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Lage der Bauern in WestafrikaZu wenig Geld für Kakao

Die deutschen Minister Schulze und Heil besuchen Ghana und die Elfenbeinküste. Das Hauptproblem vor Ort: zu niedrige Einnahmen und unfaire Löhne.

Svenja Schulze und Hubertus Heil beim Besuch de „Cooperative Rasso“ in Agboville (Elfenbeinküste) Foto: Ute Grabowsky/photothek/imago

Berlin taz | Rund zwei Monate nach Inkrafttreten des Lieferkettengesetzes hat Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) die gesamte Wirtschaft zur Umsetzung aufgerufen. „Wir haben gute Beispiele auch in Deutschland, in der Textilwirtschaft, auch in der Schokoladenindustrie und im Automobilbereich“, sagte Heil zum Ende einer fünftägigen Reise mit Entwicklungsministerin Svenja Schulze (beide SPD) durch Westafrika am Freitag. Es gebe „nach wie vor ein paar Wirtschaftsverbände, die nicht begriffen haben, dass, wer global Profite macht, auch Verantwortung übernehmen muss für Menschenrechte.“

„Einsatz für faire Lieferketten und gute Arbeit weltweit“ hieß dass Motto, unter dem Schulze und Heil die westafrikanischen Staaten Ghana und Elfenbeinküste (Côte d’Ivoire) besucht haben. Die beiden Staaten produzieren zusammen etwa 70 Prozent des Kakaos weltweit. Den Großteil kaufen Schokoladenunternehmen aus Europa und Nordamerika. Von dem Milliarden-Geschäft von Schokolade erhalten die Länder einen Bruchteil der Gewinne. Viele der Pro­du­zen­t*in­nen leben in Armut.

Immer wieder wird der Branche bescheinigt, dass hier Zwangsarbeit, moderne Sklaverei und schwere Formen von Kinderarbeit weit verbreitet sind. Zudem werden für die Produktion von Kakao weite Teile des Regenwalds abgeholzt. Côte d’Ivoire hat in 60 Jahren mehr als 80 Prozent der Waldflächen verloren.

Seit über 20 Jahren stehen diese Themen im Fokus der Öffentlichkeit, zahlreiche Selbsterklärungen und Initiativen der Kakao-Industrie haben bislang wenig Erfolg gebracht. Doch auch den neuen gesetzlichen Initiativen, dem deutschen und dem geplanten europäischen Lieferkettengesetz sowie der EU-Verordnung für entwaldungsfreie Lieferketten, fehlt ein entscheidender Hebel: faire Einkommen für die Produzent*innen. Diese konnten Schulze und Heil freilich nicht bei ihrer Reise erzwingen.

Ein treibender Faktor von Entwaldung und Menschenrechtsverletzungen auf den Kakaoplantagen sind Preise und Löhne, die nicht ausreichen, damit Er­zeu­ge­r*in­nen und Land­ar­bei­te­r*in­nen davon gut leben können. „Ein existenzsichernder Preis müsste drei Mal so hoch sein wie das, was heute gezahlt wird“, sagt Evelyn Bahn, Referentin für nachhaltigen Kakao bei der Entwicklungsorganisation Inkota.

Kaum eine Firma zahlt existenzsichernde Kakao-Preise

„Die Initiativen der Schokoladenunternehmen waren nicht falsch, etwa Bauern dabei zu unterstützen, bessere landwirtschaftliche Praktiken anzuwenden oder ihre Einkommen zu diversifizieren. Aber die Haupteinnahmequelle der Bäue­r*in­nen ist Kakao – und die Preise dafür sind zu niedrig“, so Bahn. Auf der anderen Seite hätten sogenannte Produktivitätsmaßnahmen dazu geführt, dass der Einsatz von Düngemitteln und Pestiziden zugenommen hat. Bahn: „Das wirkt sich auf die Bäue­r*in­nen aus, die sich nicht ausreichend schützen können, und ist eine Katastrophe für die Biodiversität“.

2019 schlossen sich Ghana und Côte d’Ivoire zusammen, um den Living Income Differential (LID) einzuführen. Der Referenzpreis, eine Prämie von 400 US-Dollar für jede Tonne Kakao, sollte die niedrigen Weltmarktpreise ausgleichen. Doch die meisten Unternehmen zahlen den LID bis heute nicht. Hinzu kamen weitere Preissenkungen des Weltmarktes.

Bis jetzt hängt die Durchsetzung von existenzsichernden Einkommen an Selbstverpflichtungen und punktuellen Initiativen. So fördert auch die Bundesregierung Projekte, wie das „Grüne Innovationszentrum“ in Côte d’Ivoire, das durch „innovative Ansätze“ existenzsichernde Einkommen gewährleisten will.

Dazu gehöre ebenfalls die Zahlung von Referenzpreisen, sagt ein Sprecher des Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ). Das Projekt wird vom BMZ mit Rainforest Alliance, Fairtrade sowie mit Partnern aus der Privatwirtschaft durchgeführt. Zusätzlich soll die Steigerung der Produktivität Einkommen von Bäue­r*in­nen erhöhen und damit auch Kinderarbeit bekämpfen, heißt es aus dem BMZ.

Auch Fairtrade zahlt keine fairen Löhne

Gleichzeitig sorgt ein erhöhtes Angebot von Kakao gesamtwirtschaftlich wieder für niedrigere Weltmarktpreise. Um existenzsichernde Einkommen wirksam durchzusetzen, sollten sie in den Gesetzestexten zu Sorgfaltspflichten explizit als entscheidende Maßnahme genannt werden, empfiehlt Bahn.

Beim EU-Lieferkettengesetz, das in diesem Jahr verabschiedet werden soll, hat es diesen Vorschlag gegeben. Auch das BMZ hatte sich dafür ausgesprochen, doch andere Ministerien waren dagegen. Ein anderer Hebel wäre ein gesetzliches Verbot von Einkaufspreisen unterhalb von Produktionskosten, sagt Inkota-Expertin Bahn. Das wird gerade im Landwirtschaftsministerium diskutiert.

Denn auch bei Fairtrade gebe es weiterhin Defizite, betont die Expertin für nachhaltigen Kakao. Zwar verdienen die Er­zeu­ge­r*in­nen mehr als bei konventionellen Herstellern oder bei der Rainforest Alliance-Zertifizierung, aber auch der festgelegte Mindestpreis sei nach wie vor niedriger als der von Fairtrade selbst ausgerechnete existenzsichernde Preis, so Bahn.

Auch wenn die Preise von Schokoladentafeln im Supermarkt im Zuge von Inflation und Wirtschaftskrisen in den vergangenen Jahren gestiegen sind – bei den Bäue­r*in­nen in Ghana und Côte d’Ivoire kommt davon zum größten Teil nichts an.

Bessere Löhne auch gegen Kinderarbeit essenziell

Ein Thema der Reise von Schulze und Heil war auch die weitverbreitete Kinderarbeit im Kakao-Sektor. Schulze sagte nach dem Besuch einer Kakaoplantage: „Alle mögen Schokolade, aber keiner will, dass dafür Kinder arbeiten müssen oder Wälder zerstört werden.“

Dafür müsse Deutschland auch die Produzenten vor Ort in Afrika unterstützen. Es solle nicht weniger Handel geben, sondern faireren Handel. „Darum habe ich den Kakaobauern Hilfe angeboten, mit dem neuen Gesetz zurechtzukommen.“

Deutschland beteiligt sich an dem ILO-Bündnis Alliance 8.7., dessen Ziel es ist, weltweit Zwangsarbeit, moderne Sklaverei, Menschenhandel und Kinderarbeit zu bekämpfen. Deutschland und die EU haben angekündigt, das Verbot von Kinder- und Zwangsarbeit durchzusetzen.

Allerdings mit dem falschen Ansatz, findet der Sozialwissenschaftler Samuel Okyere von der Universität Bristol. Er kritisiert die Alliance 8.7., weil das Bündnis die Stimmen von arbeitenden Kindern ignoriere. In seiner Forschung zu Kinderarbeit hat Okyere Kinder in der Landwirtschaft, Fischerei, Bergbau, Prostitution und anderen prekären Sektoren in den vergangenen zehn Jahren interviewt: „In der Regel fordern sie sozioökonomische Interventionen statt weiterer Gesetze, die nicht umsetzbar sind oder deren Umsetzung ihnen das Leben nur schwer machen wird“, sagt er der taz.

Der Wissenschaftler vermutet, dass es bei den „hochrangigen Bemühungen zur Beseitigung der Kinderarbeit im Kakaoanbau“ weniger um Rechte und Interessen von Kakaobauern und Kindern ginge als darum, „die größtenteils westlichen Verbrauchererwartungen zu befriedigen oder in erster Linie um die Suche nach Rechtskonformität“.

Ein Verbot von Kinderarbeit führe zur generellen Kriminalisierung von arbeitenden Kindern, auch wenn es sich nicht um Verletzungen des Kinderschutzes oder gar Zwangsarbeit handele, so Okyere. „In Europa und Nordamerika werden Kinder, die auf Farmen leben, aktiv ermutigt zu helfen. Aber im ghanaischen und ivorischen Kontext wird der einfache Anblick eines Kindes auf einer Kakaofarm als pathologisch oder eindeutig als schädlich für ihr Wohl angesehen wird, selbst wenn sie leichte Aufgaben auf der Farm mit der Schule verbinden“.

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