Kunstpakete der Noroomgallery: Vernissage mit der Nachbarin
Statt einer Ausstellung betreibt die Hamburger Noroomgallery derzeit einen Versand von Kunstpaketen. Die taz hat sich eines bestellt.
Ein paar Tage liegt es unausgepackt da. Auf dem Schränkchen im Flur. Schlicht und unauffällig sieht es aus. Ein flaches Paket aus Pappe, etwas größer als ein Taschenbuch. Kunst soll hier drin sein, so hat es die Hamburger Noroomgallery angekündigt, wo ich das Paket bestellt habe. Oder zumindest der Auftakt dazu.
„Im Auspacken entfaltet sich die Kunst – die Paket-Empfänger*innen werden zum Teil der Kunst, zum Kurator – mehr zum Entfalter, als zum Pfleger – der die Kunst vor Ort, zu Hause mit vielleicht einem weiteren Gast auspackt und entdeckt“, so heißt es in der Presseankündigung und: „Kunst entsteht hier beim Auspacken, in dem Moment, in dem Sie und die je ganz eigene Paket-Idee aufeinandertreffen.“ Das klingt in diesen bleiern ereignisarmen Zeiten so großartig, und verheißungsvoll, dass ich das Paket vor Vorfreude erst einmal ein paar Tage unangerührt liegen lasse.
Dass die Kunst nach Hause kommt, kommen kann, realisierte die Hamburger Noroomgallery bereits im Jahr 2002 während der Artgenda. Damals hatten die 44 Biennale-Teilnehmer*innen einen Nachmittag oder Abend lang 44 Hamburger Wohnzimmer gestaltet.
Seit ihrer Gründung im Jahre 1997 entwickelt die Hamburger Noroomgallery Präsentations- und Vermittlungsformen jenseits des White Cubes und sucht hierfür jeweils den die Idee verstärkenden und tragenden Ort: Wie etwa das Hotelzimmer bei der Aktion „Hotel Hamburg – Das größte Hotel der Stadt“ im Sommer 2014 oder den „Hamburger Hutladen“ (2017) mit mehr als 33 von Künstler*innen gestalteten Hüten oder den seit circa 15 Jahren stattfindenden „Kunsthasserstammtisch“. Bei dieser Programmserie „wird allerdings gar nicht über Kunst geschimpft“, so No-Room-Galerist Jan Holtmann. Stattdessen bestehe „die Kritik darin, andere Um- und Zugangsformen mit und durch Kunst auszuloten.“
Kein Wunschkonzert
Jetzt also die noch bis Anfang März bundesweit bestellbaren Künstler*innen-Pakete. Die Idee dafür entstand während des ersten Lockdowns im Frühjahr. Wie so viele Kunst- und Kulturschaffende, trieb auch Holtmann die Frage um, was diese Situation für eine Bedeutung für die Kunst und Kultur hat. So entstand dieses Projekt, das in Zeiten des Lockdowns die Fahne der Kunst hochhält. Denn „Kunst darf nicht ausfallen. Kunst ist immer noch möglich. Kunst ist immer noch wichtig.“ Und sie braucht einen Raum. Da dieser zurzeit nicht öffentlich zugänglich ist, „kommt die Kunst nach Hause.“
Die Liste der daran beteiligten Künstler*innen liest sich so divers wie vielversprechend: Dazu gehören John Bock und Mariola Brillowska, Armin Chodzinski, Verena Issel, genauso wie Tobias Rehberger oder Bogomir Ecker – anerkannte Größen der deutschen Szene. Aber „die Künstler*innen-Pakete sind kein Wunschkonzert“. Wenn Holtmann diesen Satz ganz ernst und trocken sagt, klingt er fast wie eine Warnung. Und erläuternd fügt er hinzu: „Man kann nicht anrufen und sagen, ich hätte gerne das Paket von John Bock. Vielleicht steht im Paket mit dabei, von wem es ist. Aber im Vorfeld ist das nicht geklärt. Ich kriege Kunst nach Hause, aber nicht ‚Kunst von …‘“
Bei der telefonischen Bestellung wird überlegt, welches Paket für den Empfänger passen würde. Dass sich Kunst einstellt, verspricht die Noroomgallery dabei nicht. „Da sind offene Stellen, da ist vollkommen unklar, ob das ins Leere läuft, oder ob das greift“, sagt Holtmann. Schließlich gehe es nicht darum, Werke, Bilder und Skulpturen zu verschicken. Vielmehr werde mit jeder Paket-Idee ein Angebot gemacht und untersucht, inwieweit „das Paket“ selbst ein Kunstgenre sein kann, eine ganz eigene Kunstform, die einen ganz besonderen Umgang und Rezeption ermöglicht.
