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KunstraumstattWohncontainer

Das Exile Media Hub im brandenburgischen Schmerwitz will Geflüchteten einen guten Ort zum Leben bieten und sie schnell in Arbeit bringen. Möglich wird das durch eine linke Gemeinde. Ginge das auch anderswo?

Die Künstlerin Sareh Oveysi ist über ihre Arbeit mit den Be­woh­ne­rin­nen von Schmerwitz in Kontakt gekommen

Aus Schmerwitz und Wiesenburg/Mark Enno Schöningh, Frederik Eikmanns (Text) und Sophie Kirchner (Fotos)

Die Gäste sind überpünktlich, und das ist ein Problem. Kein unlösbares, aber eines, das von Klaas Glenewinkel Flexibilität verlangt. Wohl deshalb hetzt der 54-Jährige, das Hemd in die Jeans gesteckt, die kurzen grauen Haare nach hinten gegelt, von einem zum nächsten. Er stellt noch schnell die Lautsprecher auf, dann kann es losgehen.

Klaas Glenewinkel eröffnet an diesem Freitagabend eine Kunstausstellung im brandenburgischen Bad Belzig. Zu sehen sind Fotografien von Sareh Oveysi. Die 36-jährige Iranerin ist vor dem Regime in ihrer Heimat geflohen. Dort hat sie Frauen ohne Kopftuch fotografiert, nun sind es Bewohnerinnen von Schmerwitz, einem Dorf in der Nähe von Bad Belzig. Die meisten von ihnen sind weit über 50 Jahre alt. Und kommen lieber zu früh als zu spät.

Die Kunstausstellung findet in einem modernisierten Burgkeller statt. Statt Stühlen gibt es Barhocker und Stehtische, später soll ein DJ auflegen, der sonst in Berliner Clubs sein Geld verdient. Die Porträtfotos sind schwarz-weiß und ausdrucksstark. Entstanden sind sie wenige Monate nach Sareh Oveysis Ankunft in Schmerwitz. Die Shootings waren Akt, auch wenn man auf den Fotos nur Gesicht und Schultern sieht, sagt Oveysi in ihrer Eröffnungsrede auf Englisch. Irgendwie ist es ihr trotz sprachlicher und kultureller Barrieren gelungen, die älteren Frauen des kleinen Brandenburger Dorfs nackt vor die Linse zu bekommen. Oveysi wirkt schüchtern. Nach zwei Minuten verlässt sie die Bühne und übergibt das Mikrofon an Klaas Glenewinkel. Sie bekommt viel Applaus.

Ein Abend im Februar 2025, aber es fühlt sich an wie ein 2015-Moment: Deutsche Willkommenskultur trifft auf Geflüchtete, es gibt wohlwollende Annäherungsversuche von beiden Seiten. Im Burgkeller von Bad Belzig scheint es so, als hätte es die vergangenen 10 Jahre nicht gegeben – die Silvesternacht in Köln, die rassistischen Morde in Hanau, die endlosen Debatten um Obergrenzen und Integration. Der Hass und die Verbitterung da draußen sind weit weg.

Sareh Oveysi lebt seit Juli 2024 im Exile Media Hub, einer Flüchtlings­unterkunft in Schmerwitz, die von Klaas Glenewinkels NGO „Media in Cooperation and Transition“ geleitet wird. Sie richtet sich explizit an Kunst- und Medienschaffende und ihre Familien. In dem vierstöckigen Gebäude wohnen und arbeiten aktuell 37 Menschen, die sonst wohl in riesigen Erstaufnahmeeinrichtungen oder tristen Sammelunterkünften auf ihren Asylbescheid warten würden. Dort müssen Geflüchtete teilweise in riesigen Hallen oder in Wohncontainern mit Stockbetten leben. Im Exile Media Hub gibt es Einzel- oder Familienzimmer. Vor allem haben die Be­woh­ne­r:in­nen hier alles, was sie für ihre Arbeit brauchen: einen Podcastraum, Videoschnittplätze, Laptoparbeitsplätze in schalldichten Kabinen, ein Fitnessstudio, einen Kunstraum mit Staffeleien und Leinwänden, sogar Yogamatten.

Klaas Glenewinkel möchte, dass die Geflüchteten mit ihren Laptops, Kameras und Leinwänden da weitermachen, wo sie vor ihrer Flucht aufgehört haben. Sie sollen so schnell wie möglich in Jobs vermittelt werden. Aber das ist nur der erste Schritt. Das Exile Media Hub ist ein Modellprojekt. Geht es nach Glenewinkel, gibt es bald noch mehr solcher Unterkünfte, nicht nur für Kunst- und Medienschaffende, sondern beispielsweise auch für Pflegepersonal.

Eine humanere Unterbringung von Geflüchteten, verbunden mit einer schnellen beruflichen Integration, das klingt wie die institutionalisierte Form der Willkommenskultur. Aber geht dieses Konzept wirklich auf? Und wie viel Zukunft hat ein solches Projekt, wenn sich das gesellschaftliche Klima immer weiter nach rechts verschiebt und Gelder für Integrationsprojekte gestrichen werden?

Ein sonniger Tag Mitte März, der Winter ist vorbei, aber die Luft noch eiskalt. Julianne Becker, US-Amerikanerin, 46 Jahre alt, fährt in einem lila­farbenen Ford Fiesta am Bahnhof Bad Belzig vor. Sie hat in der Nähe von Schmerwitz ein Unternehmen gegründet – beim „workation retreat“ können gestresste Ber­li­ne­r:in­nen ihren Laptop im Grünen ausklappen – und kümmert sich im Nebenjob um das Wohlbefinden und die berufliche Zukunft der Geflüchteten. Sie überarbeitet Lebensläufe, sucht nach Bildungsinstitutionen mit Deutschkursen, ist eine Art Ein-Frau-Arbeitsagentur.

Auf der Autofahrt nach Schmerwitz erzählt Becker, wie sie die ersten Bewohner gefunden haben: „Klaas und eine Kollegin haben bei den Erstaufnahmeeinrichtungen angefragt, ob sie Jour­na­lis­t:in­nen auf ihr Angebot aufmerksam machen dürfen. Dabei ist ihnen aufgefallen, dass in keiner Einrichtung die Berufe der Geflüchteten erfasst werden. Also haben sie sich vor Ort umgeschaut und die Menschen angesprochen, die in den Aufenthaltsräumen künstlerisch tätig waren.“

So lernten sie Sareh Oveysi kennen und auch William Mnguni, der vor der Tür des Exile Media Hub wartet. Das Gebäude wurde zu DDR-Zeiten als Kaserne genutzt, in der Zwischenzeit aber renoviert. Aus einem offenen Fenster dröhnt Techno. Mnguni trägt schulterlange Dreads, einen lilafarbenen Kapuzenpulli und bittet herein. Im Eingangsbereich gibt es ein Büro für den Sicherheitsdienst, ein Büro für So­zi­al­ar­bei­te­r:in­nen und Laptoparbeitsplätze für die Be­woh­ne­r:in­nen und das Dorf. Auch andere Menschen aus Schmerwitz sind jederzeit willkommen, der Austausch gehört zum Konzept.

Mnguni geht den Flur entlang, vorbei an einer Pinnwand mit QR-Codes für den „Antrag Zulassung Integrationskurs“ und den „Antrag Krankenversicherung“ in das Kunstzimmer. Hier stehen Leinwände, Staffeleien und Farbpaletten. Das Media Hub sei für ihn ein „kleines Paradies“, sagt Mnguni.

Die Miete für das Gebäude und den Sozialdienst finanziert der Landkreis Potsdam-Mittelmark, wie bei jeder anderen Flüchtlingsunterkunft auch. In Schmerwitz kommen jedoch zusätzliche Kosten hinzu, etwa für die technische Ausstattung oder die intensive Betreuung bei der Arbeitssuche. Dafür hat das Land Brandenburg seit Projektbeginn vor rund einem Jahr zusätzlich 120.000 Euro zur Verfügung gestellt. Einzelne Workshops, etwa zu Audioproduktion oder künstlicher Intelligenz in der kreativen Arbeit, wurden von Unternehmen wie Amazon und Google gesponsert. Doch die Weiterfinanzierung wackelt derzeit, die Koalition aus SPD und BSW im Brandenburger Landtag hat noch keinen Haushalt für das Jahr 2025 verabschiedet. Klaas Glenewinkel will das Media Hub zur Not auf Spendenbasis weiterbetreiben.

