Kunstedition für Amnesty International: Der Kampf um freie Sicht
Die Edition „Art 19 – Box One“ von Amnesty International ist ein Best-of. KünstlerInnen von Kiki Smith bis Gerhard Richter haben dazu beigetragen.
Die Edition, derzeit noch im MeCollectors Room in der Auguststraße in Berlin zu sehen, ist bezwingend. Der Einfallsreichtum ihrer Beiträge überrascht, in ästhetisch-medientechnischer wie gesellschaftspolitisch-kritischer Hinsicht. Die amerikanische Bildhauerin Kiki Smith etwa hat, ganz entgegen ihrer sonstigen Vorliebe für Frauenfiguren, einen nackten, stark behaarten, sitzenden Mann gezeichnet, dem sie in mühsamer Handarbeit ausgeschnittene Papierblüten übergestreut hat.
Ein grandioses, paradoxes Sujet, denn in der Kunst sitzen sonst nur Frauen nackt inmitten von Blumen. Und dann ist es ein abgestandenes Motiv zum Davonlaufen. Aber der Mann, der diese Position einnimmt, wirkt rührend und komisch; wie ein Fragezeichen sitzt er da und scheint zu sagen: Überleg doch mal, was ich dir mitteilen könnte.
Auch Yoko Ono argumentiert mit „A Piece of Sky“ paradox. Das Puzzle, das sie entworfen hat, ist schon als monochrom weiße Fläche fertig zusammengesetzt. Nur an einer Stelle fehlt ein letztes Puzzleteil. Die Leerstelle gibt den Blick auf einen blauen, nur mit ein paar weißen Wölkchen durchsetzten Himmel frei. Diesen Himmel wiederzugewinnen, das dürften sich derzeit viele Australier wünschen.
Und tatsächlich ist der Wunsch nach freier Sicht und der Kampf für freie Sichtweisen der Grund, warum es die in der Auguststraße ausgestellte Edition überhaupt gibt.
Art 19 Box One
Die Idee dazu stammt vom Berliner Unternehmer und langjährigen Unterstützer von Amnesty International, Jochen Wilms. Als er 2012 mit Bill Shipsey – dem Begründer von Art for Amnesty – das Song-Projekt „Toast to Freedom“ entwickelte, lernte er, dass schon Pablo Picasso Kunstwerke für Amnesty gestiftet hatte. Ließe sich ein solcher Geist künstlerischer Großzügigkeit nicht wiederbeleben? Mit Gerhard Richter statt Picasso?
Ließ er. Aber es dauerte. Jetzt, mit dem Start in die 20er Jahre des 21. Jahrhunderts, liegt die Auflage mit zehn großen Grafiken vor. Sie nennt sich „Art 19 – Box One“ mit Bezug auf den Artikel 19 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, wo es heißt: „Jeder hat das Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung; dieses Recht schließt die Freiheit ein, Meinungen ungehindert anzuhängen sowie über Medien jeder Art und ohne Rücksicht auf Grenzen Informationen und Gedankengut zu suchen, zu empfangen und zu verbreiten.“
wird in Berlin im MeCollectors Room noch bis 31. Januar gezeigt und in Prag im DOX Centre for Contemporary Art bis 3. Februar.
Dass gut Ding Weile haben wollte, lag auch an Mike Karstens, mit dem das Projekt stand und fiel. Der Galerist und legendäre Kunstdrucker aus Münster wusste, auf welche Arbeit er sich einließ, wollte er doch die Vorschläge von Künstlern und Künstlerinnen wie Ayşe Erkmen, Shilpa Gupta, Ilya und Emilia Kabakov, William Kentridge, Shirin Neshat, Gerhard Richter, Chiharu Shiota, Rosemarie Trockel und eben Kiki Smith und Yoko Ono adäquat umsetzen.
Begeisterung über die Ausführung
Dass sie jetzt sämtlich begeistert sind von seiner Ausführung, wundert keinen Moment, steht man erst vor den Arbeiten. Schaut man dann noch in die Vitrinen, wo verschiedene Schritte des Arbeitsprozesses offengelegt sind, wird einem klar, wie schwierig die Aufgabe oft war.
Empfohlener externer Inhalt
The Making of
![zwei Hände legen eine Papierblüte auf den weißen Papierbogen zwei Hände legen eine Papierblüte auf den weißen Papierbogen](https://taz.de/picture/3896416/14/Bildschirmfoto_2020-01-07_15-58-21-1.png)
Obwohl die Edition Art 19, vielleicht wegen des hohen Frauenanteils, nicht wirkt wie ein Best-of, ist sie das selbstverständlich. Sie muss es auch sein, denn die Auflage, die es hundert Mal gibt, will zugunsten von Amnesty verkauft werden. Zum stolzen Preis von 50.000 Euro wendet sie sich denn auch nicht an Gelegenheitssammler.
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