Landesparteitag der Berliner Grünen: Zwei Drittel für Aufrüstung

Kreuzberger scheitern mit Widerstand gegen 100-Milliarden Sondervermögen für Bundeswehr. Grüne Jugend unterliegt knapp mit Antrag auf Importstopp.

Das Foto zeigt die Berliner Grünen-Landesvorsitzenden Susanne Mertens und Philmon Ghirmai.

Susanne Mertens (l.) und Philmon Ghirmai sind seit Dezember Berlins Grünen-Doppelspitze Foto: dpa

BERLIN taz | Für Lisa Paus, die erfahrene grüne Bundestagsabgeordnete aus Charlottenburg, ist die Sache ganz klar: Wenn der Landesparteitag das unterstütze, dann sei die Koalition vorbei. Und damit meint sie nicht etwa die Rot-Grün-Rote in Berlin wegen des Streits um Enteignung, sondern die mit SPD und FDP auf Bundesebene. Denn dieses „Das“ ist bei dem samstäglichen Parteitreffen der Berliner Grünen die Forderung des Kreisverbands Friedrichshain-Kreuzberg, das von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) propagierte 100-Milliarden-Projekt zur Stärkung der Bundeswehr abzulehnen. Für Paus ist klar: Wenn die Grünen da nicht mitmachen, „dann ist das de facto der Koalitionsbruch.“ Das wirkt: Der Antrag scheitert, genau wie wenig später später eine Forderung der Grünen Jugend, gegen den Willen der Parteispitze Energieimporte aus Russland zu stoppen.

Die Unterlegenen sind dabei aber durchaus nicht an einer Hand abzuzählen. Gut zwei Drittel der 130 abstimmenden Delegierten unterstützen zwar das milliardenschwere Rüstungs- und Sicherheitspaket. Aber fast jeder Dritte tut das nicht und nimmt damit Paus' Szenario vom Ende der noch nicht mal vier Monate alten Ampel-Koalition in Kauf. „Lasst uns als Berliner Grüne ein klares Signal an den Bund senden“, hat der Kreuzberger Abgeordnete Vasili Franco die Delegierten aufgefordert. Die verfolgen den Parteitag zumeist digital: Wegen der fortwährenden Coronapandemie sind am Tagungsort am Westhafen fast nur Vorstand, Versammlungsleitung und Technik zusammen gekommen.

Noch erfolgreicher in der Niederlage ist der Ruf der Grünen Jugend nach einem Importstopp für Gas und Kohle aus Russland. Für den Parteinachwuchs wäre das „machbar und möglich“, denn tiefgreifende Änderungen seien „nie völlig schmerzfrei“. Trotz Gegenrede des neu gewählten Fraktionschefs Werner Graf unterliegt der Nachwuchs nur mit 54 zu 77 Stimmen. Graf hat vor allem damit argumentiert, dass ein Importstopp den Krieg eben nicht beenden würde: „Putins Kriegskasse ist noch gut gefüllt.“

Es ist der erste Parteitag mit inhaltlichen Debatten nach der Abgeordnetenhauswahl im September. Kurz vor Weihnachten waren die Delegierten zwar auch schon zusammen gekommen, hatten aber dabei nur den Landesvorstand um die neuen Vorsitzenden Susanne Mertens und Philmon Ghirmai gewählt. Nun steht ein Antrag zu einem Gesundheitsnetzwerk ganz vorne auf der Tagesordnung, der mit breiter Unterstützung durchgeht.

Mehrheit will Corona-Hotspot ausrufen

Zur Lage in der Ukraine und den Kriegsfolgen hat der Vorstand noch einen Dringlichkeitsantrag eingereicht: Der Krieg verändert demzufolge Vieles, nicht nur in Sachen Sicherheit, sondern auch bei der Energiepolitik. Und zu den dabei nötigen Änderungen gehören aus Sicht der Grünen auch autofreie Sonntage und eine Maut, vor allem für PS-starke Pkw.

Auch die aktuelle Coronalage, seit Freitag fast ohne gesetzliche Beschränkungen, ist kurzfristig noch auf die Tagesordnung gekommen: Dringlich fordert ein Antrag, Berlin zu einem Hotspot im Sinne des Infektionsschutzgesetzes zu erklären. Auf diesem Wege können Bundesländer eigene Maßnahmen beschließen. Drei Viertel der Delegierten stimmen dafür – gegen den Ratschlag der eigenen Gesundheitssenatorin Ulrike Gote, die sich in ihrer Rede zum Gesundheitsnetzwerk auch zu Hotspots geäußert hatte.

Gote nennt das aktuelle Infektionsschutzgesetz zwar „Mist“, wendet sich aber dagegen, einen Hotspot ausrufen. Sie befürchtet, dieser Schritt könnte gerichtlich scheitern. Und das mag sie nicht riskieren: „Alle Regeln, die wir als Land auf dieser wirklich schlechten Rechtsgrundlage erlassen, müssen rechtssicher sein.“ Die Antragsteller legen das Gesetz anders: die Überlastung der Krankenhäuser – eine Voraussetzung für einen Hotspot – müsse nur drohen, nicht schon akut sein.

Ganz und gar nicht umstritten ist hingegen die Haltung der Grünen zur A100. Die Autobahn sorgt für die kämpferischsten Sprüche des Parteitreffens und für fast 100 Prozent Zustimmung zu einem Antrag, ihren Bau nicht fortzuführen. Wenn Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) die A100 wirklich weiterbauen wolle, „dann wird er sich an Berlin die Zähne ausbeißen“, versichert Landeschef Ghirmai. Für Verkehrssenatorin Bettina Jarasch, die für ihre 100-Tage-Bilanz des rot-grün-roten Senats beklatscht wird, zeugt Wissings Haltung „von einer unfassbaren politischen Blindheit.“ Ihre Forderung: Statt Autobahnen zu bauen, sollte der Verkehrsminister lieber ein Tempolimit erlassen.

Und dann ist da noch Antje Kapek. Die im Februar zurück getretene Ex-Fraktionschefin, für die es Dankesworte und eine Pflanze gibt, erinnert daran, dass es der Kampf gegen den Bau der A100 war, der sie vor Jahrzehnten in die Politik zog. Den will sie auch ohne Chefin-Amt fortsetzen. Ihre Warnung, mutmaßlich Richtung Verkehrsminister und seine FDP: „Jetzt habe ich richtig viel Zeit – zieht Euch warm an.“

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