: Kunstgalerie droht ins Wasser zu fallen
Das Hamburger Kunst- und Kulturfestival „Millerntor Gallery“ zieht jedes Jahr Tausende Besucher an. Weil Fördermittel weggebrochen sind, steht es jetzt vor dem Aus

Von Quirin Knospe
Eigentlich ist es in den Sommermonaten im Millerntor-Stadion des FC St. Pauli sehr still – keine Stadionsprecher, keine Fan-Gesänge, keine Trommeln sind zu hören. Nur an einem Juli-Wochenende jeden Jahres sieht es anders aus: Dann findet das Hamburger Kunst- und Kulturfestival „Millerntor Gallery“ statt. Allerdings könnte das diesjährige Festival das vorläufig letzte gewesen sein, wie die Veranstalter befürchten.
Seit der Premiere im Jahr 2011 widmen die entwicklungspolitische Non-Profit-Organisation „Viva con Agua“ und der FC St. Pauli das Festival dem Thema Wasser und Hygiene. Mittlerweile ist die Veranstaltung eine feste Institution der Hamburger Kulturszene – gewissermaßen das künstlerische Flaggschiff der Non-Profit-Organisation, die es geschafft hat, Leitungswasser als eine Art urbanes Lifestyle-Produkt zu vermarkten.
In Form von Kunst, Musik, Workshops und Führungen soll an vier Festivaltagen die Bedeutung der wertvollen Ressource thematisiert werden. Die gesammelten Spenden und Erlöse gehen an globale Wash-Projekte (Wasser, Sanitär und Hygiene) etwa in Uganda und Südafrika.
In diesem Jahr lockte die Kulturveranstaltung unter dem Motto „Art creates Water“ vom 10. bis 13. Juli Tausende Menschen in das Stadion am Heiligengeistfeld. Neben 30 Musiker:innen, wie Mine, Betterov oder Kafvka, war auch die Buchautorin und Klimaaktivistin Luisa Neubauer in einem Programmpunkt vertreten. Bildende Künstler:innen verwandelten die Wände des Umlaufs sowie die Aufgänge der Haupt- und Südtribune des Fußballstadions in eine Ausstellung.
Obwohl das soziale Kulturfestival laut eigenen Aussagen jedes Jahr rund 17.000 Besucher:innen zählt, steht die Zukunft der Millerntor Gallery auf der Kippe. Die Veranstalter sprechen sogar von einem „Wendepunkt“. Denn derzeit sei es noch vollkommen unklar, ob das Festival im nächsten Jahr ins Wasser fällt. Bereits in den Jahren 2020 und 2021 hatte das Festival wegen der Coronapandemie ausfallen müssen. Und mit der derzeitigen Strategie sei es jedenfalls im nächsten Jahr „nicht möglich, einfach so weiter zu machen“, erklärt Agnes Fritz, Veranstalterin und Geschäftsführerin von „Viva con Agua Arts“.
Für das diesjährige Festival waren bereits im vergangenen Dezember Fördermittel weggebrochen, im Frühjahr folgte die Absage weiterer Projekte und Finanzmittel. Ab diesem Zeitpunkt sei die „finanzielle Notsituation“ der Veranstaltung bereits absehbar gewesen, sagt Fritz, auch die Gefahr einer Insolvenz stand im Raum: „Dementsprechend sind wir dann erst einmal laut geworden.“
Das Festival finanziert sich neben Ticketverkäufen, Spenden und Sponsoren durch den Verkauf der ausgestellten Kunstwerke. Die Erlöse seien jedoch nicht kalkulierbar, sagt Fritz. Die Künstler:innen entscheiden selbst, welchen Anteil am Verkaufspreis ihrer Werke sie an die Wasser-Projekte spenden wollen. „Es kann ja nicht sein, dass wir in prekären Zeiten der Kunst- und Kulturszene noch etwas kostenfrei abfordern“, sagt die Festival-Chefin, schließlich wolle man die Kunstszene unterstützen.
Um dennoch so viele Spenden wie möglich zu sammeln, setze man auf das Prinzip einer „wandernden Ausstellung“, bei der jedes verkaufte Kunstobjekt durch ein neues ersetzt werde. Mehr als 100 lokale und internationale Künstler:innen stellten Mitte Juli ihre Werke, die meisten im Streetart-Stil, im Millerntor-Stadion aus.
Staatliche Unterstützung für das Kulturfest erhalte man nur „im kleinen Umfang“, etwa für einzelne Ausstellungen. Dieses Jahr war es ein Projekt zum Thema Menstruation. Mit einer hohen Fördersumme durch die Kulturbehörde, im Jahr 2024 etwa war das Festival Teil des offiziellen Fußball-EM-Programms, könne der Kunstverein nun allerdings nicht rechnen.
Öffentliche Förderungen seien meistens an strenge Fristen gekoppelt, die sie aufgrund des Veranstaltungsortes gar nicht einplanen könnten. „Wir müssen immer auf den Fußball warten“, sagt Fritz, denn ob der FC St. Pauli sein Stadion in den Sommermonaten für das Training, Relegations- oder Übungsspiele benötige, könne oft nicht Monate im Voraus geplant werden.
Dass die Millerntor Gallery nun rechtzeitig die Notbremse ziehen wolle, sei zwar von außen positiv aufgenommen worden, sagt Fritz, bei „Viva con Agua“ sei die Situation jedoch angespannt. Von einer möglichen Festival-Pause wären viele Angestellte betroffen, genauso wie zahlreiche Ehrenamtliche, die dabei helfen, das Bühnen- sowie Kunstprogramm zu kuratieren und mitzugestalten.
Agnes Fritz, Geschäftsführerin von „Viva con Agua Arts“
Der FC St. Pauli verhält sich noch zurückhaltend. Vereinspräsident Oke Göttlich war auf taz-Anfrage für ein Interview nicht zu erreichen. Das Thema sei derzeit auch nicht so akut, sagt ein Pressesprecher. Der Verein wolle erst einmal prüfen, wie es weitergehen könnte.
Fritz zeigt sich dennoch zuversichtlich, eine finanzielle oder organisatorische Unterstützung des Bundesliga-Vereins zu bekommen und verweist auf die gemeinsame Pressekonferenz kurz vor der „Millerntor Gallery“. Damals habe der Chef des Kiezclubs Gesprächs- sowie Unterstützungsbereitschaft signalisiert. Auch die Kulturbehörde habe Gesprächsbereitschaft bekundet, sagt Fritz.
Die Veranstalterin hofft hier auf eine Förderung, die die Planungsumstände des Vereins berücksichtigt. Von einer Bekannten aus dem Hamburger Kulturbetrieb habe sie einmal gesagt bekommen, dass Hilferufe aus der Szene meistens erst dann wahr genommen werden, wenn sie von der Presse aufgegriffen werden. Von der öffentlichen und finanziellen Unterstützung hängt es nun ab, ob das Kulturfestival im nächsten Jahr seinen 16. Geburtstag feiern kann.
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