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Kurden in Syrien und dem IrakErdoğan droht mit Mehrfrontenkrieg

Nach der Eroberung Afrins will Ankara den Krieg gegen die Kurden notfalls nach Ostsyrien und Nordirak tragen. In Afrin soll es zu Plünderungen gekommen sein.

Sonntag in Afrin: Die Kämpfer gehören der mit der Türkei verbündeten „Freien Syrischen Armee“ an Foto: ap

Istanbul/Afrin afp/dpa | Nach der Einnahme der nordwestsyrischen Stadt Afrin durch türkische Truppen hat der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan mit einer Ausweitung der Offensive nach Ostsyrien und mit einem Einmarsch in den Irak gedroht.

Man wolle gegen weitere von der Kurdenmiliz YPG kontrollierte Gebiete bis hin nach Kamischli vorrücken, sagte Erdogan am Montag in Ankara. Zudem werde man die „Terrorcamps“ der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK im Nordirak „wenn nötig anhaltend unter Kontrolle bringen“.

Ankara sieht die YPG als syrischen Ableger der PKK und betrachtet beide als Terrororganisationen. Die PKK hat in den nordirakischen Kandil-Bergen ihr Hauptquartier und auch im nordirakischen Sindschar Stellungen.

Am Sonnntag hatten türkische Truppen und verbündete syrische Milizen die nordwestsyrische Stadt Afrin eingenommen. Nach Angaben von Aktivisten und Kurden kam es dort im Anschluss zu Plünderungen. Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte meldete am Montag, die Kämpfer hätten in großem Ausmaße Geschäfte, Häuser und Regierungsgebäude ausgeraubt. Ein Reporter der Nachrichtenagentur AFP berichtete, dass es bereits am Sonntag zu Plünderungen von Wohnhäusern und Läden gekommen sei.

Protürkische Kämpfer sprühten die Namen ihrer Gruppen auf Geschäfte und Häuser. Die meisten gehören Gruppen an, die gegen Machthaber Baschar al-Assad kämpften, bevor sie sich der türkischen Offensive anschlossen. Der YPG-Sprecher Brossik al-Hassaka sagte, die Eroberer hätten Gebäude angezündet und religiöse Statuen zerstört.

Der türkische Regierungssprecher Bekir Bozdag sagte am Montag, die Türkei habe keine Absicht, langfristig in Afrin zu bleiben. „Wir bleiben nicht dauerhaft in Afrin. Wir sind keine Besatzer“, so Bozdag. Ihr Ziel sei es, die Region „vom Terror zu säubern, Frieden, Vertrauen und Sicherheit wiederherzustellen und die Region ihren rechtmäßigen Besitzern zurückzugeben“.

Bericht über getötete britische Kämpferin

Unterdessen verschärft sich die humanitäre Lage Zehntausender Flüchtlinge. Das UN-Nothilfebüro Ocha hatte am Sonntag erklärt, fast 100.000 Menschen aus Afrin seien in benachbarten Gebieten als Vertriebene registriert worden. „Zehntausende Menschen leiden in Afrin“, twitterte das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK). „Verzweifelt und verängstigt fliehen täglich Tausende Menschen, die keinen Platz zum Übernachten, wenig Essen, Wasser und medizinische Versorgung haben.“ Das IKRK arbeitet mit dem Syrischen Roten Halbmond zusammen, um Decken und Mahlzeiten zur Verfügung zu stellen.

Rund 250.000 Zivilisten flohen laut der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte aus der Stadt, bevor sich der Belagerungsring schloss. Am Wochenende zogen sich auch die YPG-Kämpfer kampflos zurück.

Nach Zählung der Beobachtungsstelle wurden bei der Offensive mehr als 1.500 YPG-Kämpfer sowie 400 protürkische Rebellen getötet. Die türkische Armee verlor ihrerseits 46 Soldaten. Laut der oppositionsnahen Beobachtungsstelle, die ihre Informationen von Ärzten und Aktivisten vor Ort bezieht, gab es zudem 280 Tote unter den Zivilisten.

Die Türkei bestreitet diese Angaben und betont, alles zum Schutz der Zivilisten getan zu haben. Für Medien sind die Angaben der Beobachtungsstelle kaum zu überprüfen. Eine Sprecherin der kurdischen Frauenverteidigungseinheiten (YPJ) sagte am Montag, vergangene Woche sei auch eine britische Kämpferin namens Anna Campbell getötet worden.

Die Kurdische Gemeinde in Deutschland warf der Bundesregierung Untätigkeit vor. Sie lasse seit Jahren „all unsere Aufrufe im Hinblick auf ihre Türkei- und Kurdenpolitik unbeantwortet“, kritisierte die Gemeinde in Gießen. „In Afrin ist Europa gefallen.“

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14 Kommentare

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  • "Nach der Eroberung Afrins will Ankara den Krieg gegen die Kurden notfalls nach Ostsyrien und Nordirak tragen." ??

    Ist das jetzt Werbung für Deutsche Waffen Exporte oder für Deutsche Politik??

    Ich schäme mich als Jahrgang 1942.

  • "Bericht über getötete britische Kämpferin"

    Mehr dazu hier. Sie_er war Anarchist_in: https://www.theguardian.com/world/2018/mar/19/briton-kurds-anna-campbell-dies-fighting-turkey-syria-afrin

  • Die Kurden haben wirklich sehr viel erleiden müssen.. Aber ich will da jetzt nicht eingehen. Es gab auch viel terror von deren Seiten... aber die Türkei hat viele Menschenrechte verletzt!!!

