Kunsttipps der Woche: Der Blick zurück
Becky Beasley geht auf Spurensuche im eigenen Werk, im Bärenzwinger untersucht eine Gruppenschau die queere Vergangenheit am Ort.
I have always been quite quirky, queer, quer is the German root. I am odd, oblique, off-centre. As I said, quirky. It turns out – could you even believe it? – I am actually autistic. Oh, and progesterone intolerant.“ Die Sätze stammen aus dem Begleittext „Fragments of Sensivity“, den die britische Künstlerin Becky Beasley gemeinsam mit KW-Kuratorin Anna Gritz zu ihrer aktuellen Einzelausstellung in der Galeria Plan B verfasst hat. Spät erst erhielt Beasly die Diagnose Autismus, die sie als „eines der seltsamsten Happy-Ends“ beschreibt, das aber weder wirklich happy sei, noch etwas mit einem Ende zu tun habe.
Von eben diesem Happy-End, das keines ist, erzählt die Schau, von der Freude daran, dass die Dinge, die Emotionen, die Symptome, die sie jahrzehntelang beschäftigten, auf einmal irgendwie Sinn ergeben, die Depressionen, Burn-Outs, die Erschöpfung, die Verunsicherung, die soziale Ausgrenzung; von dem guten Gefühl, endlich einen Anhaltspunkt zu haben, die eigene Komplexität zu verstehen. Autismus wird stereotyp mit Männern verbunden, Frauen gar nicht erst darauf untersucht.
Beasleys Ausstellung in der Galeria Plan B gleicht so gesehen einer Spurensuche, einer Rückschau auf sie selbst als „Highly Sensitive Person“, als Künstlerin in der Mitte ihrer Karriere. „H. S. P. (or Promising Mid-Career Woman)“ lautet ihr Titel entsprechend. „Back!“, zurück, ihrem Aufruf kann man sich kaum entziehen, er findet sich etwa auf den Drucken an der Wand, vorausgesetzt man ignoriert ein halbes L.
Retrospektiv scheint alles auf einmal noch mehr aufeinander zu verweisen, die Assemblagen aus Büchern und Keramik, die Fotografien und Installationen, oder Vorahnungen zu geben, wie jenes Selbstporträt der Künstlerin in wilder grauer Perücke: „Me as Andy“ (1996). Auch die drei blassrosa Vorhangformationen hängen nicht einfach irgendwie da, sondern ergeben, von oben betrachtet, wieder die drei Buchstaben H, S und P. Beasleys Schau ist eine sehr persönliche, vieldeutige Annäherung an das Gefühl des Andersseins voller Puzzlesteine mit unebenen Kanten.
Cruising-Geschichte im Köllnischen Park
Zurück blickt auch die Gruppenausstellung „Into the drift and sway“ im Bärenzwinger. Anhaltspunkte sucht sie für eine mögliche queere Geschichte des Ortes und seiner Umgebung. Eine Cruising Area könnte der Köllnische Park Anfang des 20. Jahrhunderts durchaus gewesen sein. Zumindest haben die beiden Kurator*innen Malte Pieper und Lusin Reinsch Indizien in diese Richtung gefunden. Seine Lage am Wasser und nah zu in jener Zeit vom queeren Publikum frequentierten Lokalen spricht unter anderem dafür. Später, zu DDR-Zeiten, so heißt es, sollen sich an den öffentlichen Toiletten am Märkischen Ufer schwule Männer getroffen haben, im Bärenzwinger selbst arbeitete in den 1970ern ein Aktivist als Tierpfleger. Von all dem ausgehend haben Pieper und Reinsch sechs Künstler*innen eingeladen, dieser Vergangenheit und ihrer Gegenwart nachzuspüren.
Galeria Plan B: Becky Beasley: „H. S. P. (or Promising Mid-Career Woman)“, bis 5. Februar, Di.–Sa. 12–18 Uhr, Potsdamer Str. 77-87G
Bärenzwinger: „Into the drift and sway“, Gruppenausstellung, bis 20. Februar, Di.–So. 11–19 Uhr, Im Köllnischen Park, 10179 Berlin; 15. Dezeember, 19 Uhr: Rundgang mit Kurator:innenführung, Anmeldung: pretix.eu
Der taz plan erscheint auf taz.de/tazplan und immer Mittwochs und Freitags in der Printausgabe der taz.
Sehr direkt zeigt sich der Bezug zur Cruising-Kultur in der Skulptur Constantin Hartensteins. Der Künstler hat eine der Türen jener ikonischen historischen Klohäuschen, des sogenannten „Café Achteck“, aus Epoxiharz nachgegossen, giftig blau jedoch, nicht dezent dunkelgrün wie das Original. Einzeln hängt die Tür in einem der Käfige von der Decke. Ist es vielleicht die achte, die bei den Bedürfnisanstalten fehlt, so dass das stille Örtchen stets ein öffentliches bleibt, die Intimität, die dort stattfindet, jederzeit gestört werden kann?
Christa Joo Hyun D’Angelo bespielt den zweiten Käfig und verweist dabei auf die toxischen Aspekte des Begehrens, auf die Momente, in denen es kippt, in denen aus einem lustvollen Sich-Ausliefern ein Ausgeliefertsein wird. „He loves me / He loves me not“, läuft vom Neonschriftband – die Sätze haben bekanntlich schon Fausts Gretchen kein Glück gebracht. Spielerischer fällt Lotte Merets Beitrag aus. Die Künstlerin lädt im Eingangsbereich zum Mitmachen ein. Die Wände hat sie mit Grafiken überzogen, die ein wenig nach Jugendstil und Art Nouveau anmuten. Mal ins Groteske, mal ins Comichafte, mal offensichtlicher ins Explizite kippen die Formen, die Besucher*innen mit Wachsmalstiften ausmalen und mit ihren eigenen Fantasien ergänzen können.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kürzungen im Berliner Haushalt
Kultur vor dem Aus
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Energiewende in Deutschland
Erneuerbare erreichen Rekord-Anteil
Migration auf dem Ärmelkanal
Effizienz mit Todesfolge
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren