LGBTIQ*-Szene in Sachsen: „Wir sind aber nicht mehr“

Für Queere ist das Leben in Sachsen leichter geworden, doch ein Coming-out ist immer noch riskant. Wie verteidigt man seine Rechte?

Zwei Männer am Tresen

Matthias Eibisch und Stefan „Duschi“ in der Boys Bar in Dresden Foto: Stephan Floss

Dresden taz | Es ist Happy Hour in der Dresdner Boys Bar, wie fast jeden Donnerstagabend. Draußen dämmert es, doch die Hitze des Tages hängt noch in den Straßen und drückt in die rot ausgeleuchtete Bar. Der lange Raum wird vom Tresen zerteilt: Auf der einen Seite steht neben Gläsern und Spirituosen allerlei Regenbogentinnef, ein Bildschirm, auf dem das Bar-Programm der kommenden Wochen abläuft und eine LED-Anzeige, die Instagram-Follower und Facebook-Likes zählt.

Auf der anderen Seite reihen sich Barhocker aus schwarzem Leder. Den letzten besetzt Stephan Duschanek alias Duschi, ein junger Wuschelkopf. Kurz streifen seine Augen durch den Raum, bevor sie wieder auf dem Smartphone landen. Er liest dem blonden Mann auf der anderen Seite des Tresens die Breaking News vor: Die AfD darf nun doch mit 30 Listenkandidaten bei der Wahl des sächsischen Landtags antreten.

Sein Gegenüber winkt ab, und schnell wechselt das Thema zu schwulen Bekannten und deren Fehltritten. Über die Community allgemein könne er wenig sagen, meint der Barmann auf Nachfrage. Ein weiterer Mann tritt hinter die Bar, begrüßt seinen Kollegen auf dem Weg zur Kühltruhe mit Küsschen und kommt mit einem Flutschfinger zurück. „Klar! Keine drei Minuten hier drin und schon was im Mund.“

Duschi nippt an seinem Bier und erzählt über den leeren Hocker zwischen uns hinweg von seiner Schulzeit im Erzgebirge. „Wenn du auf dem Land wohnst, musst du erst mal in eine tolerantere Gegend, um dich zu outen“, sagt er. Bei ihm war das Dresden. Der Barmann ruft quer durch den Raum: „Eibi, gucke mal. Da ist ein Gesprächspartner! Die junge Frau ist von der Presse!“ Bevor Duschi fortfahren kann, wird der Gesprächsraum zwischen uns von einem gewichtigen Glatzkopf eingenommen: Matthias Eibisch alias Eibi.

Stephan Duschanek

„Wenn du schwul bist und Arbeit mit Kindern magst, hast du ’nen Stempel“

Wie jemand, dem schon immer zugehört wurde, lenkt er den Gesprächsverlauf, setzt Schwerpunkte, Kunstpausen und Deutungen. Wer währenddessen in dem schmalen Gang zum hinteren Bereich des Gastraumes an ihm vorbei will, zahlt meist Wegzoll von zwei Wangenküssen und bekommt einen Spruch mit auf den Weg. Eibi war schon zu Ostzeiten Teil der Dresdner Schwulen- und Lesbenszene.

Die traf sich in freigegebenen Gemeinderäumen oder auch dem staatlichen „Haus der Jugend“. Das Outing sei in der DDR nicht schwieriger gewesen, als in der BRD: „Die schweigende Masse hat nichts dafür, aber auch nichts dagegen getan.“

Es gibt viel „falsche Toleranz“

Auch nach der Wende sei die Szene noch so klein gewesen, dass man sie „hätte ignorieren können“. Zwar hatte Eibi seinerzeit Probleme dauerhaft einen Job zu bekommen, „aber die hatten ja alle“, und als „Schwester“ gab es genügend Raum in Studierendenklubs und den Gaststätten und Kneipen mit schwuler Belegschaft. „Damals stand zwar noch keine Regenbogenfahne auf dem Tisch, aber es war klar: Das ist Freitags der schwule Tisch“, erinnert er sich. Feindlichkeiten habe er nicht erfahren, auch nicht in seinem Job beim Statistischen Landesamt in Kamenz, den er inzwischen seit Jahrzehnten ausführt.

Dass es für junge Menschen und gerade auf dem Dorf nicht immer so einfach wäre, wirft Duschi ein. „Ja auf’m Dorf ist es schwierig, dich da hinzustellen“, sagt Eibi. „Das Selbstbewusstsein hast du als junger Berufseinsteiger oft nicht.“ Solang man nicht in der Gastronomie und als Friseur arbeite gelte meist: „Das Outing gelingt nicht anfangs, sondern über gute Arbeit.“ Dass dies „falsche Toleranz“ sei, fügt er hinzu.

Dass gute Arbeit manchmal nicht genüge, weiß Duschi aus eigenem Erleben: Bei einem Praktikum im Kindergarten hätten ihn „besorgte Eltern“ dem Vorwurf von Frühsexualisierung und Pädophilie ausgesetzt. Infolgedessen durfte er beim Schwimm­unterricht nicht mehr in die Kabine der Jungen gehen und sei trotz anfänglich guter Aussichten auf Übernahme nun wieder arbeitssuchend. Das Schreiben von Bewerbungen macht ihm zu schaffen: „Wenn du schwul bist und die Arbeit mit Kindern magst, hast du ’nen Stempel. Da musst du ganz genau aufpassen, wie du was formulierst.“

Inzwischen hat auch die sächsische Landespolitik anerkannt, dass es sich in solchen Fällen nicht um Einzelschicksale handelt. Bis zur laufenden Legislaturperiode hatte sie weder ein Bild von der Szene, geschweige denn diese in die politische Agenda mit einbezogen. Mit der Schaffung eines Geschäftsbereiches für Gleichstellung und Integration zum einen, und darüber hinaus der Forderung eines „Landesaktionsplans zur Akzeptanz der Vielfalt von Lebensentwürfen“, wurden 2014 zwei wichtige Grundsteine für die Berücksichtigung von LGBTIQ* gelegt.

In Folge einer von Staatsministerin Petra Köpping (SPD) geforderten Strukturanalyse entstand 2016 die „LAG Queeres Netzwerk Sachsen“ – das erste Selbstvertretungsgremium auf Landesebene. Dieses hat unter anderem den Landesaktionsplan mitentwickelt und fordert die festgehaltenen Maßnahmen ein.

„Manchmal denkt man sich bei der Arbeit: Um Himmels Willen, kommt ihr gerade aus der Steinzeit?“, lacht Martin Wunderlich, als ich ihn und seine Kollegin Vera Ohlendorf im Netzwerkbüro treffe. Über die gesteckten Ziele hätten sich die Ministerien zumeist nicht erfreut gezeigt. Dabei seien diese schon recht „weichgespült“ – schließlich wurde der Aktionsplan auch von der CDU unterzeichnet. „Wir bearbeiten den monolithischen Block mit unseren winzigen Meißeln“, sagt Vera. Die Ministerien müssen nun regelmäßig Rechenschaft über ihren Arbeitsstand ablegen. Verlangt werden beispielsweise Schulungen und Fortbildungen zur Sensibilisierung von Führungs- und Verwaltungskräften im öffentlichen Apparat.

In der Konsequenz würde Duschi in einer städtischen Kita beispielsweise selbst unter Protest „besorgter Eltern“ Rückhalt vom Arbeitgeber erfahren. Diese strukturellen Veränderungen sind essenziell, denn wenige haben die gleichen Privilegien wie Eibi. Seine Perspektive überschneidet sich nicht zwangsläufig mit denen von Lesben, Bisexuellen, Transpersonen, Intersexuellen und anderen queeren* Menschen. Viele leben auf dem Land und in homo­feindlicher Umgebung, sind nicht geoutet, haben keine Anlaufstellen oder direkten Kontakt zur Community, sind keine cis-Männer, sondern Person of Color, jung, zierlich, schweigsam, isoliert, halten sich unsichtbar.

Sie sorgen sich erst mal weniger vor Diskriminierung im Job, sie fürchten schlicht um ihr Leben. „In diesen Zeiten“ würden sie „ihr Gesicht mehrheitlich nicht auf einer Zeitungsseite ablichten lassen“, dessen ist sich auch Eibi bewusst.

„Ich kann und will Dresden nicht mit Berlin, Hamburg oder New York vergleichen“, sagt er. Einige Lichtstrahlen ins Dunkel wirft das Queere Netzwerk mit dem im Frühjahr veröffentlichten Bericht zu vorurteilsmotivierten Gewalttaten an LGBTIQ*-Personen. Offiziell wurden in den Jahren 2001–2017 insgesamt lediglich 55 solcher Taten in Sachsen registriert. Für das sächsische Innenministerium ergab sich daraus kein Handlungsbedarf.

Bloß nicht auffallen?

In der Studie des Netzwerks hingegen, an der nur ein Bruchteil der Betroffenen teilnahm und die sich ausschließlich auf 2015–2019 bezieht, waren es 1.672. Nun fühlt sich auch das Innenministerium genötigt zu reagieren, sagt Netzwerkreferentin Vera. Gerade dieser Tage sei es wichtiger denn je, strukturell mitzuwirken. „Die Rechten haben angefangen, jetzt endlich positioniert sich auch die Linke – und nun zerren beide an Sachsens Seele“, diagnostiziert Martin.

„Großveranstaltungen wie CSD und ‚Wir sind mehr‘ erzeugen erst einmal schöne Bilder, wir sind aber nicht mehr“, hält Vera fest. Gerade deswegen sei Engagement ungeachtet der Wahlergebnisse unabdingbar, „sonst ist das Thema so schnell wieder weg, wie es in den vergangenen Jahren kam“. Eibi hält individuellen Einsatz für wirkungsvoller. Es sei, gerade auf dem Land, von Vorteil nicht aufzufallen, denn das provoziere.

Am besten sei es „in der Masse unterzugehen“. Und wenn man sich – ähnlich wie im Berufsleben – einmal als guter Mensch beweise, würde man schließlich auch auf dem Land von einzelnen akzeptiert. „Alle anderen Schwulen sind dann aber halt immer noch scheiße.“ Doch kann dies das Ziel sein? Duschi sagt: „Jüngere trauen sich, mehr zu zeigen, was auch die Gender-Geschichte zeigt. Dass die sich trauen, ist ein Erfolg!“ Die Jungen bauen auf das Alte auf, darauf können sich beide einigen und prosten sich mit Schnapsgläsern zu.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.