LGBTQ-Maskottchen: Babadook, die queere Ikone
Babadook gilt als Symbol der Pride-Saison. Warum das dandyhafte Monster aus dem Horrorfilm Queerness verkörpert.
„Wer das hier liest, schau hin und guck . . . wird ihn nicht mehr los, den Babadook“, verspricht ein unheilvolles Pop-up-Buch seiner Leserin, der alleinerziehenden Mutter Amelia im 2014 erschienen australischen Indie-Horrorfilm „Der Babadook“. In dem Kinderbuch, das auf einmal im Regal ihres Sohnes auftaucht, geht es um ein gruseliges Wesen, das ein „spezieller Freund“ werden will: den Babadook.
Der flamboyante Antagonist mit den langen Fingernägeln, dem schwarzen Mantel und dem Zylinder kehrt nun, drei Jahre nach seinem Auftauchen, wieder. Und zwar außerhalb des Films – pünktlich zum Pride-Monat Juni als queere Ikone.
Angefangen hat es auf der Blogging-Plattform Tumblr. Es war im vergangenen Sommer, da postete der User ianstagram einem kurzen, aber bedeutungsvollen Blogeintrag: „Wenn jemand behauptet, Babadook lebe nicht offen schwul, frage ich mich, ob die Person den Film überhaupt gesehen hat.“ Dieser Scherz, eine Anspielung auf die Frage nach queerer Repräsentation, ging daraufhin viral und rief über 10.000 Reaktionen hervor. Eine davon: „Das B in LGBTQ steht für Babadook.“
Kurz darauf twitterte ein Nutzer namens taco-bell-rey einen Screenshot des Streamingdienstes Netflix, auf dem, scheinbar versehentlich, der Horrorfilm als LGBTQ-Film gelistet wurde – mit der Bildunterschrift: „So stolz, dass Netflix den Babadook als schwule Repräsentation anerkennt.“ Ob der Screenshot bearbeitet wurde oder ob Netflix den Film tatsächlich so sortiert hatte, blieb allerdings unklar – jetzt zumindest ist der Film in dieser Kategorie nicht mehr zu finden.
Und jetzt, wo die ersten CSD-Veranstaltungen weltweit starten, ist der Babadook zurückgekehrt. Nicht mehr allein im Netz, sondern weit darüber hinaus als inoffizielles Maskottchen der LGBTQ-Community. Bitch, I’m back!
Leugnen ist zwecklos
Dass man den Babadook nicht mehr loswird, bekommen auch Amelia und ihr sechsjähriger Sohn Samuel, dem sie zum Einschlafen ausgerechnet die Geschichte des düsteren Außenseiters vorliest, bald zu spüren. Beide werden fortan verfolgt – ob von der unheimlichen Gestalt oder einer überhandnehmenden Depression, das ist Auslegungssache.
Denn der Babadook selbst ist in dem Horrorfilm bis zum Finale kaum zu sehen, vielmehr hängt er als ständiger Schatten über der gestressten Amelia, die den Tod ihres Mannes nach sechs Jahren immer noch nicht verkraftet hat und zusehends die Kontrolle über ihren aktiven, Aufmerksamkeit suchenden Sohn verliert: Der bastelt Babadook-taugliche Waffen, die er in die Schule mitnimmt, bricht seiner Cousine die Nase und schläft nur noch selten.
Lange Zeit denkt Amelia, Samuel sei verantwortlich für mysteriöse Vorgänge im Haus. Doch bald kann die mittlerweile selbst an Schlaflosigkeit leidende Mutter die unheimlichen, insektenartigen Geräusche und die immer wiederkehrenden Visionen, die sie wahrnimmt, nicht mehr auf ihren Sohn schieben. Frei nach dem Motto „Er will dir erst Angst machen, dann siehst du ihn“, steigern sich Sam und seine Mutter in die albtraumhafte Vorstellung, von einem schaurigen Wesen heimgesucht zu werden.
Amelia, die von Szene zu Szene immer weiter verwahrlost, weigert sich zunächst, den Babadook als reale Bedrohung wahrzunehmen: Wenn er erscheint, zieht sie sich die Decke über den Kopf. Doch wie bei einer Depression wächst das Problem dadurch nur, bis Amelia schließlich vollkommen die Kontrolle über sich verliert.
Coming-out-Analogie
Ursprünglich als ein mehrschichtiger Film über den Umgang mit Trauer und Überforderung angelegt, birgt „Der Babadook“ viele Lesarten, auch queere. Denn außer ein paar wackelnden Wänden tut die hochgewachsene Gestalt selbst niemandem etwas zuleide, schürt aber enorme, irrationale Ängste in ihrem Gegenüber. Ängste, die so stark sind, dass die Verfolgten sich weigern, den Babadook auch nur anzusehen, geschweige denn seine Existenz anzuerkennen.
