Vier Turner-Preis-Träger 2019: Solidarität in der Kunst

Der renommierte Turner Prize für zeitgenössische junge Kunst geht in diesem Jahr an vier politische Künstler. Ein ungewöhnliches Statement.

Die vier lachenden Künstler:nnen Shani, Abu Hamdan, Cammock und Murillo bei der Verleihung des Turner Prizes

And the winners are: Tai Shani, Lawrence Abu Hamdan, Helen Cammock und Oscar Murillo Foto: Gareth Fuller/dpa

Das wäre doch schön gewesen. Gerade hatten wir einen großen Text in der taz zur Ausstellung von Oscar Murillo im Hamburger Kunstverein. Da hätte es doch gepasst, wäre der Turner Prize, mit 40.000 britischen Pfund eine der bestdotierten und vor allem international renommiertesten Auszeichnungen für zeitgenössische junge Kunst, an ihn gegangen.

Wobei! Was heißt hier eigentlich, es wäre schön gewesen? Der Turner Prize, ausgelobt von der Tate Gallery in London, ist ja an Oscar Murillo gegangen! Allerdings teilt sich der Londoner Künstler kolumbianischer Abstammung den Preis mit seinen drei Mitbewerber*innen von der Shortlist, also mit Lawrence Abu Hamdan, Helen Cammock und Tai Shani.

Alle vier hatten sich mit einem Plädoyer für „Vielfalt und Solidarität in Kunst wie Gesellschaft“ an die Jury gewandt. Und die Jury verstand ihren Aufruf. Sicher zum großen Erstaunen von Publikum und Medien, die am Dienstagabend zur Preisverleihung in Margate zusammengekommen waren, einem Badeort in Kent, wo William Turner (1775–1851), der Namensgeber des Preises, einst zur Schule ging.

Die ersten Reaktionen auf die ungewöhnliche Entscheidung waren durchweg positiv. Adrian Searle, Kunstkritiker des Guardian, schrieb in seinem Blatt: „Der Turner Prize zielt darauf, dass es einen Sieger geben muss. Er garantiert Öffentlichkeit, erzeugt Diskussion und bestärkt die Buchmacher. Das soll gut sein für das Klima, in dem über zeitgenössische Kunst gesprochen wird. Aber eigentlich werden Künstler, deren Arbeiten und Haltungen nichts miteinander zu tun haben, ohne Grund gegeneinander in Stellung gebracht.“

Hochpolitische Themen

In ihrer Haltung freilich haben die vier Künstler*innen viel miteinander zu tun – und das, obwohl sie sich vor ihrer Nominierung nie begegnet waren. Denn sie alle bearbeiten Problemfelder wie Migration, Menschen- und Frauenrechte oder Folter, also hochpolitische Themen, die als Gewinner und Verlierer zu deklarieren tatsächlich deplatziert gewesen wäre.

Helen Cammock etwa zeigt einen 99-minütigen Dokumentarfilm, der sich mit der Rolle der Frauen in der nordirischen Bürgerrechtsbewegung auseinandersetzt.

Sie alle bearbeiten Problemfelder wie Migration, Menschen- und Frauenrechte oder Folter, also hochpolitische Themen, die als Gewinner und Verlierer zu deklarieren tatsächlich deplatziert gewesen wäre

Der aus Jordanien stammende Lawrence Abu Hamdan, der sich als Audio-Ermittler bezeichnet, arbeitet mit Material, das aus Recherchen von Amnesty International und Forensic Architecture zu den Foltergefängnissen des syrischen Regimes stammt.

Tai Shani fantasiert in ihrer Installation von einer von Frauen erbauten Stadt in einer postpatriarchalen Welt.

Konkurrenzloser Erfolg

Und Oscar Murillo schließlich setzt auch in Margate, im 2011 fertiggestellten Kunstmuseum Turner Contemporary, seine migrantischen Pappmachéfiguren ins Museum, wo sie sich über seine Malerei und überhaupt den Kunstbetrieb zu amüsieren scheinen.

Die Ausstellung mit den Arbeiten der vier Shortlist-Nominierten hat inzwischen mehr als 95.000 Besucher*innen angezogen und ist damit eine der populärsten Ausstellungen dieses Jahres außerhalb Londons.

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