Dass „das Paket“, zumindest unausgepackt, für mich kein eigenes Kunstgenre darstellt, merke ich nach zwei Tagen. Dann wird meine Neugier zu groß. Dann will ich wirklich sehen und erleben, „wie sich im Auspacken die Kunst entfaltet“. Also nehme ich den flachen Karton von dem Schränkchen im Flur, klingele bei meiner Nachbarin und lade sie großspurig zu einer „Vernissage“ bei mir ins Wohnzimmer ein.
Doch eigentlich muss dafür ja eine Ausstellung oder zumindest ein Kunstwerk her. Womit wir uns bereits in eine der grundlegenden Kunst-Präsentationsfragen hineinmanövrieren. Wann ist denn eigentlich diese Ausstellung eröffnet? Dann, wenn wir das Paket öffnen? Dann, wenn wir die Kunst erlebt haben? Oder war die Ausstellung vielleicht nicht sogar schon eröffnet, mit der Entscheidung, an den Künstler*innen-Paketen teilzunehmen?
Wir fangen also an. Und im Paket selbst, dieses stammt von Verena Issel, einer in Deutschland lebenden, norwegischen Objekt- und Installationskünstlerin, finden wir: mehrere Holzringe verschiedener Größen, gelbes und weißes Garn, einen grünen Spülschwamm und eine Bau-Anleitung für ein Mobile. Als „Kunstfreund/in“ werden wir begrüßt und mit einer Skizze sowie freundlichen Instruktionen durch die Konstruktion eines Mobiles geführt.
Als das Grundgerüst steht, wird es in der Wohnung geschäftig. Denn jetzt sollen wir Dinge zusammensammeln. Zum Beispiel „einen Gegenstand, den du liebst“, „eine nette Nachricht zu einem Fächer gefaltet“, „einen kleineren Gegenstand, den du verabscheust und nun mit deinem Lieblingsparfum besprühst“, „einen schmalen langen Gegenstand, der so lang ist, wie dein Fuß“, „einen kleineren Gegenstand, der deine Augenfarbe hat“ und auch ein „Objekt, das für dich das Unglück der Welt ausdrückt“.
Wir laufen in der Wohnung hin und her, suchen in den Kammern und Küchenschubladen, überlegen und erzählen uns Geschichten über die Dinge, die wir für das Mobile finden und auswählen. Wir sprühen Parfüm auf eine Packung Sekundenkleber, (den wir verabscheuen, weil er uns blitzschnell zu fixieren vermag), zerschneiden und falten Papier, finden ein indisches Räucherstäbchen, das so lang ist wie mein Fuß, kramen einen blauen Eislöffel hervor und einigen uns darauf, dass eine leuchtend rote Plastiktüte genau das Objekt ist, dass das Unglück der Welt darstellt. Später zerrupfen wir den mitgelieferten Topfschwamm und basteln daraus ein Krokodil, noch später knoten wir alles sorgfältig an- und untereinander, hängen die Dinge und ihre Geschichten auf.
Zwei Stunden lang sind wir in dieses herrliche Kunstprojekt vertieft, versuchen dem Konzept von Verena Issel bestmöglich zu entsprechen, die uns wie unsichtbar über die Schulter zu schauen scheint. Wir tauschen Erinnerungen aus, Gedanken, Überlegungen und sind gerades selbst zu Kunstschaffenden geworden; haben verschiedenen Dingen eine neue Bedeutung gegeben, sie zu einer eigenen Komposition zusammengefügt. Der Umgang mit den Gegenständen hat Diskussionen ausgelöst, am Mobile hängend nehmen sie aufeinander Bezug, sind schwebende Erinnerungsträger.
Künstler*innen-Pakete – ein Projekt der Noroomgallery, Hamburg. Bestellung eines Künstler*innen-Pakets:
☎ 0176 / 92 24 49 36
Das fertige Mobile hängt und dreht sich im Luftzug, erzählt leicht und poetisch seine ganz eigene Geschichte – und ist Kunst. Wir sind glücklich und auch ein bisschen stolz. Nur die Vernissage kann nun leider nicht mehr stattfinden. Die Polizei kommt uns mit Megafon-Durchsagen dazwischen. Auf dem Heiligengeistfeld wird an diesem Abend eine Fliegerbombe entschärft. Alle Anwohner*innen müssen evakuiert werden. Und die Ausstellung hat nun keine Besucher*innen mehr.
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