Landesparteitag der Berliner Piraten: Nicht jedes Feuer löschen
Wenig Überraschungen: Die Berliner Piraten wählen ihren Alt-Chef Gerhard Anger zum Neu-Chef. Der gibt sich bescheiden.
Beinah verlegen läuft Gerhard Anger auf die Bühne, im grauen Pullover und Jeans. „Ja, ich nehme die Wahl an“, sagt Anger, lächelt, als der Applaus aufbrandet. Dann ist er neuer Berliner Landeschef der Piraten. Mal wieder.
Bereits bis Februar war Anger Landesvorsitzender, ein Jahr lang, in der Partei für seine ruhige, vermittelnde Art geschätzt. Auf dem Landesparteitag im Frühjahr zog der 36-Jährige seinen Wiederantritt aber spontan zurück, begründete das mit der „emotionalen Belastung“.
Diesmal kündigt Anger vorneweg an, „nicht jeden Streit schlichten, nicht jedes Feuer löschen“ zu werden. Er wirbt stattdessen für ein Konzept, das den Vorstand entlasten soll: Dessen Aufgaben sollen künftig auf einem Onlineportal gebündelt und dann im Landesverband verteilt werden. „Gelebtes OpenGoverment.“
Mit großer Mehrheit
Das offenbar überzeugt die rund 300 anwesenden Piratenmitglieder, die sich genau ein Jahr nach dem Einzug ihrer Partei in das Berliner Abgeordnetenhaus zusammengefunden haben. Mit großer Mehrheit, 79 Prozent, wählen sie Anger wieder zu ihrem Vorsitzenden. Der schiebt das Ergebnis auf sein Konzept, nicht auf sich selbst. „Ein bisschen müde“, sei er jetzt, sagt Anger. Trotzdem würde aber am liebsten „sofort“ mit der Umsetzung seines Konzeptes anfangen, bis Ende Februar damit fertig sein.
Neben Anger waren sieben Mitglieder, darunter zwei Frauen, für den Vorsitz angetreten. Einer auch spontan: Gerwald Claus-Brunner, Abgeordneter und Latzhosenträger. Mitglieder hätten ihn am Vortag in einem Brief um seinen Antritt gebeten, sagt der 40-Jährige. Er sei „kein guter Diplomat“, räumt der in der Fraktion umstrittene Claus-Brunner ein. „Aber ich sage offen und ehrlich meine Meinung.“
Auch sonst präsentieren die Kandidaten ein breites Spektrum. Bewerber Uwe Wilhelm, einst im Spartakus-Bund, fordert den Nichtantritt der Piraten zur Bundestagswahl, einen Rückzug auf die „digitale Internetopposition“. Michael Hartung, früher bei der Jungen Union, fordert mehr Professionalisierung. Später schilt er Religionen als gewaltversessen. Das gibt auch Buh-Rufe.
Auch Anger muss sich rechtfertigen, dass er noch im Juni die Arbeit der Piratenfraktion scharf kritisiert hatte, angab, kurz vorm Austritt gestanden zu haben. Vieles habe sich seitdem gebessert, antwortet Anger. „Aber wenn Missstände da sind, muss man sie auch aussprechen.“
Nun darf Anger den seit letzten Jahr von 900 auf 3.800 Mitglieder gewachsenen Landesverband in den Bundestagswahlkampf 2013 führen. Von seinen Mitkandidaten, mehrfache Stimmabgaben waren möglich, kam keiner an ihn heran: Das nächsthöchste Wahlergebnis erreichte noch Claus-Brunner, 35 Prozent.
Zuvor hatte sich auch ein Ex-Vorsitzender zu Wort gemeldet: der im Mai zurückgetretene Hartmut Semken. Der 45-Jährige räumte nach einer ganzen Reihe von Fehltritten seinen Posten. „Ja, ich habe Scheiße gebaut“, entschuldigt sich Semken. Nach seinem Rücktritt habe er sich von dem „ganzen Piraten-Gedöns“ zurückgezogen. „Das war genauso scheiße.“ Jetzt wolle er weiter Pirat sein, sagt Semken, „wo, ist noch nicht ganz klar“. Die Partei zeigt sich versöhnlich: Sie spendet Semken Applaus. Dann scharren sich die meisten um Anger.
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