piwik no script img

Kurzarbeit bei BoschChipkrieg um niederländisch-chinesischen Konzern eskaliert

Der Konflikt um den Chiphersteller Nexperia weitet sich international aus: Kurzarbeit bei Bosch, Automobilkonzerne fahnden nach Halbleiter-Ersatz.

Der Nexperia-Konflikt weitet sich aus Foto: Jonas Walzberg/reuters

Von

Tobias Müller aus Amsterdam

Der Streit um den niederländisch-chinesischen Chip-Fabrikanten Nexperia weitet sich auf die deutsche Automobilindustrie aus. Nach Angaben der IG Metall vom Freitag haben Unternehmen wie der weltgrößte Autozulieferer Bosch wegen ausbleibender Chip-Lieferungen örtlich bereits Kurzarbeit beantragt. Andere Firmen bereiteten Kurzarbeit vor, sagte der bayerische IG-Metall-Bezirksleiter Horst Ott in München. Volkswagen schloss kurzfristige Auswirkungen des Chipmangels auf seine Produktion nicht aus.

Die niederländische Regierung hatte Nexperia, eine Tochter des chinesischen Wingtech-Konzerns, Ende September offenbar nach Druck aus den USA unter Aufsicht seines Ministeriums gestellt – unter Berufung auf Missmanagement, das die wirtschaftliche Sicherheit der Niederlande und Europas gefährde. Dahinter steckt die Furcht, technologisches Wissen und Produktionskapazitäten für Halbleiter nach China zu verlieren, weil diese im Notfall nicht zur Verfügung stehen könnten.

Als Reaktion erlegte Peking dem chinesischen Teil des Unternehmens ein Exportverbot auf, was in der Autoindustrie und im Maschinenbau im Westen Schocks auslöste. Es gibt offenbar Lieferprobleme bei Halbleitern wie Dioden, Transistoren und Chips für das Batteriemanagement. Die Bundesregierung kündigte nicht näher bezeichnete Maßnahmen gegen den Chipmangel an. Außenminister Johann Wadephul (CDU) hatte bei einem Besuch in China von Sonntag an über die Kooperation beider Staaten sprechen wollen. Jedoch wurde die Reise nach Angaben des Auswärtigen Amtes in Berlin überraschend abgesagt. Konkrete Gründe nannte das Ministerium nicht.

Wegen des Nexperia-Konflikts hat Bosch im niedersächsischen Salzgitter laut IG Metall inzwischen Kurzarbeit für mehr als 1.000 Beschäftigte angemeldet. Dort wirke sich die Knappheit wegen der „Just-in-time“-Materialversorgung sofort aus. Ob der Antrag von der Arbeitsagentur genehmigt werde, sei noch offen. Von Bosch war laut der Nachrichtenagentur Reuters zunächst keine Stellungnahme zu erhalten.

VW hat offenbar Ersatzfabrikanten für Halbleiter

Bayerns IG-Metall-Bezirksleiter Horst Ott sagte am Freitag, auch bei anderen Autozulieferern gebe es „starke Schwierigkeiten“ in einzelnen Bereichen, wo Kurzarbeit bereits angemeldet worden sei. Volkswagen erklärte unterdessen, bis zum kommenden Donnerstag sei die Fahrzeugproduktion an den deutschen Standorten gesichert. „Kurzfristige Auswirkungen auf das Produktionsnetzwerk des Volkswagen-Konzerns“ könnten „jedoch weiterhin nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden“, teilte ein Unternehmenssprecher mit. Volkswagen prüfe alternative Beschaffungsoptionen.

Geopolitischer Hintergrund des Falls ist, ist, dass Wingtech auf der US-amerikanischen Sanktionsliste steht. Niederländische Chips, darunter solche aus Nexperia-Produktion, sollen auch nach dem Beginn des Ukraine-Kriegs ihren Weg nach Russland gefunden haben und dort in Waffen verarbeitet worden sein.

Zwar hat VW inzwischen offenbar einen namentlich nicht genannten Ersatzfabrikanten für die benötigten Halbleiter gefunden, sodass die Produktion auch bei den Tochterunternehmen Audi und Porsche vorerst gesichert zu sein scheint. Die Japan Automobile Manufacturers Association (JAMA), die unter anderem Nissan, Toyota, Mazda und Honda vertritt, befürchtet laut einem Guardian-Bericht „ernsthafte Auswirkungen auf die globale Produktion unserer Mitglieds-Unternehmen“ – und hofft auf eine „schnelle und praktische Lösung“ zwischen den beteiligten Ländern.

Dass die Zeit drängt, steht auch angesichts der Abhängigkeit anderer Branchen wie Medizintechnik, Rüstung, Luftfahrt und Maschinenbau von Standard-Chips wie denen von Nexperia außer Frage. Der niederländische Wirtschaftsminister Vincent Karremans ließ diese Woche verlauten, er stehe im Austausch mit dem chinesischen Handelsminister Wang Wentao. Premierminister Dick Schoof betonte am Rande des EU-Gipfels in Brüssel, es werde „hart an einer Lösung gearbeitet“.

Im Podcast der niederländischen Wirtschaftszeitung Financieel Dagblad wurde am Freitag die Furcht geäußert, Wingtech baue den chinesischen Nexperia-Zweig zu einem Betrieb aufzubauen, der vom niederländischen Hauptsitz unabhängig ist. Damit wäre genau das eingetreten, was Den Haag eigentlich verhindern wollte: den Verlust von Produktionskapazität und Technologie nach China.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare