Krise bei Österreichs Konservativen: ÖVP zieht die „Asylkarte“

Seit dem Abgang von Exparteichef Kurz herrscht bei der ÖVP Orientierungslosigkeit. Jetzt hat Generalsekretärin Sachslehner ihren Rücktritt erklärt.

Zwei Männer in Anzügen stehen hinter Redepulten vor Flaggen, neben einem Bildschirm

„There is no way“: Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) stellt seine Anti-Schlepper-Kampagne vor Foto: Klaus Titzer/apa/dpa

WIEN taz | Wieder einmal sorgt das Thema Asyl für Unruhe in Österreichs ÖVP-Grünen-Koalition. Geopfert wurde die ÖVP-Generalsekretärin Laura Sachslehner, die am Samstag überraschend ihren Rücktritt erklärte. Sie hatte zuletzt für Wirbel gesorgt, weil sie die Auszahlung eines Klimabonus von 500 Euro an Asylwerber ablehnte.

Die Kompensation für steigende Energiekosten wurde bereits vor einem Jahr von den Koalitionspartnern ausgehandelt, noch unter Sebastian Kurz als Parteichef. Sachslehners Polemik, der Bonus sei für Menschen gedacht, die „hier leben, arbeiten, Steuern zahlen, jeden Tag aufstehen und ihr Bestes geben“, widersprach dem, was die Parteiführung paktiert hatte: Begünstigt werden alle, die seit mehr als sechs Monaten legal in Österreich leben.

ÖVP-Fraktionschef August Wöginger erkannte die Gefahr für die Koalition und legte der 28-Jährigen den Rücktritt nahe. Sachslehner gehorchte, stach aber in ein Wespennest. „Momentan ist der Kurs, für den ich brenne, nicht derjenige, der von der Bundesebene gerade gewünscht wird“, vertraute sie dem Boulevardblatt Kronen Zeitung an. Sie weiß, dass ihr Rechtskurs von einem großen Teil der Basis geteilt wird.

Die Grünen zu provozieren und ein vorzeitiges Ende der Koalition zu riskieren, kann aber nicht im Sinne der Partei liegen. In Umfragen liegt die ÖVP bundesweit mit knapp über 20 Prozent klar hinter der SPÖ (rund 30 Prozent) und Kopf an Kopf mit der FPÖ – weit entfernt von den 37,5 Prozent, die Kurz 2019 eingefahren hatte.

Im Bundesland Tirol, wo die ÖVP seit Menschengedenken regiert, hat Landeshauptmann Günther Platter seinen Abgang angekündigt. Bei den Landtagswahlen am 25. September muss sein Nachfolger Anton Mattle den angekündigten Absturz unter die 30-Prozent-Marke ausbaden. Das wäre mit einem Minus von 15 Prozentpunkten zwar noch der erste Platz, doch würde eine Zweierkoalition wohl nicht mehr ausreichen.

ÖVP will Schleppern das Handwerk legen

Mattle versuchte sich zuletzt dadurch zu profilieren, dass er die EU-Sanktionen gegen Russland in Frage stellte. Er zeigte sich „offen“ gegenüber dem Vorstoß des oberösterreichischen Landeshauptmanns Thomas Stelzer (ÖVP), die Sanktionen gegen Russland auf „Treffsicherheit zu überprüfen“. Dieses Abweichen von der Parteilinie wird als Versuch gesehen, im Teich der Putin-freundlichen FPÖ zu fischen. Umfragen zeigen, dass 40 Prozent der Menschen angesichts explodierender Energiekosten „sehr“ oder „eher“ dazu tendieren, Putin im Ukraine-Krieg entgegenzukommen.

Immer wenn es der ÖVP schlecht geht, so haben Leitartikler beobachtet, ziehe sie die „Asylkarte“. So kam es nicht überraschend, dass Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) Ende August eine Kampagne präsentierte, die den Schleppern das Handwerk legen soll. Griffige Botschaften, wie „Du kannst nicht bleiben“, oder: „Du wirst scheitern“, illustriert mit Fotos martialischer Grenzpolizisten mit Kampfhunden, sollen ab Januar in den sozialen Medien von Indien, Tunesien und Marokko platziert werden. Die Anzahl von Asylwerbern aus diesen „Urlaubsländern“ habe nämlich in den letzten Monaten sprunghaft zugenommen.

Die Orientierungslosigkeit der einst staatstragenden Konservativen ist seit dem Abgang des einst wie ein Messias gefeierten Sebastian Kurz offensichtlich. Das Dreigestirn aus Kurz, Exfinanzminister Gernot Blümel und Exlandwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger, das Österreich „neu regieren“ wollte, hat nach seinem politischen Scheitern blitzschnell hoch dotierte Posten in in- und ausländischen Spekulationskonzernen gefunden und kann jetzt richtig Kohle machen.

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