Bevor William Mnguni nach Schmerwitz kam, war er in der Erstaufnahmeeinrichtung in Eisenhüttenstadt. Der Ort wirkte hoffnungslos, erzählt er, das Leben war wie ein Uhrwerk und die Menschen hatten keine Motivation weiterzumachen. „Hätten sie dort die gleichen Möglichkeiten wie wir hier, könnten sie Großes leisten“, ist der Südafrikaner überzeugt.

Im Exile Media Hub gibt es Einzel- oder Familienzimmer und alles, was die Be­woh­ne­r:in­nen für ihre Arbeit brauchen

Im Exile Media Hub hat Mnguni gemeinsam mit Sareh Oveysi einen Pod­cast produziert und Musikvideos veröffentlicht. Außerdem arbeitet er als Aushilfe in Julianne Beckers Unternehmen. „Den Arbeitsvertrag selbst zu ­schreiben, die richtigen Worte zu finden, mit denen das Arbeitsamt zufrieden ist, das war nicht einfach. Aber viele wissen gar nicht, dass man diese Leute einstellen kann“, sagt Becker. Gemeint sind Geflüchtete, die auf ihren Asylbescheid warten.

Tatsächlich ist die Arbeitsaufnahme kompliziert. Während der Zeit in den zentralen Aufnahmeeinrichtungen gilt für Geflüchtete ein striktes Arbeitsverbot, das in den meisten Fällen erst mit der Weiterverteilung in Gemeinschaftsunterkünfte endet. Grob gilt dann: Sofern sie nicht aus sogenannten sicheren Herkunftsländern kommen und die Agentur für Arbeit zustimmt, können sie normal arbeiten.

Allerdings gibt es von offizieller Seite kaum Vermittlungsangebote speziell für Geflüchtete. Großangelegte Programme des Bundesarbeitsministeriums richten sich nur an Geflüchtete, die bereits Bürgergeld beziehen. Das sind anerkannte Asyl­be­wer­be­r*in­nen sowie Personen aus der Ukraine, die ohnehin kein Asylverfahren durchlaufen müssen.

Zurück im Eingangsbereich verabschiedet ein Sicherheitsmann gerade eine Sozialarbeiterin. Auf Nachfrage sagt er, er habe hier noch nichts mit Rechten zu tun gehabt, nicht einmal mit beschmierten Wänden. „Ich habe die 90er Jahre miterlebt, da hat alles gebrannt“, sagt er. „Aber die Leute hier haben andere Sorgen, die Zukunft, die Sicherheit, die Preise, das ganze Programm.“

William Mnguni dagegen hat schon mit Rechten zu tun gehabt, glaubt er zumindest. Nicht in Schmerwitz, wo jeder jeden kennt, sondern in Wiesenburg, dem größten Ort der Gemeinde. Er sei mit einigen Bewohnern in den Supermarkt gegangen und habe draußen die Fahrräder angeschlossen. Als sie zurückkamen, seien ihre Reifen zerstochen gewesen, die der anderen Räder links und rechts aber nicht.

In Wiesenburg steht auch das Rathaus, in dem Bürgermeister Marco Beckendorf arbeitet. Schmerwitz und Wiesenburg liegen knapp außerhalb des Berliner Speckgürtels, die Fahrt mit der Regionalbahn zum Berliner Hauptbahnhof dauert etwas länger als eine Stunde. Beckendorf ist 43 Jahre alt, er trägt eine blaue Krawatte und eine blaue Chinohose, in der ein weißes Hemd steckt. In der Gemeindevertretung Wiesenburg/Mark hat er etwas, wovon viele progressive Po­li­ti­ke­r:in­nen nur träumen können: eine linke Mehrheit. Die Linkspartei, für die er angetreten ist, brachte es in der Gemeindewahl von Juni 2024 zusammen mit Grünen und SPD auf 54,1 Prozent.

Für William Mnguni entsteht in Schmerwitz ein „kleines Paradies“

Marco Beckendorf war es, der das Projekt Exile Media Hub in der Gemeinde angestoßen hat. Für ihn ist das Hub ein Rädchen in einem großen Plan, den er „aktive Regionalentwicklung“ nennt. Die Gemeinde restauriert ein ehemaliges VEB-Gelände, in das nun Kleingewerbe, Ateliers und Hobbywerkstätten einziehen sollen, versucht Projekte wie den Co-Working-Space von Julianne Becker oder Wohnanlagen für gemeinschaftliches Wohnen in der Gemeinde anzusiedeln. Der ganze Plan ist auf einer digitalen Anzeige am Eingang des Rathauses zu sehen.

Drinnen, im zweiten Stock des Gebäudes, befindet sich Beckendorfs Büro. Den größten Teil des Raumes nimmt ein großer Konferenztisch ein. Beckendorf ist gebürtiger Brandenburger, hat aber auch lange in Berlin gelebt. Er will mit dem Exile Media Hub zu einem anderen Narrativ von Brandenburg beitragen, das gibt er unumwunden zu. Brandenburg, das soll auch für offene Menschen stehen, für funk­tionierende Gemeinden, ein lebenswertes Leben auf dem Land.

In einer Rezession müsse die öffentliche Hand besonders stark eingreifen, sagt Beckendorf, der erst Regionalwissenschaften und dann Steuern und Finanzen studierte. In den vergangenen Jahren habe es in seiner Kommune eine Art zweite Wende gegeben. „Die Investoren aus den alten Bundesländern haben ihre Zelte abgebrochen, nachdem keine Fördermittel mehr geflossen sind.“ Er versuche nun, die Gemeinde wiederzubeleben. Sein Ziel seien 4.300 Einwohner, derzeit sind es rund 4.200. Um diese Marke zu erreichen, braucht es vielleicht auch die Geflüchteten.

Beckendorf ist seit 2015 Bürgermeister. In der vergangenen Legislatur­periode wehrte sich die Gemeinde noch gegen die Vorgabe des Landkreises Potsdam-Mittelmark, 110 Geflüchtete in Schmerwitz aufzunehmen. Die Argumente: Man habe nicht das geeignete Personal, um die Menschen zu unterstützen, man könne hier keine Arbeit finden, die Anbindung sei schlecht und der Weg zu den Deutschkursen zu weit, außerdem wollten die Menschen gar nicht herkommen. Die Argumente gelten teilweise heute auch für das Exile Media Hub. Doch diesmal hat sich Beckendorf für die Unterbringung eingesetzt. Auch wegen der Größenordnung: 35 bis 40 Personen seien machbar, 110 zu viel, sagt der Bürgermeister.

Um die Schmer­wit­ze­r:in­nen zu überzeugen, luden Beckendorf und Klaas Glenewinkel zu einer informellen Abstimmung vor dem Gebäude des heutigen Media Hub. Von den 200 Ein­woh­ne­r:in­nen seien etwa 30 gekommen, erzählt Beckendorf. Von denen hätten sich 22 der Stimme enthalten und 8 dafür gestimmt. Gegenstimmen habe es also keine gegeben. „Schmerwitz ist ein sehr sozial geprägter Ort, der durch viel Zuzug schon immer ein bisschen alternativ war“, sagt Beckendorf.

Der Ausländeranteil in der Gemeinde Wiesenburg/Mark liegt bei knapp 8 Prozent. Auf die rund 4.200 Ein­woh­ne­r:in­nen kommen 321 Ausländer:innen, davon ungefähr 66 aus der EU. Das ist im Vergleich zu Großstädten wie Berlin oder Köln sehr wenig, liegt aber im Brandenburger Durchschnitt. In Schmerwitz leben neben den Kunst- und Medienschaffenden im Media Hub auch ukrainische Geflüchtete, Beckendorf schätzt den Ausländeranteil im Dorf auf etwa ein Drittel. Das ist mehr als in den meisten Großstädten.

„Es geht um die Leute, die bei uns sein wollen, die es schaffen wollen. Mit denen lässt sich was reißen“

Klaas Glenewinkel, Initiator des Exile Media Hub

Das stößt einigen auf, vor allem der AfD. Im Landkreis Potsdam-Mittelmark stellte die AfD-Fraktion eine Anfrage im Kreistag, die der taz vorliegt. Darin enthalten sind Nachfragen zur Finanzierung des Exile Media Hub, zur Arbeitsmarktintegration der Be­woh­ne­r:in­nen sowie die Bitte um detaillierte Angaben zu Herkunft, Rechtsstatus und Deutschkenntnissen. Die Fraktion möchte zudem wissen, inwieweit sich die Be­woh­ne­r:in­nen für Deutschland einsetzen und mit wem sie sich vernetzen.

Die Bundestagsfraktion der AfD hatte bereits im Dezember eine Kleine Anfrage zur Förderung des Exile Media Hub gestellt. Darin wird der Bundestag darauf hingewiesen, dass sich Glenewinkels NGO abfällig über die AfD geäußert habe, weil das unterdurchschnittliche Wahlergebnis der Partei bei der Wahl zur Gemeindevertretung in Wiesenburg auf der eigenen Homepage mit „Noch ein Grund weshalb wir uns in der Gemeinde so wohl fühlen“ kommentiert wurde.

Von den Rechtsextremen will sich Klaas Glenewinkel aber nicht aufhalten lassen. Im Gegenteil: Er plant, das Projekt zu erweitern. Vor Kurzem sei er im Krankenhaus Bad Belzig gewesen, erzählt er Mitte April am Telefon. „Ich bin total erschrocken, wie drastisch sich der Fachkräftemangel zeigt. Es fehlen wirklich überall Leute.“ Seitdem habe er zusammen mit der Krankenhausverwaltung erste Pläne erarbeitet, wie auch Pfle­ge­r:in­nen unter Geflüchteten rekrutiert werden könnten.

Die Idee: Das Krankenhaus bildet die Geflüchteten aus, das Exile Media Hub vermittelt eine Unterkunft. Auch andere Gesundheitseinrichtungen in der Region will Glenewinkel kontaktieren. Er geht davon aus, dass die Arbeitsvermittlung relativ kostengünstig umgesetzt werden könnte. Pro 30 Geflüchtete brauche es nicht mehr als eine zusätzliche Stelle, um Absprachen mit potenziellen Arbeitgebern zu organisieren und die Be­rufs­ein­stei­ge­r:in­nen zu betreuen.

Einst Kaserne, heute Hoffnungsort: das Exile Media Hub in der Gemeinde Wiesenburg/Mark, etwa 100 Kilometer südwestlich von Berlin

„Wir wollen kein Projekt nur für gebildete Geflüchtete aus oberen Schichten sein“, sagt Glenewinkel. „Warum nicht auch Pfleger und Pflegerinnen im Haus unterbringen oder Kfz-Mechaniker?“ Bislang richtet sich das Angebot an ausgebildete Jour­na­lis­t:in­nen und studierte Künstler:innen. Die Personalnot örtlicher Unternehmen wird mit ihnen nicht gelindert. Dass das aber prinzipiell möglich sei, davon ist Glenewinkel überzeugt. Im Grunde gehe es nur darum, eine Person einzustellen, die den Kontakt zwischen den Menschen in den Unterkünften und den Unternehmen in der Region herstellt, sagt er. „Man muss nur alle Akteure zusammenkoppeln.“

Ist es wirklich so einfach? Bei Fachleuten kommen Glenewinkels Ideen gut an. Das Modell Schmerwitz sei „ein guter Startpunkt“, sagt der Soziologe Denis Zeković vom Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (Dezim). Man könne das durchaus auch andernorts gewinnbringend aufgreifen – „allerdings nicht eins zu eins“. Vielmehr müsse es darum gehen, die zentralen Lehren aus Schmerwitz zu übertragen. Zum Beispiel, indem man mehr Personal für die berufliche Betreuung der Geflüchteten einstelle. In der lokalen Verwaltung der Kommunen könnten die Abteilungen für Integration und die Wirtschaftsförderung besser zusammenarbeiten.

