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Lage AsylsuchenderCamp Moria in den Niederlanden

Das Anmeldezentrum für Asylsuchende in Ter Apel ist überlastet: Menschen schlafen im Freien, Gewalt entlädt sich. Die Politik ist überfordert.

Anmeldezentrum für Asylsuchende im niederländischen Ter Apel am 17. August 2022 Foto: Piroschka van de Wouw/reuters

Amsterdam taz | Jeweils 400 Personen am Sonntag und Montag, 700 am Dienstag und Mittwochnacht, Tendenz steigend: Die Zahl der Asylsuchenden, die aus Mangel an Wohnheimplätzen in den Niederlanden im Freien übernachten, nimmt drastisch zu.

Aus dem Anmeldezentrum in Ter Apel, einem Dorf im Nordosten des Landes, unmittelbar an der deutschen Grenze, kommen inzwischen täglich dramatische Bilder: Menschen, die in Zelten vor dem Komplex ausharren, Polizisten, die Zelte räumen, Anspannung, die sich in Konflikten zwischen den Asylsuchenden entlädt.

Am Mittwoch wurde bekannt, dass in der Nacht zuvor in einer Sporthalle nahe des Zentrums, die als Notunterkunft dient, ein drei Monate altes Baby starb. Über Umstände und Todesur­sache ist bisher nichts bekannt. Parlamentsabgeordnete im niederländischen Den Haag zeigten sich geschockt und forderten von Eric van der Burg, Minister für Migration, schnellstmögliche Aufklärung der Ereignisse. Kati Piri, Abgeordnete der oppositionellen Sozialdemokraten, kritisierte, dass eine menschenwürdige Unterbringung noch lange nicht in Sicht sei.

Ein Vertreter der Region Groningen, in der Ter Apel liegt, nannte die Situation gegenüber dem niederländischen TV-Sender NOS “beschämend“ und sagte, alle niederländischen Kommunen sollten sich an der Unterbringung der Asylsuchenden beteiligen: „Hier stehen 700 Menschen vor den Toren, die müssen irgendwo hin.“

Es mangelt an Duschen und sauberen Toiletten

Der Bürgermeister von Groningen, Koen Schuiling, fordert die Regierung in Den Haag auf, noch diese Woche eine Lösung zu finden: “Ein Bett, eine Dusche, etwas zu essen. Die meisten haben eine lange Reise hinter sich“, sagte Schuiling der Regionalzeitung Dagblad van het Noorden.

Am Donnerstag setzte die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen erstmals ein Team in den Niederlanden ein

Am Donnerstag setzte die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen erstmals ein fünfköpfiges Team in den Niederlanden ein. Es soll medizinische und psychologische Hilfe leisten. Bei einer Inspektion am vergangenen Freitag stellten Vertreter der Organisation fest, dass es an Duschen und sauberen Toiletten mangele. Manche hätten sich seit einer Woche nicht waschen können.

Gegenüber niederländischen Medien sagten sie, die Zustände erinnerten an das berüchtigte Geflüchtetenlager Moria auf der griechischen Insel Lesbos. Unter den im Freien Übernachtenden seien auch schwangere Frauen, Kinder und Menschen mit chronischen Krankheiten wie Diabetes, zitierte sie der TV-Sender NOS.

Hinter der Krise steckt nicht nur ein Mangel an Wohnheimplätzen, sondern auch ein erheblicher Rückstand in der Antragsbearbeitung durch die Einwanderungsbehörde IND. Hinzu kommt die angespannte Situation des niederländischen Wohnungsmarktes: anerkannte Asylbewerber bekommen oft keine Wohnung angewiesen und bleiben so länger in den Übergangsheimen.

Die behördliche Reaktion: Zelte werden verboten

Die Krise in Ter Apel, als einziges Anmeldezentrum des Landes für eine solche Lage prädestiniert, zieht sich schon monatelang hin. Das niederländische Rote Kreuz spricht seit längerem von einer „unmenschlichen“ Situation. Die Organisation drängt nun darauf, schnell eine Lösung zu finden.

Die behördlichen Reaktionen beschränken sich bislang auf eine ­Notverordnung der zuständigen Region Groningen, die am Mittwoch erlassen wurde. Demnach dürfen Menschen, die im Freien vor dem Anmeldezentrum übernachten, dort keine Zelte mehr benutzen. Diese könnten zu „unübersichtlichen und unsicheren Situationen“ führen, da sie den aus Sicherheitsgründen installierten Kameras die Sicht nehmen und der Aufenthalt mehrerer Personen in kleinen Zelten ein ­Gesundheitsrisiko berge. Auch seien bei gewalttätigen ­Auseinandersetzungen zwischen ­Wartenden ­Zeltheringe als Waffen benutzt worden.

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1 Kommentar

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  • Die Bilder und dieser Bericht zeigen eindeutig, das Zuwanderung die aufnehmenden Länder vor große Probleme stellt, die betroffenen Menschen hatten sicher auch andere Vorstellungen von Europa.



    Welche Lehren sollten die europäischen Staaten aus diesen und anderen Berichten nun ziehen. Menschen kann besser in ihren Staaten oder in der Nähe ihres Lebensbereiches geholfen werden, die Kosten die dabei auftreten helfen effektiver.



    Die Redaktion sollte übrigens bei der Auswahls des Bildmaterials aufmerksamer sein, wieder nur junge Männer auf den Bildern.