    Aber das ganze kam wieder hoch, seit dem zweiten Irak Krieg, USA versprach den Kurden einen eigenen Staat... stellte sich heraus das alles nicht nur erlogen war, sondern auch sehr schwer zu realisieren! viele länder müssten teil ihre Lánder opfern. Das will natürlich keiner.. ist ein schweres Thema!!!

  • Protürkische Rebellen - Söldner, die tlw. auch für den IS angetreten sind. Und jetzt siedelt Erdogan dort arabischstämmige Flüchtline an. Schön, wenn ein NATO-Staat ethnische Säuberungen durchführt - und NATO und EU interessiert zuschauen.

  • "Die Kurdische Gemeinde in Deutschland warf der Bundesregierung Untätigkeit vor."

     

    Ist Merkel in Urlaub? Bekommt sie keine Nachrichten mit? Interessieren sie die Vorgänge in Afrin nicht?

  • 8G
    81622 (Profil gelöscht)

    Was wohl der neue forsche Aussenminister zu all dem sagt? Auch nur "diplomatisches" Geschwafel, a la Steinmeier und Gabriel ? Unglaublich, wie sich diese Herren in ihren Posen gefallen und Erdogan in de Arsch kriechen...mir kommt das Köthen.

  • Intersant die Nichtreaktion von der EU.

    Türkei macht einen offentsichtlicher Angriffskrieg, nix passiert, keine Sanktionen.

    Ach vergessen die Russen sind schuld...

  • "Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte meldete am Montag, die Kämpfer hätten in großem Ausmaße Geschäfte, Häuser und Regierungsgebäude ausgeraubt."

     

    Ausgeraubt hört sich so nach Verbrecher an. Es ging den Erdogan-Islamisten doch darum, Terroristen zu bekämpfen.

     

    Man wird sehen, wie dieser gottesfürchtige türkische Staatspräsident und seine islamistischen Hilfstruppen in Afrin zu herrschen gedenken.

     

    Es ist eine Schande, dass es von der B-Regierung keine offizielle Verurteilung des Islamisten Erdogan gibt.

  • Völkermord. Ich denke das trifft es am besten. Und dafür Angriffskrieg.

  • Traurig,das es immer auf die gleiche Weise abläuft,da lügen die Zahlen des Waffenexports in Krisenländer nicht.Hauptsache ist doch das bei Rheinmetall die Dividende stimmt!Ekelmodus off.Wie kann ein NATO-Mitglied derart "die Sau" rauslassen und alle schweigen?Demnächst kommt er ( Erdogan ) zu Besuch...Resultat:Tolle Bilder für Erdogan und jede Menge verprügelte Gegendemonstranten und / oder festgenommene.Und soweiter.Für geopolitische Interessen kennt mensch heute weder Freunde noch Verwandte.Um es mal populistisch auszudrücken.Grins

  • Die AKP und ihre Islamisten können nicht gewinnen!

     

    Die zeitweilige Niederlage der regionalen kurdischen Bevölkerung ist nicht von Dauer. Zweiunddreißig Millionen Kurden können nicht in ihren Siedlungsgebieten von der türkischen AKP-Diktatur und deren Militärführung dauerhaft unter Kontrolle gehalten werden. Der Krieg der türkisch-islamischen AKP-Diktatur führt auch in der Türkei selbst zu einen Flächenbrand sozialrevolutionärer Emanzipation und sozioökonomischer Befreiung. Zu einem Befreiungs- und Bürgerkrieg, nicht nur der sechzehn Millionen Kurden in der Türkei, sondern auch zu einer zunehmenden Beteiligung weiterer (türkischer) Bevölkerungsteile und nationaler Minderheiten. — Aber auch in Folge der offiziellen europäischen Nato- und EU-Politik, auch der bundesdeutschen Rüstungs- und Waffenlieferanten (an die faschistische AKP-Diktatur), kommt es unter den Migranten in EU-Europa zu einer verstärkt unterstützenden Solidaritätsbewegung. — In diesem Zusammenhang sei auch an den historischen Befreiungskrieg des vietnamesischen Volkes erinnert. Auch hier war die militärische Überlegenheit Frankreichs und der Vereinigten Staaten, zusammen mit ihren westlichen Kollaborateuren, nicht von ewiger Dauer. –

     

    Die sozialökonomische, sozialökologische und gesellschaftspolitische Zukunft gehört der vereinten Demokratischen Republik Kurdistan, unter Einbeziehung aller heutigen kurdischen Regionen! Für ein freies und demokratisch vereintes Kurdistan!

  • ein lupenreiner "angriffskrieg" des NATO mitglieds türkei.

    so erin einnahme ist völkerechtlich diplomatiscche "tatsachche".

     

    das ist SYRISCHES STAATSGEBIET!!

  • „In Afrin ist Europa gefallen.“

     

    Ach, das Europa der Menschenrechte ist schon vorher gefallen.

  • 9G
    97796 (Profil gelöscht)

    Liebe Kurden. Deutschland wird nicht von Politikern, Gewissen, Moral, Ethik, Gerechtigkeit und Freiheit getrieben. Sondern von Geld, Vollbeschäftigung um jeden Preis und Wirtschaftswachstum. Wenn ihr mehr Geld hättet als die Türken, würdet ihr wahrscheinlich in der NATO sein und deutsche Panzer fahren. Aber ihr habt nichtmal soviel Geld wie mexikanische Drogenbanden. Sonst hättet ihr zumindest Heckler und Koch Gewehre.