Viele andere Hürden auf dem Weg in den Arbeitsmarkt blieben jedoch bestehen, wenn das Modell Schmerwitz in größerem Maßstab eingeführt würde, sagt Zeković. Fehlende Deutschkenntnisse etwa seien in vielen Fällen ein Problem, insbesondere wenn in kleinen Betrieben die Arbeitgeber kein gutes Englisch sprechen. Die vorige Bundesregierung kürzte die Mittel für Sprachkurse dramatisch. Oder der psychische Druck, der auf den Geflüchteten laste, solange ihr Asylverfahren läuft. „Da kann sich kaum jemand richtig konzentrieren.“ Und auch die Anerkennung von Berufsqualifikationen funktioniere weiterhin nur holprig. „Oft haben die Leute im Herkunftsland jahrelange Berufserfahrung, aber keine formale Ausbildung mit Nachweis“, sagt Zeković.

Tatsächlich ist die Bilanz der Vermittlungsversuche in Schmerwitz bisher durchwachsen. Nur ei­ne:r der Be­woh­ne­r:in­nen hat den Sprung in die Festanstellung geschafft. Viele andere aus der ersten Bewohner:innen-Generation wurden für einzelne Projekte bei Firmen in der Region angeheuert. Bei der Lokalzeitung Brandenburger Wochenblatt schreiben die Be­woh­ne­r:in­nen regelmäßig eine Kolumne, in der sie aus ihrem Leben berichten. Und Radio Potsdam sendet einmal im Monat eine Livesendung, die einer der Geflüchteten aus Schmerwitz moderiert. „Sehr stolz“, sei er auf all das, sagt Klaas Glenewinkel, räumt aber ein: „Wir hatten gehofft, dass die Vermittlung in feste Arbeitsplätze schneller und besser funktioniert.“

Austausch gehört zum Konzept. Aber auch für ruhige Arbeitsstunden gibt es Platz

Neben anfänglichen Orientierungsschwierigkeiten und Sprachbarrieren habe das auch mit dem hohen bürokratischen Aufwand zu tun. „Grundsätzlich ist das Interesse bei den Firmen groß“, sagt Glenewinkel. „Aber alle haben Angst vor dem Papierkram.“ Die Agentur für Arbeit prüft jeden Arbeitsvertrag von Geflüchteten, um Ausbeutung zu verhindern. Hinzu kommt, dass bei Asyl­be­wer­be­r:in­nen immer die Gefahr besteht, dass ihr Schutzantrag negativ beschieden wird. Unter Umständen wird ein gerade mühsam eingearbeiteter Angestellter dann sogar abgeschoben.

In Umfragen spricht sich inzwischen eine Mehrheit der Deutschen gegen das individuelle Asylrecht aus. Zwar ist noch nicht klar, wie weit die neue Bundesregierung unter Friedrich Merz bei den Zurückweisungen Asyl­suchender wirklich geht. Noch könnten die EU-Nachbarländer oder der Europäische Gerichtshof die Pläne vereiteln. Doch der Zeitgeist ist flüchtlingsfeindlich. Ist ein Projekt wie das Exile Media Hub da nicht hoffnungslos aus der Zeit gefallen?

Es ist das erste Mal im Telefongespräch, dass Glenewinkel nur zögerlich antwortet. „Die Unterkünfte sind immer noch voll“, sagt er und wird dann doch wieder kämpferisch: „Es geht um die Leute, die bei uns sein wollen, die es schaffen wollen. Mit denen lässt sich was reißen.“

Für die Be­woh­ne­r:in­nen im Media Hub geht das Leben weiter wie gewohnt. Zweimal pro Woche fahren sie zum Deutschkurs nach Berlin, wer kann, geht zum Arbeitsamt. Alle warten auf ihren endgültigen Asylbescheid. William Mnguni arbeitet als Aushilfe bei Julianne Becker, macht Musik und arbeitet an einem Podcast. Sareh Oveysi eröffnet Mitte Mai ihre nächste Fotoausstellung und sucht nach Möglichkeiten, einen neuen Dokumentarfilm über Liebe und Freiheit zu zeigen. Sie sagt: „Ehrlich gesagt habe ich manchmal das Gefühl, dass in kleinen Dörfern eine tiefere Verbundenheit herrscht – etwas Realeres als in großen Städten. Diese Orte wirken auf mich heilend; manchmal möchte man einfach nur gut sein, selbst in einem stillen Winkel der Welt.“

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