„La Tour de Glace“ auf der Berlinale: Wunsch und Wirklichkeit
„La Tour de Glace“ handelt von der Faszination einer jungen Waise für eine Schauspielerin. Lucile Hadžihalilović inszeniert damit eine Märchenwelt.
Natürlich gibt es sie: Filme, in denen kaum etwas geschieht, gesprochene Worte selten sind und doch eine seltsame Faszination ausüben. Ihre Wirkung ist oft umso größer, weil sich schwer fassen lässt, was sie so anziehend macht. „La Tour de Glace“ von Lucile Hadžihalilović hätte ein solcher Film sein können.
Das in den Siebzigern angesiedelte Drama folgt der jungen Jeanne (Clara Pacini), die in einem kargen Waisenhaus in den französischen Bergen lebt. Eingeschneit und abgeschnitten vom Rest der Welt, zieht es die 15-Jährige jedoch in die Stadt. Viel mehr gibt der Film über seine Protagonistin lange nicht preis.
Lediglich ihre Begeisterung für das Märchen „Die Schneekönigin“, das sie regelmäßig einem anderen Mädchen im Heim vorliest, wird gleich zu Beginn angedeutet. Da trifft es sich natürlich, dass Jeanne, als sie schließlich Reißaus nimmt, ausgerechnet in einem Filmstudio Unterschlupf findet, in dem das Werk von Hans Christian Andersen gerade verfilmt wird.
In „La Tour de Glace“ verschwimmen jedoch immer wieder die Grenzen zwischen Realität und Fiktion, Fantasie und Wirklichkeit. Daher ist es durchaus möglich, dass Jeanne die Stadt eigentlich nie erreichte und sich das Folgende nur in ihrem Kopf abspielt, nachdem sie beim Abstieg ins Tal verunglückt und am Kopf verletzt ist. Oder vielleicht ist alles nur ein großer Traum. Die surreale Aura des Films, getragen von einem kontemplativen Klangteppich und weltentrückten Bildern, legt diese Lesart des Geschehens jedenfalls nahe.
Wobei von „Geschehen“ nur schwer die Rede sein kann. Jeanne wird zwar rasch von der divenhaften Hauptdarstellerin Cristina (Marion Cotillard) in den Bann gezogen, schleicht sich als Statistin ein und erhält im Gegenzug für ihre Bewunderung ein wenig Aufmerksamkeit von der Schauspielerin.
21. 2. 2025, 21.45, Berlinale Palast
22. 2. 2025, 15.30, Zoo Palast 1
Doch die Natur von Jeannes Faszination bleibt ebenso vage wie die Motive hinter Cristinas vorübergehendem Interesse an der 15-Jährigen. Wahrscheinlich sucht die eine nach einer Mutterfigur, während die andere aus bloßer Langeweile handelt. Das klingt nicht nur abgedroschen, sondern reicht an Introspektion auch längst nicht aus, um ein echtes Interesse an den beiden Frauen zu wecken oder über eine knapp zweistündige Spielzeit zu tragen.
So bleibt „La Tour de Glace“ bis zum Schluss ohne echten Höhepunkt. Faszinierend ist daran eigentlich nur, wie kunstvoll sich Leere verpacken lässt – und Marion Cotillard, die einer schalen Figur immerhin eine gewisse Präsenz verleiht und damit ein ganz ähnliches Kunststück vollbringt.
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