Ladensterben dank Shopping-Center: Backflash in Bargteheide
Die Stadt fördert den Bau eines Einkaufszentrums im Industriegebiet. Dabei haben sich solche Pläne für kleine Innenstädte als fatal erwiesen.
Im Planungsausschuss stimmten in der vergangenen Woche mit Ausnahme der Grünen alle Fraktionen für den Bau eines Einkaufszentrums im Industriegebiet. Bisher steht an der Stelle eine Filiale der Warenkette Famila, die dem Kieler Unternehmen Bartels-Langness (Bela) gehört.
Bela will eine neue, vergrößerte Filiale bauen. Hinzu soll noch Platz für zwei weitere Geschäfte und eine Tankstelle samt dazu gehöriger Parkplätze auf einer Fläche von 6.700 Quadratmetern geschaffen werden. Für eine Kleinstadt ist das eine bedeutende Größe.
Besonders die Geschäftsinhaber*innen in Bargteheides Innenstadt sind erbost. Geplant war ursprünglich, dass lediglich die Famila-Filiale neu gebaut wird. „Das wäre ja auch kein Problem gewesen, aber was nun kommen soll, ist ein Schlag ins Gesicht“, sagt Wolfgang Sarau, der Vorsitzende des Rings Bargteheider Kaufleute (RBK).
Dreikampf gegen Online-Händler und das Einkaufszentrum
Anfangs waren gar 11.000 Quadratmeter Fläche im Gespräch. „Es wird für die Geschäfte in der Innenstadt zu einem Dreikampf. Nicht mehr nur gegen den Online-Versand, sondern auch noch gegen das Einkaufszentrum“, sagt Sarau.
Die Entscheidung ist auch interessant, weil Bargteheide bislang eine weitgehend funktionierende Innenstadt hat. Entlang der zentralen Rathausstraße gibt es noch viele Einzelhändler: Ein Spielwarengeschäft und kleine Modegeschäfte hier, eine Drogerie, einen Fahrrad- und einen Blumenladen dort.
Auch wenn es keine reine Fußgängerstraße ist: Im Vergleich zu anderen Kommunen mit darbenden Innenstädten funktioniert hier das Geschäftsleben für den täglichen Bedarf. „Leerstand gibt es bei uns bislang wenig“, sagt Sarau. „Wir gehen davon aus, dass durch das Einkaufszentrum Kundenströme dorthin abfließen.“
„Es ist schon komisch, dass wir plötzlich die Interessen der Kaufleute vertreten“, sagt die Grüne Fraktionsvorsitzende Ruth Kastner. „Während der Ausschusssitzung fühlten wir uns plötzlich in vergangene Jahrzehnte versetzt.“ Dabei habe die Gemeinde eigentlich Pläne gehabt, die Innenstadt mit einem Städtebauprojekt weiter beleben zu wollen. „Jetzt geschieht genau das Gegenteil“, sagt Kastner.
Einkaufszentren kaum mehr zukunftsweisend
Der Hamburger Professor für Stadtplanung, Thomas Krüger, teilt diese Ansicht. „Der Vorgang ist erstaunlich und entspricht aus Sicht der Stadtentwicklung einer 90er-Jahre-Planung“, sagt Krüger. Eigentlich habe sich in kleineren Städten mittlerweile herumgesprochen, dass Einkaufszentren auf der „grauen Wiese“, wie Städteplaner*innen Industriegebiete bezeichnen, in den vergangenen Jahrzehnten das Ausbluten der Innenstädte begünstigt haben.
Auch wenn die Gemeinde aus planungsrechtlicher Sicht nicht allzu großen Spielraum habe, passe ein Einkaufszentrum außerhalb der Innenstadt schlicht nicht mehr in die heutige Zeit. „Stattdessen müsste sich Lokalpolitik besonders für die innerstädtischen Geschäfte einsetzen“, sagt Krüger. Ohnehin hält er Einkaufszentren für kaum zukunftsweisend. „Seit der Pandemie gehen Menschen nicht mehr gern in große Gebäude.“
Hinzu komme: „Es gibt in der Bargteheider Innenstadt durchaus freie Flächen.“ Würde die Politik dort aktiv neue Geschäfte fördern, wäre das sinnvoller. „Das ist zwar mit Schwierigkeiten verbunden, aber es lohnt sich langfristig“, sagt Krüger auch mit Blick auf vergleichbare Kommunen. Denn auch andernorts habe sich schon bewahrheitet: Schließt ein Geschäft, öffnet in den Räumen so schnell kein neues. In der Coronapandemie gelte das besonders.
Ruth Kastner, Grünenfraktion Bargteheide
Die Bargteheider SPD, die für das Projekt gestimmt hat, zeigt sich derweil zwischen Macht- und Ratlosigkeit. Der Ortsvorsitzende Mehmet Dalkilinc verweist einerseits darauf, dass der Gemeinderat planungsrechtlich keinen großen Spielraum habe. Andererseits sagt er: „Auch bei uns wird viel darüber diskutiert. Sollten wir erkennen, dass das eine Fehlentscheidung war, korrigieren wir das.“
Stadtplaner Krüger betont, dass der Bau eines derartigen Einkaufszentrums die Stadtentwicklung in kleinen und mittelgroßen Städten auf Jahrzehnte hinaus prägt. Beim Blick auf andere Kommunen, deren Innenstädte seit Jahrzehnten darben, scheint sich das zu bestätigen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Jeder fünfte Schüler psychisch belastet
Wo bleibt der Krisengipfel?
Gespräche in Israel über Waffenruhe
Größere Chance auf Annexion als auf Frieden