Kunsttipps der Woche: Der Blick zurück

Becky Beasley geht auf Spurensuche im eigenen Werk, im Bärenzwinger untersucht eine Gruppenschau die queere Vergangenheit am Ort.

Auf einem rot erleuchteten Neonschriftband erscheinen die Sätze "He loves me" und "He loves me not"

Arbeit von Christa Joo Hyun D'Angelo in der Ausstellung „Into the drift and sway“ im Bärenzwinger Foto: Juan Saez

„I have always been quite quirky, queer, quer is the German root. I am odd, oblique, off-centre. As I said, quirky. It turns out – could you even believe it? – I am actually autistic. Oh, and progesterone intolerant.“ Die Sätze stammen aus dem Begleittext „Fragments of Sensivity“, den die britische Künstlerin Becky Beasley gemeinsam mit KW-Kuratorin Anna Gritz zu ihrer aktuellen Einzelausstellung in der Galeria Plan B verfasst hat. Spät erst erhielt Beasly die Diagnose Autismus, die sie als „eines der seltsamsten Happy-Ends“ beschreibt, das aber weder wirklich happy sei, noch etwas mit einem Ende zu tun habe.

Von eben diesem Happy-End, das keines ist, erzählt die Schau, von der Freude daran, dass die Dinge, die Emotionen, die Symptome, die sie jahrzehntelang beschäftigten, auf einmal irgendwie Sinn ergeben, die Depressionen, Burn-Outs, die Erschöpfung, die Verunsicherung, die soziale Ausgrenzung; von dem guten Gefühl, endlich einen Anhaltspunkt zu haben, die eigene Komplexität zu verstehen. Autismus wird stereotyp mit Männern verbunden, Frauen gar nicht erst darauf untersucht.

Beasleys Ausstellung in der Galeria Plan B gleicht so gesehen einer Spurensuche, einer Rückschau auf sie selbst als „Highly Sensitive Person“, als Künstlerin in der Mitte ihrer Karriere. „H. S. P. (or Promising Mid-Career Woman)“ lautet ihr Titel entsprechend. „Back!“, zurück, ihrem Aufruf kann man sich kaum entziehen, er findet sich etwa auf den Drucken an der Wand, vorausgesetzt man ignoriert ein halbes L.

Ein rosafarbener Vorhang formt den Buchstaben S, in der Innenseite des Vorhangs hängt Becky Beaslys Selbstporträt "Me as Andy (1996)", auf dem sie pink gefärbte Haare trägt

Becky Beasley, „H. S. P. (or Promising Mid-Career Woman)“, Ausstellungsansicht, Galeria Plan B Foto: Trevor Good; Courtesy the artist and Plan B Cluj, Berlin

Retrospektiv scheint alles auf einmal noch mehr aufeinander zu verweisen, die Assemblagen aus Büchern und Keramik, die Fotografien und Installationen, oder Vorahnungen zu geben, wie jenes Selbstporträt der Künstlerin in wilder grauer Perücke: „Me as Andy“ (1996). Auch die drei blassrosa Vorhangformationen hängen nicht einfach irgendwie da, sondern ergeben, von oben betrachtet, wieder die drei Buchstaben H, S und P. Beasleys Schau ist eine sehr persönliche, vieldeutige Annäherung an das Gefühl des Andersseins voller Puzzlesteine mit unebenen Kanten.

Cruising-Geschichte im Köllnischen Park

Zurück blickt auch die Gruppenausstellung „Into the drift and sway“ im Bärenzwinger. Anhaltspunkte sucht sie für eine mögliche queere Geschichte des Ortes und seiner Umgebung. Eine Cruising Area könnte der Köllnische Park Anfang des 20. Jahrhunderts durchaus gewesen sein. Zumindest haben die beiden Ku­ra­to­r*in­nen Malte Pieper und Lusin Reinsch Indizien in diese Richtung gefunden. Seine Lage am Wasser und nah zu in jener Zeit vom queeren Publikum frequentierten Lokalen spricht unter anderem dafür. Später, zu DDR-Zeiten, so heißt es, sollen sich an den öffentlichen Toiletten am Märkischen Ufer schwule Männer getroffen haben, im Bärenzwinger selbst arbeitete in den 1970ern ein Aktivist als Tierpfleger. Von all dem ausgehend haben Pieper und Reinsch sechs Künst­le­r*in­nen eingeladen, dieser Vergangenheit und ihrer Gegenwart nachzuspüren.

Galeria Plan B: Becky Beasley: „H. S. P. (or Promising Mid-Career Woman)“, bis 5. Februar, Di.–Sa. 12–18 Uhr, Potsdamer Str. 77-87G

Bärenzwinger: „Into the drift and sway“, Gruppenausstellung, bis 20. Februar, Di.–So. 11–19 Uhr, Im Köllnischen Park, 10179 Berlin; 15. Dezeember, 19 Uhr: Rundgang mit Kurator:innenführung, Anmeldung: pretix.eu

Der taz plan erscheint auf taz.de/tazplan und immer Mittwochs und Freitags in der Printausgabe der taz.

Sehr direkt zeigt sich der Bezug zur Cruising-Kultur in der Skulptur Constantin Hartensteins. Der Künstler hat eine der Türen jener ikonischen historischen Klohäuschen, des sogenannten „Café Achteck“, aus Epoxiharz nachgegossen, giftig blau jedoch, nicht dezent dunkelgrün wie das Original. Einzeln hängt die Tür in einem der Käfige von der Decke. Ist es vielleicht die achte, die bei den Bedürfnisanstalten fehlt, so dass das stille Örtchen stets ein öffentliches bleibt, die Intimität, die dort stattfindet, jederzeit gestört werden kann?

Christa Joo Hyun D’Angelo bespielt den zweiten Käfig und verweist dabei auf die toxischen Aspekte des Begehrens, auf die Momente, in denen es kippt, in denen aus einem lustvollen Sich-Ausliefern ein Ausgeliefertsein wird. „He loves me / He loves me not“, läuft vom Neonschriftband – die Sätze haben bekanntlich schon Fausts Gretchen kein Glück gebracht. Spielerischer fällt Lotte Merets Beitrag aus. Die Künstlerin lädt im Eingangsbereich zum Mitmachen ein. Die Wände hat sie mit Grafiken überzogen, die ein wenig nach Jugendstil und Art Nouveau anmuten. Mal ins Groteske, mal ins Comichafte, mal offensichtlicher ins Explizite kippen die Formen, die Be­su­che­r*in­nen mit Wachsmalstiften ausmalen und mit ihren eigenen Fantasien ergänzen können.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Redakteurin für Berlin Kultur, freie Kulturjournalistin und Autorin. Für die taz schreibt sie vor allem über zeitgenössische Kunst, Musik und Mode. Für den taz Plan beobachtet sie als Kunstkolumnistin das Geschehen in den Berliner Galerien und Projekträumen.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.