Landesparteitag der Berliner Grünen: Jarasch wirbt für gutes Klima
Die grüne Spitzenkandidatin kämpft um die Stimmen von frustrierten Klimaschützern. Von der CDU grenzt sie sich deutlich ab – kopiert aber eine Kampagne.
Dieses neue Wahlkampfvideo läuft gleich zu Beginn des Grünen-Landesparteitags am Samstag im Neuköllner Hotel Estrel. Jaraschs Schuhe sind nicht jene, die sie Ende 2020 an gleicher Stelle nach ihrer Nominierung zur Spitzenkandidatin bekam – die sollten sie mit einem großen „B“ darauf ins Berliner Spitzenamt führen. Sie trage die Schuhe zwar auch noch, aber die sähen inzwischen ein bisschen abgeranzt aus, erzählt Jarasch später der taz.
Schon bei dem Laufschuh-Geschenk vor etwa zwei Jahren tat sich eine Parallele auf, die sich nun wiederholt: Mit der Kampagne „Diepgen rennt“ und dem Modell „Ebi-Runner“ lief schon 1999 der fast abgeschriebene damalige CDU-Regierungschef Eberhard Diepgen noch zum Wahlsieg – um zwei Jahre später im Bankenskandal politisch unterzugehen.
Diepgens Wahlergebnis von seither in Berlin nicht mehr erreichten 40,4 Prozent würde Jarasch mutmaßlich gern übernehmen. In der jüngsten Umfrage kommt ihre Partei auf etwas mehr als halb so viele Prozent. Das reicht vorerst nur für Platz zwei hinter der CDU, die mit 23 Prozent erstmals seit 2020 vorne liegt.
Wichtiger aber ist, dass die Umfrage zugleich einen 3-Prozentpunkte-Vorsprung vor der SPD ergab – und damit die Führung im links-grünen Lager. Da es trotz des CDU-Anstiegs angesichts von insgesamt 50 Prozent für die bisherige Koalition mit SPD und Linkspartei reichen würde, hieße das bei einem ähnlichen Ergebnis am Wahlabend am 12. Februar: Jarasch wäre höchstwahrscheinlich die neue Regierungschefin und Nachfolgerin von Franziska Giffey (SPD)
Die SPD taucht kaum auf
Es ist aber nicht die SPD, an der sich die Partei bei ihrem Treffen abarbeitet, sondern die CDU. Denn es gibt durchaus Varianten bei entsprechendem Wahlausgang, bei denen die CDU die kommende Regierung anführen würde. Allein dass sich die Grünen mehrfach auf sie beziehen, spricht dafür, dass für Jarasch der Lauf zum Roten Rathaus noch lange nicht zu Ende ist. Die SPD taucht hingegen kaum auf, nur am Rand kritisieren Redner Regierungschefin Giffey, weil sie Enteignung zur persönlichen Gewissensfrage gemacht hat.
Jarasch selbst bleibt beim Parteitag in Sachen Enteignung bei ihrer Irgendwo-dazwischen-Haltung, auch wenn Wahlplakate aus dem grünen Kreisverband Friedrichshain-Kreuzberg fordern, den entsprechenden Volksentscheid von 2021 umzusetzen. „Ob es in fünf oder zehn Jahren ein Vergesellschaftungsgesetz gibt, kann heute niemand seriös sagen“, sagt sie, „denn bis dahin ist es noch ein langer Weg.“ Sie wolle nicht, dass Berlin damit vor dem Verfassungsgericht scheitert. Bei der Linkspartei hingegen hält es ihr Spitzenkandidaten-Kollege Klaus Lederer für möglich, dass der Senat bis Jahresende ein solches Gesetz vorlegt.
Den Parteitag prägt, dass er nur wenige Tage nach der Räumung von Lützerath stattfindet. Das Dorf in Nordrhein-Westfalen ist zwar fast 600 Kilometer vom Neuköllner Tagungshotel entfernt, aber in vielen Redebeiträgen präsent. Nicht nur eingangs, immer wieder kommen Delegierte darauf zu sprechen, während die Partei ihr 169-seitiges aktualisiertes Wahlprogramm diskutiert und beschließt.
Jaraschs Aufgabe an diesem Tag ist klar: gefrustete Grüne, die enttäuscht von ihrer in NRW mitregierenden Partei sind, auffangen und wieder ins Boot holen. Dass Befürchtungen berechtigt sind, Lützerath könne die Grünen am 12. Februar entscheidende Stimmen kosten, weil Unterstützer nicht wählen gehen oder für die Konkurrenz von der Klimaliste votieren könnten, spiegeln mehrere Äußerungen am Rednerpult wider.
Viele zweifeln an der eigenen Partei
Nicht nur die Grüne Jugend, auch ältere Mitglieder berichteten dort von Zweifeln an der eigenen Partei. Eine Delegierte im Rentenalter, nach eigenen Worten gerade zurück aus Lützerath, formuliert es so: „Ich dachte, ich gehe raus aus den Grünen.“ Ein langjähriger Parlamentarier vom Realo-Flügel, der daran erinnerte, dass Parlaments- und Regierungsarbeit stets Kompromisse erfordert, bekommt weit weniger Beifall.
Wie das zusammenführen? Jarasch mischt Zuwendung, Drohkulisse und Bitten. Sie verstehe den Frust und den Protest in Lützerath – „was dort vereinbart wurde, ist kein toller Erfolg.“ Es handele sich um einen mühsam verhandelten Kompromiss, „der uns nicht zufrieden machen kann.“ Aber ohne die Grünen gäbe es selbst diesen Kompromiss nicht.
Die Drohung besteht darin, dass Jarasch die Alternative ausmalt: Die Grünen hätten die Chance, nach dem 12. Februar den Senat anzuführen – sonst drohe eine konservative CDU im Roten Rathaus, die die A100 als „Klimaautobahn“ weiterbauen will. Jaraschs Appell schließlich: „Deshalb bitte ich die Klimabewegung, diese Chance für Berlin zu unterstützen.“ Zudem begrüßen die Grünen ausdrücklich den Klima-Volksentscheid.
Inhaltlich stellt Jarasch einen Plan vor, wie Berlin unter grüner Führung in zehn Jahren aussehen soll. Das macht sie ganz anders als tags zuvor Linkspartei-Spitzenkandidat Lederer beim taz Talk: Der mochte nichts versprechen, was noch in den Sternen steht, sondern sprach weit vorsichtiger davon, seine Partei und er würden sich für etwas einsetzen, kämpfen, sich bemühen.
Jarasch redet im Präsens und mag keinen Zweifel an der Umsetzung ihres Plans aufkommen lassen. Berlin ist demnach in zehn Jahren „Schlusslicht bei Staus“, jede zweite Wohnung ist in gemeinwohlorientierter Hand – und das 29-Euro-Ticket gilt deutschlandweit. Wobei Jarasch für Letzteres eher Bundeskanzlerin und nicht bloß Regierende Bürgermeisterin sein müsste.
Das kann man nun ambitioniert nennen oder als Wünsch-dir-was abtun. Eins zeigt es in jedem Fall: Jaraschs Lauf würde, einen Wahlerfolg vorausgesetzt, mit den neun bis zehn Kilometern von ihrer Wohnung zum Roten Rathaus erst richtig anfangen. Und zu den verschlissenen Schuhen mit dem „B“ würden bald noch einige durchgelaufene Paare dazukommen.
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