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Landgericht: Schlecker ist selber schuld

Drogerie-Discounter ist verantwortlich dafür, dass seine Filialen so oft überfallen worden sind, so die Vorsitzende Richterin. Ursache sind geringe Sicherheitsstandards, Leidtragende die Verkäuferinnen. Jugendliche verurteilt

Der Drogerie-Discounter Schlecker trägt selbst die Verantwortung dafür, dass seine Filialen so oft überfallen worden sind. Das hat eine Jugendstrafkammer des Landgerichts festgestellt, die am Dienstag fünf Jugendliche wegen einer Überfallserie auf die Drogeriekette zu Haft- und Bewährungsstrafen verurteilt hat.

„Schlecker macht es den Tätern sehr einfach“, sagte die Vorsitzende Richterin mit Hinweis auf den geringen Sicherheitsstandard der Läden. Schlecker sei deshalb selbst verantwortlich für den durch die Überfälle entstandenen finanziellen Verlust. Die Leidtragenden seien die Verkäuferinnen – oftmals allein in dem Geschäft tätig–, die durch die Überfalle zum Teil schwere psychische Schäden davongetragen hätten.

Es ist noch gar nicht lange her, da wurden die Filialen von Schlecker unter den kriminellen Jugendbanden als Geheimtipp für lohnende Überfälle gehandelt. Allein 1999 hat es 70 Überfälle auf die rund 350 Schlecker-Verkaufsstellen in Berlin gegeben. Die Überfallserie riss erst im Frühjahr 2000 ab, nachdem mehrere Tatverdächtige festgenommen wurden. Die Täter hätten das Sicherheitsdefizit in den Filialen genau erkannt und wüssten, „dass sie bei den schlecht bezahlten Angestellten leichtes Spiel“ hätten, hatte damals ein leitender Kriminalbeamter gegenüber der taz erklärt.

Die fünf Angeklagten, die am Dienstag verurteilt worden sind, sind zwischen 15 und 19 Jahre alt. Sie leben schon viele Jahre in Berlin, ihre Eltern kommen aus der Türkei, Bosnien und Kenia. Zwei der Angeklagten kamen mit Bewährungsstrafen davon. Die übrigen drei wurden zu Freiheitsstrafen von zwei Jahren und sechs Monaten und zwei Jahren und elf Monaten verurteilt. Die Grenze von drei Jahren überschritt das Gericht mit Absicht nicht, weil den Jugendlichen sonst die Ausweisung drohen würde. Als strafmildend wertete das Gericht, dass alle Angeklagten sich reuig gezeigt und die meisten eine schwere Kindheit hinter sich hätten.

Die Überfalle auf die Filialen von Schlecker erfolgten stets auf die gleiche Weise. Ein oder zwei Täter bedrohten die Verkäuferin mit einem Messer am Hals, während die anderen vor dem Geschäft Schmiere standen. In ihrer Angst gaben die Frauen das Geld aus Kasse und Tresor heraus. Bei sechs Überfällen auf Neuköllner Schlecker-Filialen hatten die Jugendlichen auf diese Weise über 12.000 Mark erbeutet. Doch als sie am 7. April zum siebten Mal zur Tat schreiten wollten, legten ihnen eine als Verkäuferin getarnte Polizistin und ein in einem Hinterraum versteckter Polizist das Handwerk. Das Geld hatten die in ärmlichen Verhältnissen groß gewordenen Jugendlichen sofort verjubelt: für Markenklamotten, Handys und Restaurantbesuche.

Dass die Überfallserie vor einem dreiviertel Jahr abgerissen ist, ist wohl hauptsächlich auf die Festnahmen zurückzuführen. „Bei Schlecker hat sich kaum etwas verändert“, weiß Achim Neumann, Sekretär bei der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherung (HBV). Sämtliche Versuche des Betriebsrates, mit der Unternehmensleitung einen Sicherheitstarifvertrag auszuhandeln, in dem eine bestimmte Angestelltenzahl im Laden vorgeschrieben ist, seien fehlgeschlagen. „Es ist ein Skandal“, so Neumann, „dass die Sicherheit aus Kostengründen weiterhin auf dem Rücken der Belegschaft ausgetragen wird“.

PLUTONIA PLARRE

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