Sein voluminöses Gewand und der pompöse Hut helfen dabei. Denn sie sind nur Verkleidung, die den Blick der anderen von seiner wirklichen Gestalt ablenken. Am Ende des Films legt der Babadook das alles ab, um Amelia sein wahres Ich zu offenbaren. Der Zuschauer kann an ihrem entsetzen Gesichtsausdruck ablesen, dass sie den Anblick kaum erträgt – eine Reaktion, die Angehörige der LGBTQ-Community womöglich an ihr Coming-out in der Familie erinnert.
Der Babadook outet sich im Film nicht explizit als schwul, doch das spricht nicht gegen seine Queerness, zumal diese gerade im Antiidentitären und im Unbenannten existiert. Gleichzeitig sagt er genauso wenig: „Guten Tag, ich bin heterosexuell!“ Und selbst wenn er es wäre, hätte er mit vielen divenhaften LGBTQ-Ikonen etwas gemeinsam: Weder Barbra Streisand noch Madonna oder Lady Gaga mussten sich als irgendwas outen, um ihre immense queere Anhänger*innenschaft in ihren Bann zu ziehen.
Dabei ist die Queerness des Babadooks naheliegend: Das Genre des Horrorfilms sowie die Rolle des Bösewichts knüpft häufig an Vorstellungen queeren Terrors an, der die heteronormative Idylle stört. Sei es Freddie Krueger aus dem zweiten „Nightmare On Elmstreet“, sei es Ursula aus Disney’s „Arielle“: in der LGBTQ-Popkultur sind sie schon längst Kult.
Jetzt sogar auf Grindr
Michael Bronski lehrt an der Harvard University am Institut für Geschlechterforschung und schrieb diverse Bücher über LGBTQ-Popkultur. In einem Interview mit der L. A. Times ordnet er auch den Babadook-Film als queer ein, transportiere er doch queeres Begehren, queeren Antagonismus und queere „In-Your-Faceness“.
Die Identifikation mit einem Monster ist auch eine ermächtigende, denn sie rückt die LGBTQ-Community fort vom angepassten, liberalen Image hin zur Zurückeroberung von Handlungsmacht und Queerness als laute Bedrohung in einer hetero- und cisnormativen Gesellschaft.
1970 trug die Aktivistin Donna Gotschalk auf dem ersten offiziellen Pride-Marsch in New York City ein Schild mit dem treffenden Spruch: „I am your worst fear, I am your best fantasy.“ Zwischen größter Angst und bester Fantasie fanden sich Queers in einem System, das sie verachtet und fürchtet, schon immer wieder. Sie werden zu Monstern gemacht, die das Familienglück terrorisieren, weil sie sich nicht verdrängen lassen.
Der Widerstand gegen den queeren Babadook ist zwecklos. Seit Tagen durchfluten zahllose Meme zu dem genderqueeren Wesen das Netz: Babadook mit Regenbogenflagge, Babadook vor Regenbogenflagge, Babadook beim Vogueing, ja selbst ein Profil auf dem schwulen Crusing-Portal Grindr hat die Figur.
Babayaaaaass!
Die Regisseurin des Films, Jennifer Kent, bezog selbst keine Stellung zu den Gerüchten über ihr Monster. Auf der offiziellen Facebook-Seite des Films antworten die Administratoren auf den Vorwurf, Babadook könne nicht schwul sein, weil er es im Film nicht explizit sage: „Babadook ist schwul, wenn er es sein will. Und er lässt dir ausrichten, darauf klarzukommen.“ Und Netflix stieg auf das Mem noch einmal ein und twitterte: „Sei der Babadook, den du auf der Welt sehen wirst.“
Ein reines Internetphänomen ist der queere Babadook nicht: Auf Pride-Märschen sieht man ihn als Kostüm, als Protestschild. Drag Queens imitieren ihn in ihren Performances. Der „Babadiscourse“ brachte ebenfalls Wortneuschöpfungen aus dem Namen des Monsters und queerem Slang hervor: Babashook, Babalewk, Bababottom, Babayaaaaass!
Mit seiner campy Femininität, der Genderuneindeutigkeit, seinem Hang zum Drama und seinem Wohnort im Unbewussten, dem Keller, liefert der Babadook genug Material für eine queere Lesart. Und, hallo, welche Hete bastelt schon ein Pop-up-Buch über sich selbst?
Entgegen typischen Horrorfilmen, in denen das Monster am Ende entweder selbst stirbt oder alle anderen tötet, nimmt „Der Babadook“ übrigens am Schluss eine erfreuliche Wendung: Amelia lernt, das Monster in seiner Andersartigkeit zu akzeptieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Sport in Zeiten des Nahost-Kriegs
Die unheimliche Reise eines Basketballklubs