Kunstmesse Contemporary Istanbul: Einmal war ich ein Diktator
Depression, Sarkasmus und Durchhaltewillen: Die CI-Kunstmesse in Istanbul liebt den Kitsch und ist ein Stimmungsbarometer nach der Wahl.
„Imitation einer Zeitung“. Die Idee hätte von den Yes Men sein können, wegen der Ende vergangener Woche in Istanbul die Polizei ausrückte. Mit einer Razzia beschlagnahmte sie die Ausgaben zweier Zeitungen namens Özgür Bugün und Özgür Millet. Oppositionelle Medienmacher hatten mit den Fake-Editionen der Zeitungen Bugün und Millet dagegen protestiert, dass die Regierung diese kurz vor den Parlamentswahlen von Sicherheitskräften hatte stürmen und die Redaktion auf Linie bringen lassen. „Özgür“ bedeutet „frei“.
Ganz ist der Freiheitswille also noch nicht verschwunden in der Türkei. Auch wenn Präsident Erdogan und seine AK-Partei nach ihrem überraschenden Wahlsieg triumphieren. Und als Ausdruck dieses Drangs war wohl das Happening wenige Kilometer Luftlinie von der Polizeiaktion zu deuten. Vier Tage lang feierte die Kunstmesse „CI – Contemporary Istanbul“ vergangene Woche im Kongresszentrum in der Nähe des Taksim-Platzes ihr zehnjähriges Jubiläum.
Die Schau, die der Tourismusunternehmer Ali Güreli 2005 aus der Taufe hob, ist ein Paradox. Mit einer aggressiven Marketing-Offensive hat Güreli sein „Baby“ unter die zehn größten Messen der Welt gehievt. Rund 75.000 Besucher und über 100 Galerien kamen diesmal. Für den Kunstmarkt hat sie damit die Aufholjagd zu den zehn führenden Weltwirtschaften vorweggenommen, die Erdogan der Türkei bis zum 100. Republikjubiläum 2023 verordnet hat.
Diesen Rekord verdankt die Messe aber weniger ihrer Qualität. Auf der CI regieren farbenfroher Kitsch und schillernde Kostbarkeiten. Kaum ein Besucher, der nicht vor Carole Feuermans 160.000 Dollar teuren „Christina“, der Skulptur einer Frau im geblümten Badeanzug, ein Selfie schoss. Die Messe boomt, weil sie einer Gesellschaft unter Formierungszwang als Ventil dient.
Echte Entdeckungen? Selten
In Antalya dürfen die Besucher des Filmfestes nicht mehr in zerfetzten Jeans und T-Shirt erscheinen. In Adana darf sich ein anderes nicht mehr nach dem Nationalgetränk Raki nennen. Da wächst das Bedürfnis nach einer unkonventionellen Öffentlichkeit mit ästhetischen Überraschungswerten. Kein Wunder, dass sich die Besucherschlange zur CI-Vernissage vergangenen Donnerstag bis hinauf ins Nobelviertel Nişantaşı zog.
Echte Entdeckungen auf diesem buntscheckigen Basar sind selten. In diesem Jahr überzeugte der eigenwillige Ihsan Oturmak. Seine Ölbilder stummer Menschengruppen rufen das gestörte Verhältnis von Individuum und Masse in der Türkei auf. Der 28-jährige Kurde fand nur über den Umweg der „emerging“ Karavil-Galerie aus London den Weg ins Kunstgeschehen seiner Heimat. Politische Kunst machte sich diesmal rar.
Mit Gasmasken aus Fell demonstrierte die pakistanische Künstlerin Mehwish Iqbal, wie solche Accessoires Teil des Lebensalltags geworden sind. Die Istanbuler Galerie Sanatorium bot eine Serie von Porzellantellern mit den aufgebrannten Typenbezeichnungen von Angriffsdrohnen feil. Ludovic Bernhardt prangert damit den immerwährenden Krieg an, den diese lautlosen Wunderwaffen eingeleitet haben.
Manchmal war vorauseilende Vorsicht die Mutter der Provokation. Xavier Laboulenne aus Berlin hatte die homoerotischen Comics von Gengoroh Tagame mit grauem Seidenpapier verhängt. Dass vor allem Besucherinnen den Schleier vor den Werken abenteuerlich penetrierter Männer lüfteten, war womöglich kein Zufall. In der Machogesellschaft Türkei werden fast täglich Frauen umgebracht oder vergewaltigt. Auf Tagames Bilder konnten sie betrachten, wie das starke Geschlecht zum Objekt sexueller Gewalt wird.
Gemischte Gefühle am Bosporus
Immerhin funktioniert die Messe als Stimmungsbarometer nach den Wahlen. „Wie konservativ dieses Land doch ist“, seufzte Bige Örer, die Direktorin der Istanbul-Biennale. „Etwas Besseres als das iranische Modell kann uns gar nicht passieren“, frotzelte dagegen der Istanbuler Galerist Kerimcman Güleryüz über die anschwellende Auswanderungsdebatte unter türkischen Intellektuellen und der liberalen Bourgeoisie.
„Eine reiche Diaspora“, argumentiert er, „kann der türkischen Kunst besser helfen.“ „Nach den Wahlen hatte ich natürlich auch so einen Moment absoluter Hoffnungslosigkeit“ gestand die junge Künstlerin Hera Büyüktaşçıyan. „Bis ich begriffen habe, dass sie genau das wollen. Dagegen hilft nur, weiter kreativ zu sein, Kunst zu machen.“
Mit derart gemischten Gefühlen stellen sich am Bosporus also alle auf „four more years Erdogan“ ein. Der Istanbuler Maler Burhan Kum hat das Trauma auf den Punkt gebracht. „Once I was a dictator“ heißt sein neuestes Werk, das er am Stand von Güleryüz‘ Galerie „The Empire Project“ präsentierte.
Auf dem Schwarz-Weiß-Bild aus Tusche und Öl brennen die Ufer des Bosporus, ein Schiff versinkt und ein Stadtteil explodiert, während sich vor der Katastrophenkulisse seelenruhig eine ottomanisch gewandete Figur fläzt. Ob jetzt die Polizei wegen der „Imitation“ eines römischen Kaisers ausrückt?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!