LGBTI-Rechte im Koalitionsvertrag: Dickes Fell für die Legislatur
Viele der geplanten Ampel-Reformen verdienen Applaus. Für gute Lebensbedingungen von LGBTI ist aber auch ein starker Sozialstaat nötig.
W äre der Koalitionsvertrag schon dasselbe wie die Wirklichkeit, dann hieße das Aufatmen. Aufatmen für viele Menschen aus dem queeren Spektrum. SPD, Grüne und FDP versprechen in ihrem Papier vom Mittwoch Reformen, die man getrost beklatschen darf – wenn man sie auch gleichzeitig überfällig nennen muss. Das Familienrecht soll der queeren Realität angepasst werden: rechtliche Anerkennung von dritten und vierten Elternteilen durch das „kleine Sorgerecht“; rechtliche Anerkennung beider Mütter bei lesbischen Eltern ab Geburt des Kindes.
Damit würden Diskriminierungen verschwinden, die ohnehin bloß Überbleibsel einer Vater-Mutter-Kind-Schablone sind, an die sich die Merkel-Regierungen gekrallt hatten. Außerdem würde, wenn alles so kommt, wie es da jetzt steht, das alte und teils verfassungswidrige Transsexuellengesetz durch ein Selbstbestimmungsgesetz ersetzt. Änderungen des Geschlechtseintrags wären dann auf dem Standesamt möglich anstatt bei Gericht – und zwar per Selbstauskunft, statt mittels intimer und übergriffiger Begutachtungen.
Dass sich in diesen Fragen die neue Ampel-Regierung auf grundlegende Reformen würde einigen können, war zu erwarten. Schon bei den gescheiterten Versuchen, das Transsexuellengesetz noch vor der Bundestagswahl zu überholen, waren sich SPD, Grüne und FDP in den wesentlichen Punkten einig gewesen. In ihrem gesellschaftspolitischen Liberalismus sind sich die drei Parteien näher als in vielen anderen Fragen.
Kühler Diskurs
Klar müssen die Gesetze erst mal auch geschrieben und verabschiedet werden, aber sie haben einen Vorteil: Sie kosten nichts. Sie müssen ideologisch durchgekämpft werden – und da ist mit der Union der Hauptgegner vom Platz verschwunden. Was natürlich einzelne Konservative und weiter Rechte nicht davon abhalten wird, lautstark Stimmung zu machen, sobald diese Reformen kommen. Während es also auf dem Papier besser wird, könnte es im Diskurs erst mal kühler werden. Dickes Fell wird die queere Wintermode der kommenden Legislatur.
Na ja, und eine weitere große Sorge: Lebensbedingungen von LGBTI hängen – wie bei allen anderen Leuten auch – nicht am Recht allein, sondern auch an der Grundversorgung. Zu liberalen Gesetzen muss ein starker Sozialstaat kommen, der in Lebenskrisen auffängt. Bisher scheint die neue Regierung aber eine werden zu wollen, die am liebsten von Luft und Liebe lebt. Versprechen gibt es viele, aber keine Steuererhöhungen und (mit einigen Ausnahmen) keine Neuschulden.
Entsprechend braucht also auch nicht mit spürbaren Mehrausgaben für Gesundheit und Soziales gerechnet zu werden. Nicht gerade Topneuigkeiten für trans Menschen, die häufiger erwerbs- und wohnungslos werden, für ältere Queers, die oft nicht auf Pflege durch Angehörige zurückgreifen können. „Fortschritt“ klingt hohl, wenn man vergisst umzuverteilen.
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