Landkreise protestieren gegen Kürzungen: „Im Regen stehen gelassen“
Das Land Niedersachsen streicht seinen Kommunen Gelder in dreistelliger Millionenhöhe. Es geht um Wohnzuschüsse für Hartz IV-Empfänger*innen.
Der Niedersächsische Landkreistag (NLT) in Hannover sieht das anders. Man sehe sich durch den Doppelhaushalt „finanziell abgestraft“, sagt Bernhard Reuter (SPD), Vizepräsident des NLT und Landrat des Landkreises Göttingen. „So stellen wir uns eine vertrauensvolle Zusammenarbeit nicht vor.“
Es geht um 142 Millionen Euro Landesgeld pro Jahr, das den Kommunen gestrichen wird, stufenweise. Ab 2024 fällt die Zahlung komplett weg, dauerhaft. „Das schmerzt uns sehr“, sagt Hubert Meyer, Hauptgeschäftsführer des NLT. „Es geht hier ja nicht um eine Einsparung, die temporär nötig wird, etwa durch eine Notlage wie Corona, sondern um eine strukturelle Entscheidung. Und es trifft überproportional Kommunen, die ohnehin schon hohe Soziallasten zu tragen haben.“
Auch eine gemeinsame Erklärung der ostfriesischen Landkreise Aurich, Leer und Wittmund sowie der Stadt Emden geht mit den Haushaltsbeschlüssen hart ins Gericht. Das Landeskabinett lasse Ostfriesland „finanziell im Regen stehen“, sagen die Landräte Olaf Meinen, Aurich (parteilos), Matthias Groote, Leer (SPD) und Holger Heymann, Wittmund (SPD) im Schulterschluss mit Emdens Oberbürgermeister Tim Kruithof (parteilos). Bei der Bekämpfung der Pandemie habe man „in vorderster Linie“ gestanden, jetzt sei ihre Loyalität „auf eine harte Probe gestellt“. Man habe sich „nicht in den kühnsten Träumen“ vorstellen können, dass das Land derart massiv an den bisherigen Finanzbeziehungen rüttle.
Es geht um die Landeszuschüsse für die Kosten der Unterkunft (KdU) von Hartz IV-Empfängern. „Insbesondere die Streichung vorgesehener Gelder im Bereich SGB II für die Jobcenter, die das Land seinerzeit bei der Zusammenführung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe im Jahr 2005 erspart hatte und die seither fester Bestandteil der Finanzausstattung der Kommunen sind, treffen die kommunalen Haushalte ins Mark“, sagen die vier Kommunalchefs. Der Zuschussanteil des Landes macht für Ostfriesland rund acht Millionen Euro aus.
Klar, das bedeutet nicht, dass keine KdU mehr gezahlt werden. Sie sind eine Leistung, auf die ein gesetzlicher Anspruch besteht. Aber die Kommunen müssen, um dieses Geld aufzubringen, anderweitig streichen. „Da geht es dann drum, das Geld irgendwo rauszureißen, bei freiwilligen Leistungen“, sagt Eduard Dinkela, Sprecher der Stadt Emden. Man merkt ihm seinen Zorn an. „Wir stehen da echt mit dem Rücken an der Wand.“ Die gemeinsame Erklärung mit Wittmund, Aurich und Leer sei „ein starkes Signal“, sagt er. Dinkela hofft, dass die Landesregierung ihre Entscheidung überdenkt.
Das hofft auch Hubert Meyer vom NLT. „Aber ich bin schon zu lange im Geschäft, um mir da große Illusionen zu machen“, sagt er. „Wir haben sehr deutliche Gespräche mit der Landesregierung geführt. Aber wir sind da nicht auf Zustimmung gestoßen.“
Heidi Reichinnek, die Landesvorsitzende der Linken in Niedersachsen, hält die Einspar-Entscheidung der Landesregierung für eine „Katastrophe“. Kopfschüttelnd sagt sie: „Die kaputtgesparten Kommunen schieben riesige Schuldenberge vor sich her und werden wieder dem Diktat der ‚schwarzen Null‘ unterworfen, gleichzeitig sollen sie die Kosten der Unterkunft übernehmen. Das ist ein brutaler Schraubstock.“ In jedem Fall seien „die Menschen vor Ort die Verlierer, vor allem jene mit geringem Einkommen“.
Antje Tiede, Sprecherin des Niedersächsischen Finanzministeriums, weist die Kritik des NLT und der ostfriesischen Kommunen als „völlig unberechtigt“ zurück.
Das Land habe die Kommunen im Zuge der Krisenbewältigung 2020 mit 1,1 Milliarden Euro unterstützt. Im kommenden Jahr zahle es an sie 11,3 Milliarden Euro. „Rund jeder dritte Euro des Landes geht damit an die Kommunen.“ Und dann rechnet sie vor: Steuerausfälle, Pandemiekosten – der Finanzierungssaldo des Landes sei auf seinem tiefsten Stand seit 20 Jahren. Das sei „auch mit durchaus schmerzhaften Veränderungen verbunden“.
Man habe beim Doppelhaushalt die Kommunen „nicht vollkommen ausnehmen“ können. „Nachdem die Landesregierung für 2020 und für 2021 noch auf eine Reduzierung oder Streichung des Landeszuschusses verzichtet hatte, ist jetzt der Abbau in moderaten Schritten vorgesehen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour
Täter von Magdeburg
Schon lange polizeibekannt
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen