SPD und sogar die CDU versprechen, nach der Wahl ein 365-Euro-Jahresticket einzuführen.
Auch als APO wirksam
Für Wery-Sims ein Beweis dafür, dass man auch außerhalb des Parlaments wirksam sein kann, schließlich sei es die Linke gewesen, die jahrelang gefordert habe, den Nahverkehr kostenlos zu machen. „Da hat man unsere Forderung aufgegriffen.“ Ein wenig ärgerlich sei das jetzt im Wahlkampf schon, aber es ginge ja um die Sache.
In Baden-Württemberg setzt die Linke stark auf das Thema sozial-ökologischer Wandel. Das Feld der Ökologie wird allerdings auch seit 40 Jahren von den Platzhirschen, den regierenden Grünen, beackert. Mirow glaubt, dass die Linke mit dem Thema trotzdem gute Chancen hat: „Die Grünen sind nicht konsequent beim Klimaschutz.“
Empfohlener externer Inhalt
Das habe sich etwa gezeigt, als Kretschmann eine Abwrackprämie für Verbrennermotoren gefordert habe. Die Linke nehme dagegen das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens ernst und wolle die notwendigen Transformation zudem sozial gerecht gestalten. Dass in einem reichen Land wie Baden-Württemberg jedes fünfte Kind von Armut gefährdet sei, sei ein Skandal.
Die Truppen, die die Linke in beiden Bundesländern für den Wahlkampf mobilisieren kann, sind in ihrer Zahl bescheiden. In Rheinland-Pfalz hat die Linkspartei 1.800 Mitglieder, in Baden-Württemberg zählt sie 3.900. Der Genoss:innenanteil liegt in beiden Bundesländern also im Promillebereich, sowohl im Vier-Millionen-Einwohner-Land Rheinland-Pfalz als auch im elf Millionen Einwohner zählenden Baden-Württemberg. Zum Vergleich: Die Grünen haben in Baden-Württemberg fast viermal mehr, die CDU gar 15-mal so viele Mitglieder wie die Linke.
Riexinger scheiterte bereits
Da passt es eigentlich ganz gut, dass der Wahlkampf zurzeit digital läuft. In Baden-Württemberg mit Online-Veranstaltungen wie kürzlich einem Talk zum Mietendeckel, den die Linke gern aus Berlin nach Stuttgart importieren würde. 1.000 Menschen hätten das Video angeklickt, sagt Mirow. Und: Die Mitgliederzahlen der Linken seien gewachsen in den letzten Jahren, sagen beide Frauen. Sowohl in Baden-Württemberg als auch in Rheinland-Pfalz seien vor allem junge Menschen zwischen 20 und 35 in die Linkspartei eingetreten.
Empfohlener externer Inhalt
Gemessen am Alter gehören die Spitzenkandidatinnen selbst fast noch zur jungen Generation der Linkspartei. Die 37-jährige Wery-Sims ist sogar erst vor fünf Jahren in die Partei eingetreten, kurz vor der letzten Landtagswahl. Nun ist sie zusammen mit David Schwarzendahl bereits Spitzenkandidatin. Eine ziemlich rasante Parteikarriere also. „Ich mache eben keine halben Sachen“, sagt sie.
Mirow ist in diesem Jahr 36 Jahre alt geworden. Sie ist schon seit zehn Jahren in Heidelberg bei der Linkspartei aktiv, seit 2018 als Landessprecherin, wie die Vorsitzenden der Linken im Westen Deutschlands heißen.
Mehrere Wahlkämpfe hat Mirow bereits mitgefochten, nun zum ersten Mal als Spitzenkandidatin. Ihr Vorgänger in dieser Position war Bernd Riexinger, bis vor kurzem noch Bundesvorsitzender der Partei. Er scheiterte damals an der Aufgabe, die Linke in den Landtag zu führen. Ganze 2,9 Prozent holte die Linke 2016, ein ähnlich maues Ergebnis wie in Rheinland-Pfalz (2,8 Prozent).
Corona verdrängt alles
Die Gründe, weshalb die Linke es auch diesmal schwer haben dürfte, seien ähnlich wie damals, sagt Riexinger: eine zu geringe Verankerung in den ländlichen Gebieten, wenig mediale Aufmerksamkeit, weil man nun mal nicht im Landtag sei, und ein monothematischer Wahlkampf: Corona als das alles bestimmende Thema.
Dennoch ist Riexinger optimistisch. „Die Mitglieder vor Ort sind engagiert, die Kampagne ist gut und die Spitzenkandidatin sehr sympathisch.“ Er hofft, dass die Linke es schafft, „unsere eigenen Anhänger zur Wahl zu mobilisieren und Stimmen von den weit in die Mitte gerückten Grünen dazu zu gewinnen.“ Und nun kommt sogar Rückenwind aus unverhoffter Ecke. „Gerade hat der Vorsitzende der Tierschutzpartei in Baden-Württemberg zur Wahl der Linken aufgerufen“, frohlockt Riexinger.
Na dann kann ja am Sonntag nichts mehr schiefgehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja