Kuratorin Tafari-Ama über Sklaverei: „Koloniale Amnesie geht nicht“
Die Jamaikanerin Imani Tafari-Ama zeigt mit der Ausstellung „Rum, Schweiß und Tränen“, wie Flensburg von der Sklavenarbeit in der Karibik profitiert hat:
taz: Frau Tafari-Ama, Sie plädieren dafür, dass Flensburgs Stadtgeschichte neu erzählt wird. Warum?
Imani Tafari-Ama: Was den kolonialen Handel mit Zucker und Rum betrifft, hat Flensburg eine hässliche Rolle gespielt, die kaum bekannt ist. Die „Blütezeit“ im 18. und 19. Jahrhundert basiert auf Sklavenarbeit. Meine Aufgabe ist es, diese Seite der Handelsgeschichte mit den Jungferninseln – bis 1917 die dänisch-westindischen Inseln – aufzuzeigen. Sie ist gekennzeichnet von „Blut, Schweiß und Tränen“ der Sklaven, die dort auf den Zuckerplantagen arbeiten mussten. Daher der Ausstellungsname.
Kannten Sie Flensburg überhaupt, als Sie vom Schifffahrtsmuseum als Kuratorin angefragt wurden?
Den Namen hatte ich noch nie gehört. Umso überraschter war ich über die Einladung. Die Mail landete erst im Spam-Ordner. Bei meinen Nachforschungen fand ich dann heraus, dass Flensburg bis 1864/65 dänisch war. Über die Rolle Dänemarks als Kolonialmacht auf den Jungferninseln wusste ich bis dahin quasi nichts. Nur über Kolonialherren aus den Niederlanden, Deutschland oder England war ich informiert – nicht aber über Dänemark.
56, geboren auf Jamaika, ist Kulturwissenschaftlerin und Expertin für afro-karibische Geschichte und Kultur.
Sie hat am Institut für Development Studies in Den Haag promoviert und lehrte an der University of the West Indies in Kingston.
Derzeit ist sie Fellow der Kulturstiftung des Bundes und kuratiert am Flensburger Schifffahrtsmuseum die Ausstellung „Rum, Schweiß und Tränen“.
Nun raten Sie Dänen und Deutschen, ihre Geschichte zu hinterfragen. Die Flensburger vertreten beide Länder: Wie fällt deren Reaktion aus, wenn Sie erklären, dass die „Rum-Stadt“ auf Sklavenarbeit basiert?
Stimmt, wegen des dualen Charakters ist Flensburg ein spezieller Fall. Generell ist es so, dass die Deutschen die Verantwortung den Dänen zuschieben. Und die Dänen wollen sich nicht wirklich an den Sklavenhandel erinnern. So verblassen Geschichtsbilder. Einer der Organisatoren der jährlich in Flensburg stattfindenden „Rum-Regatta“ zeigte sich überrascht, dass es Sklaven waren, die auf den Jungferninseln den benötigten Zucker für den Rum anbauten und ernteten. Er wusste schlicht nichts davon.
Was können Sie dem vorherrschenden Bild des prunkvollen Kolonialerbes entgegensetzen?
Wir versuchen mit den Menschen ins Gespräch zu kommen und determinierte Perspektiven zu verschieben. Die Europäer müssen anerkennen, dass ihr wirtschaftlicher Aufstieg mit der Unterdrückung von zig Millionen Menschen zusammenhängt. Für Flensburg gilt: Wir ändern keineswegs die Stadtgeschichte, sondern regen zum kritischen Hinterfragen dieses verherrlichenden kolonialen Narratives an. Diesen nostalgischen Blick auf die „Rum-Regatta“, auf prachtvolle Schiffe und große Häuser – den wollen wir durchbrechen. Koloniale Amnesie geht nicht.
Wie lief der Handel denn tatsächlich ab?
Nehmen wir Carl von Schimmelmann, im 18. Jahrhundert Kaufmann und Sklavenhalter. Schimmelmanns Fabrik fertigte Waffen an und verschiffte diese – zusammen mit Flensburger Rum – nach Ghana, im Tausch gegen die Ware Mensch. Arbeitskräfte, Sklaven natürlich, wurden dafür auf die Jungferninseln verfrachtet, um dort die Plantagen zu bewirtschaften. Der gewonnene Zucker wiederum wurde…
… nach Flensburg verschifft.
Exakt! Das beschreibt den sogenannten Triangel-„Handel“. Alle königlichen Familien haben das so gehandhabt, bis die Monarchen wegen drohender Misswirtschaft das Modell verstaatlichten. Kopenhagen wurde als Hauptstadt vom König zwar begünstigt – aber gleich danach kam Flensburg. Nur will diese historische Schuld niemand eingestehen.
Woran liegt das?
Wenn ich Deutsche nach ihrer kolonialen Schuld befrage, heißt es oft, das kollektive Gedächtnis sei eben mit dem Holocaust viel zu sehr beschäftigt gewesen. Der habe alles andere verdrängt. Das mag stimmen. Trotzdem bleibt der Genozid an den Herero und Nama in Namibia bestehen; trotzdem bleiben die Unterdrückungsmaßnahmen in Togo, in Ruanda, in Tansania, in Kamerun – oder eben auf den Jungferninseln – Verbrechen, für die jemand haften muss. Die Europäer müssen anerkennen, dass die Verschleppung der Afrikaner das größte Verbrechen in der Menschheitsgeschichte ist, größer noch als der Holocaust.
Wenn Sie das in Deutschland behaupten, dürften Sie von verschiedenen Seiten bald energisch korrigiert werden.
Ich will keineswegs das unheimliche Verbrechen und das Narrativ dahinter infrage stellen. Was den Juden angetan wurde, war zutiefst grauenvoll. Nur: Die „Maafa“ muss endlich genauso berücksichtigt werden.
Das dürfte schwierig werden, schon allein deshalb, weil der Begriff „Maafa“ vielen Deutschen vermutlich nichts sagt.
Es geht hier um die Unterdrückung schwarzer Menschen über 500 Jahre hinweg, ein halbes Jahrtausend! Über 200 Millionen Menschen wurden verschleppt, wurden wie Vieh behandelt. Wir müssen für diese Ungerechtigkeiten eine eigene Sprache finden, einen Raum schaffen, der das widerspiegelt. Die 2015 gestartete „Internationale Dekade für Menschen afrikanischer Abstammung“ thematisiert das, sie geht in die richtige Richtung.
Wie kann so ein Prozess funktionieren?
Nicht so wie Entwicklungshilfe funktioniert. Ein bisschen Geld geben, um die Elite abzuspeisen, wird nicht reichen. Institutionen, die eine gesunde Entwicklung möglich machen, müssen aufgebaut werden. Kernbereiche wie Bildung, Beschäftigung, sichere Wohnverhältnisse sollten schwarzen Menschen grundsätzlich zugänglich sein. In der Breite ist das nicht der Fall, Schwarze leiden unter vielen Vorurteilen.
Was ist nötig, um eine stereotype Denkweise zu entflechten?
Das Selbstvertrauen schwarzer Menschen muss wieder aufgerichtet werden. Wir reden von einer Gruppe, der die Menschlichkeit abgesprochen worden ist, die als Objekt galt. Auf dieser Basis nehmen weiße Menschen Schwarze wahr, unbewusst oder bewusst spielt dabei keine Rolle.
Wie macht sich der eurozentrische Blick im Alltag bemerkbar?
Die Solidarität fehlt unter den Schwarzen, natürlich auch in Afrika. Der Selbsthass, schwarz zu sein, und damit per weißer Definition zu den Schwächeren und Ärmeren zu zählen, ist groß. Manche identifizieren sich nur ungern als Schwarze – sie verweisen vielmehr auf ihre Nation als auf ihre eigentlichen Wurzeln. Oder sie versuchen, an europäische Schönheitsideale heranzureichen. Haare glätten, Haut bleichen; solche Dinge, die zeigen, welchen kulturellen Schaden die Europäer hinterlassen haben.
Welche Rolle spielen afrikanische Regierungen? Viele sind korrupt, manchen stehen Diktatoren vor. Es entsteht der Eindruck, als bedienten Sie eher westliche und chinesische Interessen anstatt die ihrer eigenen BürgerInnen.
Die Beziehungen zwischen den Eliten afrikanischer Länder und den wirtschaftsstarken Nationen sind in der Tat ein Problem. In Ghana habe ich ein paar Schulen besucht. Mit einem Direktor sprach ich über Bildung, wollte von ihm wissen, welche Geschichte die Kinder in den Schulen lernen. Bringt man ihnen auch etwas über die tatsächlichen historischen Zusammenhänge bei? Nein, ein afrikanisches Geschichtsbild zu vermitteln, sei zu kompliziert, das könne viele Probleme verursachen, lautete die Antwort. Ich dagegen finde, die Schüler sollten so früh wie möglich etwas darüber erfahren. Sonst werden sie die scheinbar festgefahrenen, übergeordneten Strukturen der weißen Perspektive als selbstverständlich hinnehmen.
Halten wir fest: Die weiße politische Klasse will keine echte Aufarbeitung, die schwarzen Eliten auch nicht. In breiten afrikanischen Bevölkerungsschichten gelten weiße Verhaltensmuster als erstrebenswert. Wer bleibt noch übrig als Triebfeder?
Die panafrikanische Perspektive, also die von den Afrikanern in der Diaspora. Der jamaikanische Panafrikaner Marcus Garvey war einer der ersten, der im frühen 20. Jahrhundert auf die gemeinsamen Wurzeln hingewiesen hat. Es liegt jetzt an der internationalen afrikanischen Pan-Gemeinschaft, speziell in der Karibik, in Europa und natürlich in Afrika selbst, die eigene vergessene, gemeinsame Identität neu zu bilden. Im besten Fall schaffen wir es, der transatlantischen Triangel einen neuen Sinn zu geben und einen Paradigmenwechsel herbeizuführen.
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