Landtagswahl in Österreich: Zeitenwende in Tirol
Die Tiroler ÖVP stürzt ordentlich ab, die rechte FPÖ profitiert am meisten. Die ÖVP versucht dennoch, die Niederlage als Sieg zu deuten.
Abgewählt ist auch die schwarz-grüne Koalition, die keine gemeinsame Mandatsmehrheit zustande bringt. Die Grünen verloren 1,5 Prozentpunkte und landeten bei 9,2 Prozent. Wahlgewinner ist die rechte FPÖ, die sich von 15,5 auf 18,9 Prozent verbesserte. Keine andere Kraft hat mehr von der Abfolge von Krisen profitiert. FPÖ-Landesparteichef Markus Abwerzger hatte schon im Wahlkampf den Anspruch auf den Posten des Landeshauptmanns erhoben.
Als der schwarze Balken der ersten Hochrechnung auf über 34 Prozent stieg, brach im Lokal der ÖVP Jubel aus. Nicht, weil ihre Partei das historisch schlechteste Ergebnis einfuhr, sondern weil der Verlust sich in Grenzen hielt. Dass die ÖVP nach dem Abgang von Strahlemann Sebastian Kurz Ende vergangenen Jahres und ungezählten Skandalen abgestraft würde, hatte sich längst abgezeichnet. Entscheidend ist, dass der Sessel des Landeshauptmanns erfolgreich verteidigt wurde.
Der bisherige Inhaber Günther Platter war gar nicht mehr selbst in den Ring gestiegen, sondern hatte die erwartbare Niederlage seinem Parteifreund, dem gelernten Fernsehtechniker Anton Mattle, ehemals Bürgermeister des bekannten Skidorfes Galtür, überlassen. Der Anton aus Tirol suchte größtmögliche Distanz zu seiner angeschlagenen Gesinnungsgemeinschaft und trat als „Liste Mattle“ auf dem Stimmzettel an. Unmittelbar nach der Wahl stellte er den Anspruch auf den Posten des Landeshauptmanns, den ihm wohl auch keiner streitig machen kann. Zu Koalitionspräferenzen hielt er sich bedeckt. Ausgeschlossen hat er nur eine Zusammenarbeit mit der FPÖ.
Zuwachs für SPÖ gering
Geringer als erhofft fiel der Zuwachs der SPÖ – von 17,3 auf 17,5 Prozent – aus. SPÖ-Tirol-Chef Georg Dornauer hatte sich schon im Wahlkampf als Juniorkandidat für die ÖVP angeboten. ORF-Politologe Peter Filzmaier steht nicht allein, wenn er eine schwarz-rote Koalition für die nächsten vier Jahre für die wahrscheinlichste Variante hält.
Rechnerisch wäre für die ÖVP zwar auch eine Dreierkoalition mit den Grünen und der Liste Fritz möglich, doch hält sich Mattle diese Option wohl nur aus verhandlungstaktischen Gründen offen. Die Liste Fritz ist eine sozial wärmere Variante der ÖVP, die sich vor 14 Jahren unter dem Arbeiterkammerfunktionär Fritz Dinkhauser von der Mutterpartei abgespalten hat. Sie verbesserte sich von 5,5 auf 9,9 Prozent und freut sich über die höchsten Zugewinne.
Die ÖVP ist nicht nur durch den bundesweiten Gegenwind beschädigt, sie hat auch die Veränderungen der letzten Jahrzehnte in der Alpenprovinz verschlafen. Aus dem engstirnigen katholischen Bergvolk, das über Generationen zuverlässig konservativ gewählt hat, ist eine politisch mobile Bevölkerung geworden, die auch abseits der grün regierten Landeshauptstadt Innsbruck die Zeichen der Zeit liest.
Das Erschließen der Bergwelt durch immer neue Lifte und Pisten ist an seine Grenzen gestoßen. Vor wenigen Wochen wurde die ökologisch verheerende Verbindung zweier Täler durch neue Skilifte in einem Referendum zu Grabe getragen.
ÖVP erreicht junge Wähler nur schwer
28 Prozent der ÖVP-Wähler gaben als wichtigstes Wahlmotiv an, sie hätten schon immer diese Partei gewählt. Hätte man nur die Unter-30-Jährigen an die Urnen gelassen, wäre die ÖVP mit 17 Prozent nur Dritte geworden. Von den Über-60-Jährigen hat hingegen jede und jeder Zweite die Landeshauptmannpartei gewählt.
Nachdenklich in der ÖVP zeigte sich einzig Bildungslandesrätin Beate Palfrader, die davon sprach, das Wahlergebnis müsse „die Partei wirklich aufrütteln.“ Sie wünscht sich mehr junge Leute in der künftigen Landesregierung. Der Wechsel vom 68-jährigen Platter zum 59-jährigen Mattle kann schwer als Generationenwechsel gelesen werden.
Wie jede Regierung in Europa mussten auch ÖVP und Grüne hinnehmen, dass die Wählerschaft ihren Frust über das Weltgeschehen an ihnen ausließ. Im Vordergrund des Wahlkampfes stand diesmal nicht das urtirolerische Problem des Transitverkehrs, sondern die Teuerung und die zunehmend unleistbaren Kosten von Miete und Energie.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe