LUKAS WALLRAFF über Kretschmann und die Grünen: Das letzte radikale Ziel
Drei Tage sind nun vergangen, seit ein Wutanfall des grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann bekannt wurde. In einem offenbar heimlich gefilmten und viel geklickten Video war zu sehen, wie er ein grünes Wahlziel als „Schwachsinn“ titulierte. Zeit für eine kleine Zwischenbilanz:
1. Die Grünen haben zum ersten Mal in diesem Wahlkampf Aufmerksamkeit bekommen, die über den Kreis der Ortsverbandsvorsitzenden hinausreicht.
2. Ob die heimliche Aufnahme unanständig gewesen ist oder nicht: Millionen BürgerInnen dürften so zum ersten Mal erfahren haben, dass die Grünen allen Ernstes planen, ab 2030 die Zulassung von Autos zu verbieten, die mit Benzin oder Diesel angetrieben werden.
3. Millionen wissen nun und dürften bass erstaunt darüber sein, dass die Grünen doch noch ein Thema haben, bei dem sie relativ radikale Ziele anpeilen: Klimaschutz. Das ist eine interessante Nachricht, nachdem die Realos in den Bereichen Soziales, Flüchtlinge und Frieden längst alles ansatzweise Radikale abgeräumt hatten.
4. Die Elektroauto-Firma Tesla bekam viel kostenlose Werbung. Dass sie den versteckten Kameramann selbst losgeschickt hat, dürfte ebenso eine Verschwörungstheorie sein wie die Vermutung, Kretschmann habe sich absichtlich filmen lassen.
5. Bei etwas längerer Betrachtung ist die Nachricht, dass der populäre, aber inhaltlich unerkennbare Ministerpräsident Kretschmann grüne Pläne eher bremst als antreibt: keine.
6. Kretschmann hat recht: Mit radikalen Zielen ist es schwer, mehr als acht Prozent zu holen. Ganz ohne radikale Ziele aber ist es noch schwerer, deutlich zu machen, warum man die Grünen wählen soll.
7. Hat Kretschmann den Grünen also die letzte Illusion geraubt? Das wäre nur der Fall, wenn irgendjemand vorher geglaubt hätte, dass die Grünen in einer Jamaika-Koalition auf dem Auto-Ziel 2030 beharren würden.
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