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Mit Drohnen gegen KurdenIn Erdoğans Schussfeld

Ein ARD-Film dokumentiert den brutalen türkischen Krieg gegen Kurden in Nordsyrien. Und zeigt, wie ein NATO-Mitglied unbehelligt Leben vernichten kann.

Durch einen Drohnenangriff ausgelöscht: die Gräber von Narins sieben Geschwistern und ihren Eltern Foto: Matthias Ebert/swr

Während sich Erdoğans AKP innenpolitisch auf Friedensgespräche mit der prokurdischen Partei DEM einlässt, bombardiert das türkische Militär zugleich kurdisch verwaltete Gebiete in Nordsyrien – ein widersprüchlicher Kurs mit verheerenden Folgen.

Die Doku „Erdoğans Kampf gegen die Kurden – Unterwegs mit deutschen Helfern in Nordsyrien“ dokumentiert zerstörte Wasserwerke, angegriffene Krankenhäuser, Raketenreste in Wohnvierteln.

In der Doku ist von gezielten Angriffen auf lebenswichtige Infrastruktur die Rede. Ob das als Verstoß gegen das Völkerrecht zu werten ist, bleibt offen. Zwar kommen Rechtswissenschaftler und unabhängige Quellen zu Wort, doch eine juristische Einordnung wird nicht abschließend getroffen – symptomatisch für die bislang zögerliche Haltung der internationalen Gemeinschaft.

Während das ARD-Team ein völlig zerstörtes Haus betritt, sind am Himmel Drohnen zu hören. An diesem Ort wurde im März eine neunköpfige kurdische Familie getötet, mutmaßlich durch eine türkische Kampfdrohne. Die Angehörigen sind jedenfalls davon überzeugt.

Absurdität und Tragik des Konflikts

„Was will Erdoğan von mir? Ich bin kein türkischer Kurde – ich bin syrischer Kurde!“, sagt ein Anwohner. Dieser Satz offenbart die Absurdität und Tragik des Konflikts: Menschen, die nicht einmal im türkischen Staatsgebiet leben, werden zum Ziel eines Krieges aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit und politischen Selbstverwaltung.

Solche Szenen verleihen der Doku emotionale Tiefe und bringen die abstrakten geopolitischen Zusammenhänge näher. Statt überdramatisierter Kommentierung vertraut sie auf die Wirkung der Bilder, Stimmen und Orte. Die Kamera bleibt beobachtend, lässt Raum für eigene Schlüsse.

Trotz inszenatorischer Schwächen legt die Doku offen, wie selektiv internationale Maßstäbe sind – und ein Nato-Mitglied Leben vernichten kann, ohne politische Konsequenzen fürchten zu müssen.

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6 Kommentare

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  • Sehr wichtiges und parallel zu Gaza dringend anzusprechendes Thema! Dieser Konflikt schwelt leider schon seit Jahren. Allerdings gibt es Solidarität mit den Kurdinnen und Kurden nur wenn sie strategisch gebraucht wird, wie bei der Verteidigung gegen den IS. Dabei wäre doch eine internationale Solidarität mit Rojava und der Idee kurdischer Autonomie durchaus wichtig. Gerade beim türkischen-kurdischen Friedensprozess sollte dieses stark im Auge behalten werden, damit der Friedensprozess nicht nur zur "Machtsicherung" und aus strategischen Gründen von der türkischen Regierung und Erdogan geführt wird, sondern damit es zu einem wirklichen Sichern kurdischer Autonomie in der Türkei und in Syrien kommt. Das wäre ein gutes Ziel für die Zukunft der Türkei und Syriens und wäre menschenrechtlich und die internationale Ordnung betreffend angemessen.

  • "Trotz inszenatorischer Schwächen legt die Doku offen, wie selektiv internationale Maßstäbe sind..." Nach Anschauen der Doku, ist das Wort "selektiv" eindeutig zu schwach. Eine normale Reaktion wäre Zorn und Empörung. Das Völkerrecht ist eindeutig.

  • Danke für diesen Beitrag. Seit Jahren verfolge ich das Leid der Kurden mit großer Sorge.

    Und Deutschland? Kaum Proteste, kaum politische Statements, keine Besetzungen von Universitäten oder öffentliche Stellungnahmen von Hochschulleitungen gegen Erdogan. Wenn ich mir dagegen die Empörung über Israel anschaue, wird mir erneut die Heuchelei bewusst. Man sieht darin deutlich, dass es nicht wirklich um das Leid der Menschen geht, sondern Israel als Feindbild instrumentalisiert wird.

    • @Pawelko:

      Irgendwie war mir klar, dass Sie das Thema für Ihre politische Agenda nutzen würden.



      Wissen Sie eigentlich, was hier Anfang der 90er Jahre los war, als der militärische Konflikt zwischen türkischer Regierung und PKK eskalierte und hierzulande die PKK dann verboten wurde? Besetzungen türkischer Konsulate, Autobahnblockaden, Hungerstreiks, Selbstverbrennungen kurdischer Aktivisten. Was wurde man damals als Terror-Sympathisant verunglimpft, wenn man nur vorsichtiges Verständnis für die Anliegen der Kurden äußerte.



      Dann haben die Kurden in Rojava für den „Wertewesten“ die Kohlen aus dem Feuer geholt, indem sie den IS zurückdrängten … um von uns dann wie eine heisse Kartoffel fallengelassen zu werden.



      Und was hat das alles jetzt mit dem Feindbild Israel zu tun? Verstehe ich nicht.



      In Nahost stehen beide Themen - das der Kurden und das der Palästinenser - insofern in engem Zusammenhang, als dass sie als Schlüssel für die Lösung der Konflikte angesehen werden können.

      • @Abdurchdiemitte:

        Nun, zum einen zeigt das einfach die Doppelmoral der PP-Bewegung.



        Die Vehemenz von damals lässt sich mit dem heutigen, weltweiten Ausmaß nicht vergleichen – auch wenn ich zugebe, keinen direkten Vergleich zu den damaligen Verhältnissen in Deutschland zu haben.



        Außerdem impliziert diese Haltung, dass das Leid der Kurden inzwischen beendet sei und man sich nicht mehr für sie einsetzen müsse.

        Nein, ich denke, es hängt vielmehr damit zusammen, dass Erdogan mit seinem Hass auf Israel und der Unterstützung der Hamas bei vielen „einen Stein im Brett“ hat.

        taz.de/Erdoan-gegen-Israel/!6023888/

        Ich verknüpfe die beiden Themen also nicht – das tut Erdogan selbst.

      • @Abdurchdiemitte:

        Ich weiß noch, was damals los war. Und die Geschichten haben insofern aktuell etwas miteinander zu tun, weil Erdogan sich zum selbsternannten Führer der militanten islamistischen Palästinenser gemacht hat. Er bietet der Hamasführung nicht nur politisch eine neue Heimat und Wetter auf allen Kanälen gegen die israelische Regierung, während er selber überhaupt keine Skrupel bei der Bekämpfung einer ihm missliebigen Ethnie kennt. Und einen türkischen Genozid an den Armeniern gab es natürlich auch nicht. Für die Aussage verschwindet man in Erdos Reich ohne großen Prozess auf lange Zeit in einer anatolischen Zelle. Von daher ist es schon richtig, seine sonstigen Worte und Taten mal ins entsprechende Verhältnis zu setzen.