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Kurzbesuch im WM-QuartierTolles Kaff

Das deutsche Team ist nahe Sydney in Wyong kaserniert. Auf Dauer mag es ein öder Ort sein, die Atmosphäre aber ist von ganz besonderer Art.

Wenig los und zufrieden damit: Das Örtchen Wyong und deren Bewohner versprühen ein besonderes Flair Foto: Michelle Ostwald/dpa

W enn deutsche Nationalteams zu Weltmeisterschaften reisen, kaserniert man sie üblicherweise an irgendeinem Ende der Welt. Die Spie­le­r:in­nen sollen Enthaltsamkeit von weltlichen Verlockungen üben, den Fußball studieren wie der Mönch die Bibel. Manche Enden der Welt verklärt man nachträglich zum Paradies (Campo Bahia), andere eher nicht (Watutinki).

Für Jour­na­lis­t:in­nen hat diese Klosterpolitik den Vorteil, dass man Orte sieht, die man sonst nie betreten hätte. Also: Wyong. Im Gegensatz zum erdrückend spießbürgerlichen Brentford bei der England-EM ist Wyong, zwei Stunden von Sydney, ein durchaus erfreuliches Kaff.

Ich kann nicht genau sagen, was ich daran mag. Es ist vielleicht die Mischung aus runtergerockt und möchtegern-mondän, widersprüchliche Welten entlang einer einzigen Straße. Sportwetten-Pubs mit Folkloremusik neben polierten Hipster-Restaurants, das Flair von Autowerkstätten, Pick-ups und Trailerparks unter Palmen mit singenden bunten Vögeln. Wenig los und zufrieden damit. Meist jedenfalls.

„Eigentlich mache ich nichts mehr außer Arbeit, seit ich hier bin“, klagt die Tochter des italienischen Restaurantbesitzers. Wir kommen ins Gespräch über das, was wir beide unmöglich finden: Die Tatsache, dass man hier schon um 18.30 Uhr essen gehen muss. Für sie als Italienerin ein Sakrileg. „Früher in Italien saßen wir nachts immer auf der Straße, haben noch ein Eis gegessen, es war immer was los.“ Aus einem Dorf in der Toskana stammt sie, vor der Pandemie kam sie als Teenagerin mit der Familie nach Wyong.

Sehnsucht nach der Heimat

Seitdem war sie nicht mehr zurück – man konnte halt nicht reisen und außerdem könne man ja ein Familienrestaurant nicht einfach schließen. Dass sie die Heimat vermisst, muss sie nicht extra sagen. „Früher war ich ziemlich wild. Jetzt wahrscheinlich noch mehr, hier kann man halt nichts machen.“ Als Daueraufenthalt scheint Wyong eher nicht empfehlenswert. Sie überlege, wieder wie in Italien ein Volleyballteam zu suchen. Fußball? „Als Mädchen auf dem Dorf kam mir nie in den Sinn, dass Frauen das können.“

Nun findet sie es cool, dass die WM hier stattfindet – und dass das deutsche Team in Wyong gastiert. Die Nationalelf nämlich, erzählt sie grinsend, habe hier angefragt. „Mein Vater war platt, als diese Teambetreuer in den schicken Outfits kamen.“ Aber er habe ablehnen müssen; ein ganzer Kader hier in dem kleinen Restaurant, das gehe nicht. Seitdem hat sie schon Lust, ein bisschen WM zu gucken und ihr Team zu supporten. Das natürlich nicht Australien heißt, sondern Italien. Wie konnte ich fragen. „Aber jetzt, wo du hier warst“, eröffnet sie herzig, „kann ich ja auch für Deutschland sein.“ Klosterpolitik als DFB-Werbekampagne. Und Stadtförderung.

Mit Wyong, glaubt meine Gesprächspartnerin, gehe es allmählich aufwärts. „Vor ein paar Jahren war es hier ein bisschen zwielichtig, jetzt bemüht sich die Kommune echt, was zu machen.“ Dann veranlasst sie den Koch, mir zur für Wyong späten Stunde noch ein Versorgungspaket mit Pasta zu machen.

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Alina Schwermer
freie Autorin
Jahrgang 1991, studierte Journalismus und Geschichte in Dortmund, Bochum und Sankt Petersburg. Schreibt für die taz seit 2015 vor allem über politische und gesellschaftliche Sportthemen und übers Reisen. Autorin mehrerer Bücher, zuletzt "Futopia - Ideen für eine bessere Fußballwelt" (2022), das auf der Shortlist zum Fußballbuch des Jahres stand.
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