Labour-Parteitag in Großbritannien: Diesmal muss es klappen
Labour-Chef Keir Starmer inszeniert die linke britische Opposition als „Partei der Mitte“ kurz vor der Macht. Den Delegierten gefällt das.
Es sind ungewohnte Töne für die britische Linke. Sie zeugen davon, wie gut Keir Starmer die Partei inzwischen im Griff hat, und von Zuversicht: In den Umfragen liegt Labour weit vorn, die Rückkehr an die Macht bei den Wahlen 2024 erscheint in greifbarer Nähe. Gegen das „konservative Chaos“ der jüngsten Zeit inszeniert sich Labour als Kraft der Verantwortung.
Schon der Parteitagsauftakt am Sonntag war ungewöhnlich. Nach einer Huldigung Starmers an die verstorbene Queen sangen die Genoss:innen laut und vereint die Nationalhymne ‚God Save the King.‘ Kurz zuvor hatte die taz auf der Terrasse drei Delegierte aus Edinburgh gehört, die diskutierten, wie sie ihre Animosität dazu artikulieren sollten. Gewerkschafter Vijay Jackson sagte der taz: „Eine linke Partei darf keinem Monarchen beipflichten.“ Die Hymne zu singen sei absichtlich beschlossen worden, „damit sich die Linken in der Partei verpissen“.
Im Saal, wo die Delegierten dieses Jahr auf die britische Nationalflagge zusammen mit dem Parteilogo auf der Bühne blicken, blieben Protest-Stunts aus. Die Linken mussten jedoch nicht lange warten. Mit der stellvertretenden Parteivorsitzenden Angela Rayner kamen sie zu Wort. Spätestens als sie Debakel der Tory-Regierung aufzählte, war der Saal hellwach und gab laute Begeisterungsrufe von sich. Rayner versprach, alle unter den Konservativen eingeführten Beschränkungen des Streikrechts rückgängig zu machen.
Mehr Streiks, weniger Nationalhymne
Rayners Versprechen hatte eine Vorgeschichte. Ihr Chef, Parteichef Keir Starmer, hatte im Juli während eines der häufigen Eisenbahnerstreikts angeordnet, dass Labour-Abgeordnete nicht öffentlich Solidarität mit Streikenden zeigen dürften. Als es Schattenverkehrsminister Sam Terry dennoch tat, verlor er seinen Posten.
Viele bei Labour sind darüber wütend, nicht nur die Eisenbahner, das merkt man auf dem Parteitag. „Labour sollte weniger Nationalhymne singen und mehr Streiks persönlich besuchen!“, schimpft am Montag Dave Ward, Generalsekretär der Kommunikationsarbeitergewerkschaft CWU. Starmer kontert im BBC-Interview: „Meine Aufgabe ist nicht die eines Gewerkschaftsführers. Sie ist, sicherzustellen, dass Labour keine Oppositionskraft ist, wo wir nur über Dinge reden, aber nichts tun können, sondern Regierungspartei wird, wo wir Dinge tun können.“
Rentnerin Linda Jones, ehemals Stadtangestellte in Liverpool, hat Dave Wards Rede angehört. Sie hält Starmers Verhalten für einen Fehler, aber „die Partei hat, glaube ich, inzwischen daraus gelernt.“ Was die generelle Richtung der Partei betreffe, gibt sich Jones zufrieden. „Wir haben die richtigen Vorschläge und die geeigneten Menschen, und die Zeit ist jetzt richtig.“
Vieles erscheint bei Labour plötzlich vollkommen verändert. Der Parteitag wirkt besser organisiert und koordiniert. Statt nur Sprüche zu klopfen, agiert die Partei, als stünden Neuwahlen vor der Tür.
Keir Starmer malt in seiner Rede ein rosarotes Bild Großbritanniens nach seiner ersten Amtszeit als Premierminister – ein Land, in dem alles besser läuft als heute. Andy Burnham, der beliebte Labour-Bürgermeister von Manchester, sagt, dass dies einer der letzten Parteitage in der Opposition sein könnte.
Die Steuersenkungspläne der neuen Premierministerin Liz Truss sind für Labur ein gefunnendes Fressen. In den Worten Angela Rayners: „Die Tories sind heute nicht auf der Seite der arbeitenden britischen Bevölkerung. Liz Truss machte es klarer als je zuvor.“
Keir Starmer hält sich gar nicht groß mit Kritik an den Tories auf. Er spricht lieber gleich von den „ersten 100 Tagen einer neuen Labour-Regierung“. Es regnet Vorschläge, was Labour eigentlich anders machen wolle. In den Mittelpunkt seiner Rede stellt Starmer einen „Grünen Wohlstandsplan“,um Großbritannien in eine „Wachstumssupermacht“ zu verwandeln, auf der Grundlage von „Partnerschaft zwischen Staat, Unternehmen und Kommunen“.
Er spricht auch von einer staatlichen Energieversorgungsfirma „Great British Energy“, die grüne Energie vorantreibt, „weil es richtig ist für Arbeitsplätze, für Wachstum, für die Zukunft“, wie Starmer sagt. Als er unterstreicht, dass dies ein Staatsunternehmen sein solle, erntet er den größten Applaus seiner gesamten Rede. „Britische Energie für das britische Volk“ will er, wieder zu Applaus.
Auch international gibt es Akzentverschiebungen. In Jeremy Corbyns Tagen war Palästina das wichtigste internationale Thema. Heute ist es die Ukraine, auch die Rechte von Kurd:innen oder die Beziehungen zwischen Indien und Pakistan werden diskutiert. Zu iranischen Frauenrechten, der verheerenden Situation der Uiguren in China, der Unfreiheit in Russland oder den Wahlen in Schweden, Italien und Brasilien werden allerdings keine Flugblätter verteilt.
Große Pläne
Abseits der großen Öffentlichkeit werden konkrete Pläne jenseits der großen Fragen ventiliert: Sondergerichte für Vergewaltigungen, den besonderen Umstände solcher Fälle entsprechend. Traumaarbeit mit Strafgefangenen. Eine unabhängige Fußballaufsicht. Klimaneutralität bis zum Jahr 2030, wobei Labour allerdings auch auf Atomkraft setzt als Teil der „sauberen Lösung.“
Steve Purse wundert sich. Die taz sprach mit dem 48-Jährigen, dessen Vater bei Atombombentests im südaustralischen Maralinga in der britischen Luftwaffe diente. Purse fordert für 22.000 Opfer wie ihn mit Geburtsdefekten Anerkennung und Gerechtigkeit. „Atomkraft ist nicht sauber. Schauen Sie sich die Auswirkungen an“, sagt er.
Insgesamt sind die Delegierten aber begeistert. „Die Leute in der Führung sind wahnsinnig kompetent. Ich sehe sie als morgige Regierung“, sagt Marisha Begum, eine 26-jährige Stadträtin aus dem Ostlondoner Bezirk Tower Hamlets. Eine Gruppe junger Politikstudent:innen, alles Young-Labour-Mitglieder, äußert sich optimistisch, dass Labour die nächsten Wahlen gewinnt.
Die 51-jährige Nordlondoner Schuldirektorin Lisa Hughes nennt die Stimmung positiv und die Führung „freundlich, glaubwürdig und schlau“. Sie habe nun große Hoffnung auf den versprochenen Schutz von Frauen, die sexueller Gewalt ausgesetzt waren, und auf Reformen in der demokratischen Struktur des Landes.
Die 34-jährige Emily Pomroy-Smith aus Wiltshire findet, dass Labours Zeit gekommen sei. „Für mich ist es die Überzeugung, dass durch gute, öffentliche, gut finanzierte Dienste die Gesellschaft verbessert wird“, fasst sie ihr Engagement zusammen. Pomroy-Smith kann sich nun vorstellen, selbst als Abgeordnete zu kandidieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
SPD-Linker Sebastian Roloff
„Die Debatte über die Kanzlerkandidatur kommt zur Unzeit“
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus