Kunsttipps der Woche: Paternalistisch bis heiter

Alice Hauck und Amelie Plümpe verbauen die Welt in MDF, Win McCarthy zeigt Topografien der Vermessung, Vito Baumüller leitet zum lustigen Sterben an.

Eine Gruppe abstrakter Skulpturen aus MDF und Keramik, die an Abzugshauben und Lüftungsschächte erinnern, darauf eine Gießkanne

Alice Hauck und Amelie Plümpe, „38 PLUS 12“, Installationsansicht Foto: © Alice Hauck & Amelie Plümpe; Courtesy: die Künstlerinnen und McLaughlin Galerie

Vielleicht ist die Szene, die heute nach einem etwas chaotischen Posten der Verkehrspolizei ausschaut, beim nächsten Besuch in der Galerie McLaughlin eine ganz andere. Dann könnten Alice Hauck und Amelie Plümpe ihre Module aus MDF und Keramik zu einem Krabbelparcours umgewandelt haben oder zu der Abstellkammer einer Kunsthalle.

Die handwerklich äußerst präzisen, vom jungen Künstlerinnenduo (Jahrgang 1990 und 1993) selber angefertigten Gegenstände sind Nachbildungen von Objekten der Infrastruktur, von reinen Funktionsgegenständen, bei denen Schönheit maximal ein Zufall ist. Maßstabsverschoben (Streichhölzer so lang wie ein Arm) und maßstabsgetreu (eine Ölkanne aus Keramik oder ein Lüftungsschacht aus MDF unterscheiden sich nur im Material vom Original), schaffen diese exakten Dinge so etwas Widersprüchliches wie die Kulisse von der Realität.

In der Galerie Neu hat Win McCarthy eine Topografie des Messens und Vergleichens angelegt. Da liegt auf einem Tisch ein (maßgeschneiderter) Herrenanzug, in dem Kopf und Hände einer Babypuppe derart eingefügt sind, als kleidete das Jackett einen vollkommen verzerrten Körper.

Auf dem Boden der Galerie hat McCarthy ein Raster ausgelegt, Maßbänder verschiedener Längeneinheiten, ausgetragene Lederschuhe, aber auch Schulbücher, Prospekte und erneut Babypuppen bilden darauf Knotenpunkte.

Der taz plan erscheint auf taz.de/tazplan und immer Mittwochs und Freitags in der Printausgabe der taz.

McLaughlin Galerie: Alice Hauck & Amelie Plümpe, „38 plus 12“. Bis 16.10., Linienstr. 32, Di.–Sa. 12–18Uhr

Galerie Neu: Win McCarthy, „RULER“. Bis 23.10., Linienstr. 119, Di.–Sa. 11–18 Uhr

Sternschuppen – Pavillon für Hoch- und Trinkkultur: Vito Baumüller. Mindestens bis 10.10., Rosa-Luxemburg-Platz, Do.–So. 17–23 Uhr

System der Normen und Maßeinheiten

Es sind unterschiedlichste Vorrichtungen der Kategorisierung: Europa ist ein Land „voller Schlösser“, heißt es im US-amerikanischen Schulbuch, und in Finnland laufen die Kinder nur in Trachten herum. Hier in diesem paternalistischen Koordinatensystem (schließlich liegen hier nur männliche Schuhe, und auch für die Maßeinheit Inch hat wohl mal ein männlicher Daumen hergehalten), kann man sich dann seinen Standpunkt aussuchen.

Dabei dringen aus dem System der Normen und Maßeinheiten immer wieder individuelle Spuren von Win McCarthy selbst hervor: ein Selfie, persönliche Notizen. Was überwiegt in der eigenen Identität, das System der Messungen und Normen oder das des Individuums?

Es bedarf einer jugendlichen Überheblichkeit, um derartige Anleitungen zum fröhlichen Leben und lustigen Sterben zu machen, wie sie der tatsächlich junge Vito Baumüller, Kunststudent an der Wiener Angewandten, gerade im Pavillon neben der Volksbühne vorführt. Hauptstück in der Ausstellung des soeben erst in den Glasbau eingezogenen Sternschuppens ist eine Montur für den sicheren Tod.

Wie der mythische Botengott Merkur kann man sich Flügel umschnallen und eine Kappe aufsetzen, doch bestehen die Utensilien vielmehr aus Gewichten und Gleitsegeln mit frankensteinartiger Schnappmechanik.

Vor solch einem Abgang kann man aber noch mit Baumüllers Pieken in der Machart eines guten Opinel-Messers Delikates von der Straßenrinne aufklauben. Selbstverständlich zeigen diese Gegenstände auch Klassenunterschiede: Die Flanierpieke in der Länge eines Spazierstocks ist etwa für diejenigen gemacht, die sich nicht zu bücken brauchen im Leben. Ich habe viel gelacht.

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